"Wir räumen die Welt auf": Upcycling-Szene in Fürth blüht

8.11.2014, 20:00 Uhr
Im Nebenberuf "Müllionär": Michael Krauß mit einem Ring-Regal aus Pappe.

© Horst Linke Im Nebenberuf "Müllionär": Michael Krauß mit einem Ring-Regal aus Pappe.

Michael Krauß nennt sich "Müllionär", und wenn der 45-Jährige das in seinem Laden sagt, fragt man sich, warum. Sicher: Krauß steht im Grunde zwischen unzähligen - Millionen? - Dingen, deren Tage längst gezählt waren: Alte Rohrstücke, zerfledderte Comics, abgewetzte „Fußbänkla“, angeknackste Europaletten. Zu sehen aber sind: Must-haves mit Retro-Charme.

Mit Lebensgefährtin Nicole Schoger und Freund Uwe Engelmann betreibt er seit Mai das Geschäft raum.Streben in der Königstraße. Vielem, was hier zu haben ist, haben die drei eigenhändig neues Leben eingehaucht. Aus Papprollen für Verpackungsbänder machen sie in ihrer Werkstatt quietschbunte Ring-Regale, aus ausgedienten Sicherungskästen Schlüsselboards, und mit Superman-Collagen verleihen sie beige-braunen Tischplatten Sexiness.

Alle drei haben einen Brotberuf, Michael Krauß verdient sein Geld als Hausmeister in einem Studentenwohnheim. Aber schon als Kind war er ein leidenschaftlicher Sperrmüll-Googerer, magnetisch zieht ihn in der Welt der Dinge „alles an, was ich verändern könnte, womit ich rumspinnen könnte“. Und so war und blieb er ein Sammler von vermeintlich Unnützem und von Sachen, „die eh nur 1:1 für die Müllverbrennung produziert werden“. So ummanteln er und seine Mitstreiter Ständer alter Stehlampen mit Plastikplunder, der Kindern zum Hamburger-Kauf geschenkt wird. Heraus kommen dabei immer neue Unikate und Hingucker, die Anklang finden. 28 dieser Reste-Leuchten hätten sie bisher hergestellt, sagt Krauß - und 25 verkauft. Der Laden, betont der „Müllionär“, der im übrigen findet, auch in der Upcycling-Szene werde „viel für den Müll produziert“, sei aber mehr als ein Ort für Geschäfte: Die Leute sollen hier auf Ideen kommen, heimgehen und aufmöbeln, was sie entsorgen wollten.

Mias kleine Kinderwelt

Ebenfalls in der Königstraße findet sich Mias kleine Kinderwelt. Inhaberin Anemari Znidarsic hat zwei Berufe gelernt: Erzieherin und Modeschneiderin. Vom ersten lebt die 38-Jährige als Beschäftigte in der Kinderkrippe Storchennest, den zweiten lässt sie seit der Eröffnung ihres Lädchens im März aufleben.

Hier, auf zehn Quadratmetern, sitzt die Mutter eines vierjährigen Jungen sieben Stunden in der Woche, um mit ihrer Nähmaschine Kinderkleidung aus neuen und „hochwertigen Biostoffen“ einerseits und ihren eigenen abgelegten Kleidungsstücken andererseits herzustellen. Aus den Jeans und Shirts einer Erwachsenen werden vor allem: Mitwachshosen für Dreikäsehochs, auf denen dann schon mal freche Froschgesichter prangen. Dass die Kleidungsstücke getragen sind, ist Znidarsic zum einen wegen des Nachhaltigkeitsgedankens wichtig und zum anderen, weil dann sämtliche Chemikalien ausgewaschen sind und der zarten Kinderhaut nicht mehr schaden können.

"Wir räumen die Welt auf“: Unter diesem Motto haben Sigrun Riechardt (30) und Ralf Hassel (36) nach einem Asienurlaub 2012 begonnen,"Ecobags", die in Kambodscha unter fairen Bedingungen handgefertigt werden, von Fürth aus zu vertreiben. Sie gründeten die Milchmeer ecobags GbR, tingelten über Märkte und Messen und stellten fest: Die farbenfrohen Taschen aus Zement- und Fischfuttersäcken kommen prima an. Weil der Verkauf aus der Wohnung unpraktisch war und Kunden oft nach einem Laden fragten, kündigte Riechardt, ihren Job als Leiterin einer Coffeeshop-Filiale. Seit dem Herbstgrafflmarkt steht sie am Waagplatz im eigenen Geschäft hinter dem Verkaufstresen.

Im up!sala teilen die Dinge den Kunden mit, wer sie sind und vermitteln so ein Gefühl von ökologisch korrektem Shopping. „Ich war ein Zementsack“, verkündet ein Schild vor einer Umhängetasche, ein anderes mit der Aufschrift „Ich war ein Neoprenanzug“ lehnt vor Portemonnaies und Handyhüllen. Riechardt und Hassel nehmen nur ins Sortiment, was ihnen sinnvoll erscheint: Das sind Haarspangen, die ein Sozialpädagoge aus Gostenhof aus dem mehrschichtigen Holz ausgemusterter Skateboards fertigt, oder Hängelampen aus alten Vinyl-Schallplatten. Zu den Dingen, die sie ablehnen, zählt etwa Schmuck aus Nespresso-Kapseln. Denn, so erklärt Ralf Hassel, der selbst Haarseife statt Shampoo in Flaschen benutzt und aus Prinzip keine eingeschweißten Gurken kauft: „Wir möchten diese Art von abfallintensivem Konsum nicht unterstützen.“

Atelier für Upcycling-Produkte

Das Projekt von Sabine Wiedner (45) und Britta Wolff (34) steckt noch in den Kinderschuhen. Im früheren Herren-Frisiersalon Dietz in der Hirschenstraße möchten die Yogalehrerin, die auch den Beruf der Schneiderin erlernt hat, und die Logopädin, die für ihr Leben gern näht, ein Atelier für Upcycling-Produkte einrichten. Mitte November soll es losgehen. Jeden Montag sitzt Wolff dann hier an der Nähmaschine und macht aus abgetragenen Jeans und Resten von Kletterseilen Taschen für Yogamatten, vielleicht auch Flicken-Teppiche aus Jeans-Säumen. . . Die Ergebnisse ihrer Experimente werden in Wiedners Yogastudio in der Moststraße verkauft, eventuell auch im Atelier und im Internet. „Wir fangen mal klein an“, sagen die Frauen und sprühen sichtlich vor Tatendrang.

Fest steht für beide: Das historische Inventar des Frisiersalons muss bleiben, wie es ist. Wiedner und Wolff finden vieles einfach zu schön: die grauen Porzellan-Waschbecken, die mit Abreißpapier umhüllten Kopfstützen auf den Kunstledersesseln, die Glasvitrinen, in denen bis vor kurzem Fläschchen mit Frisiercreme standen. Gern böten Wiedner und Wolff den Raum regelmäßig auch zum Haareschneiden im Rockabilly-Ambiente an. Einen Friseur für diese Art von Upcycling suchen sie noch.

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