Wir Kinder von der Event-Location

23.9.2010, 12:56 Uhr
Wir Kinder von der Event-Location

© Edgar Pfrogner

Anlass waren aber nicht etwa die Querelen daheim, sondern die Anfrage der Fürther Galeristin Ellen Haselmayer, ob er nicht etwas zum Bahnjubiläum beitragen könnte. Etwas aus einem anderen Blickwinkel. Genau das hat Schmidt auch getan — und wie.

Schmidt hat sich dem Alltag zugewandt, wie man ihn überall auf Bahnhöfen beobachten kann. Da sind die Bettler, die Straßenmusiker, die Heilsarmee, die Dealer, die Einkäufer und Umsteiger, die Wartenden, die Abhänger — und die Polizei, die sie alle kontrollieren will. Hausherr ist die Deutsche Bahn, die darum hinauswerfen kann, wer ihr nicht passt. Sie schwärmt vom „Erlebnis Bahnhof“ als Event-Location, erwünscht ist jedoch nur ein bestimmtes Publikum.

„Fußfesseln für Arbeitslose“

All das und noch viel mehr hat Schmidt in einem furiosen Modellbau dargestellt. Das Dach des verkleinerten Werks sieht dem Nürnberger Hauptbahnhof verdammt ähnlich, das Innenleben durchaus auch. Mit winzigen Figuren hat Schmidt Szenen inszeniert, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Polizisten kontrollieren einen Schwarzen, der ängstlich dreinschaut; auf einem Mini-Bild-Zeitungskasten steht „Fußfesseln für Arbeitslose“. Ein Dönerstand en miniature bietet Hartz-IV-Döner für 1,50 Euro an. In einem der üblichen „Coffee Shops“ trifft sich die Jugend, während an der Drogeriekasse diejenigen anstehen, die schöner werden wollen.

Im Untergeschoss schieben barmherzige Brüder Kranke im Rollstuhl herum. Für die Betuchteren gibt es die edle DB-Lounge, in der man rundum verwöhnt wird und seine Ruhe hat. Alles halt wie im wirklichen Leben.

Damit auch nichts untergeht, hat Schmidt Szenen, die ihm besonders wichtig sind, abfotografiert und die Detailaufnahmen stark vergrößert. Hier erkennt man einen Protest-Aufkleber, der sich unter dem Motto „Der Bahnhof gehört dem Widerstand“ gegen die allgegenwärtigen Überwachungskameras wendet. Ein stilisiertes Männchen zeigt dem Gerät sein blankes Hinterteil.

Oder gehört der Bahnhof dem Bedürfnis? Ein Mann steht am Pissoir, das Licht ist grell, die Fliesen spiegeln. Um sich zu erleichtern, hat er vermutlich einen Euro berappen müssen. Die Decken der Berber sind zu sehen, eine schicke Dame, ein Nagelstudio, die Kaufkraft in den Ladenpassagen und das Glück, das das Shoppen verheißt.

Gehört der Bahnhof vielleicht am Ende gar den Schweinen, deren Köpfe auf einem Bild auftauchen? Die Fotografien von feinster Qualität haben ebensoviel kritische und spielerische Elemente wie das Modell selbst. Fans handelsüblicher Modellbauten dürften hier allerdings nicht viel Freude haben, denn Schmidt schafft keine niedlichen Nachbau-Welten, er legt den Finger mitten in die Wunde. Wie ein Moskito sticht er zu. Klein und gemein. Hochkunst trifft Realität, Fantasie verbindet sich mit Standpunkt. Ein bitter nötiger Kontrapunkt zu den übrigen Bahnjubiläums-Veranstaltungen.

„Wem gehört der Bahnhof?“: Installation und Fotografie, Kunstraum Rosenstraße 12. Bis 26. September (siehe „Fürther Kunststücke“).

Offene Ateliertage am Wochenende

 

Peter Schmidt gehört zu den 50 Kunstschaffenden, die am Wochenende mit Blick aufs Bahnjubiläum zu einer Reise durch die Fürther Atelierlandschaft bitten. Die Initiative „Kunst in der Stadt“ — nicht zu verwechseln mit dem Fürther Kulturring C, dem Interessenverband der akademischen Künstler, und dessen Atelier-Wochenende — ist heuer „Auf der Schiene — Neben der Spur“ unterwegs. 20 innerstädtische Kunst-Stationen sind am Samstag von 16 bis 21 Uhr sowie am Sonntag zwischen 13 und 18 Uhr geöffnet, die Flyer liegen an vielen Orten in der Stadt aus.

Eröffnung ist an diesem Freitag um 19 Uhr mit der Vernissage einer Gemeinschaftsausstellung aller teilnehmenden Künstler in der s.s.p.-Galerie im Kronprinzenhof (Kohlenmarkt 2). Den musikalischen Rahmen basteln Norbert Gabla (Bandoneon) und Andreas Blüml (Gitarre).