Wie zu Platons Zeiten: Streitgespräch auf dem Marktplatz

3.7.2017, 21:00 Uhr
Wie zu Platons Zeiten: Streitgespräch auf dem Marktplatz

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Neben dem Gauklerbrunnen stehen Stühle, Bänke und Sonnenschirme bereit, auf einer Pinnwand prangen Luther- und Bibelzitate zum Thema Lohn und Arbeit, auf einer zweiten Wand befestigen Zuhörer Parolen mit Ideen. Vor dem Publikum nehmen geladene Gäste Platz. Ein Stuhl in der Runde bleibt frei, für jeden, der sich einbringen will.

"Den Armen zu geben, ist besser, als sich einen Ablass zu kaufen", zitiert Dekan Sichelstiel Martin Luther. Ablässe gibt es heute nicht mehr, Armut hingegen immer noch. Zum Beispiel bei Menschen, deren Arbeit trotz allem Bemühen nicht zum Leben reicht. Dabei brumme doch die Konjunktur, bewege sich die Zahl der Beschäftigten auf dem Höchstniveau, wie Fürths IHK-Geschäftsstellenleiter Gerhard Fuchs versichert. "Den Mangel an Fachkräften müssen wir beseitigen", sagt Fuchs. Die Lösung: "Qualifizierung und Fortbildung".

Wer arm dran ist, aber erwerbsfähig, geht zum Jobcenter. Wer nicht erwerbsfähig ist, zum Sozialamt. Zurzeit kümmern sich 136 Mitarbeiter um 9500 Leistungsberechtigte, wie Günther Meth, Geschäftsführer des Fürther Jobcenters, vorrechnet. Auch Meth sagt: "Qualifizierung ist das Thema schlechthin. Mit einer fundierten Ausbildung ist eine nachhaltige Beschäftigung möglich." Allerdings müssten laut Meth die Mitarbeiter im Jobcenter bei vielen Kunden starke Überzeugungsarbeit leisten, um diese zu einer Umschulung zu bewegen. Ein Beispiel für viele schildert Jana Schwarzer, Sozialpädagogin beim Diakonischen Werk: "Eine 23-jährige alleinerziehende Mutter arbeitet Vollzeit in der Gastronomie, und das Geld reicht nicht." Warum nicht? Zu niedriger Lohn, hohe Mieten, hohe Fixkosten. Eine Umschulung mag das Problem dieser Mutter lösen, doch an ihrer Stelle wird dann eben eine andere gering qualifizierte Arbeitskraft treten, die in dieser Arbeit darbt.

Gegen das Grundgesetz?

Für Dekan Sichelstiel ist die Würde des Menschen untrennbar mit der Würde seiner Arbeit verbunden. Soll heißen: Sie muss genug zum Leben des Werktätigen und seiner Familie einbringen. Genau das aber ist nicht immer der Fall, das Jobcenter muss aushelfen. "Viele Menschen schämen sich, die ihnen zustehenden Leistungen anzumelden", klagt Hanna Kaltenhäuser vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (kda).

Wie geht es dem Arbeitslosen? "Je länger jemand keinen Job hat, umso tiefer zieht es ihn hinunter", sagt Günther Meth. Als Ursachen und Begleitumstände nennt er Krankheit, Sucht, Überschuldung und psychische Probleme. "Für solche Fälle haben wir Fallmanager, die sich schwieriger Kunden annehmen, um sie langfristig wieder in Arbeit zu bringen."

Da nimmt Stephan Stadlbauer vom Fürther Sozialforum auf dem Gaststuhl Platz und legt los: "Wir haben zurzeit die geringste Arbeitslosigkeit und dennoch die höchste Armut!" Hartz IV suggeriere die grundfalsche Annahme, dass jeder Arbeitslose selbst schuld an seinem Schicksal sei. Bildung und Qualifikation schafften vielleicht einen Vorsprung, würden das Problem aber nicht lösen. Hartz IV zwinge Arbeitsuchende zu schlecht bezahlter Arbeit, weil ansonsten Sanktionen fällig würden. "Sanktionen sind für mich ein Verstoß gegen die Menschenwürde, ein Verstoß gegen das Grundgesetz", klagt Stadlbauer.

Auch Sozialreferentin Elisabeth Reichert plädiert: "Wenn Kinder da sind, darf nicht gespart werden. Je weniger man verdient, umso mehr Kindergeld muss man bekommen." Krasser drückt es ein Bibelspruch auf der Pinnwand aus: "Kärgliches Brot ist der Lebensunterhalt der Armen. Wer es ihnen vorenthält, ist ein Blutsauger." Schlag nach bei Jesus Sirach.

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