Der Informationsfluss im Netz

4.3.2011, 08:22 Uhr
Der Informationsfluss im Netz

Zum zweiten Vortrag in der Medienwelten-Reihe hatten Monika Wopperer von der Stadt- und Schulbücherei und der Vorsitzende des Bürgernetzvereins Martin Bosch einen Experten für aktuelle Trends im Internet gewinnen können.  

Vor zwei Jahren war der Web-Architekt und Koordinator des Projekts Jugend-Online schon einmal zu Gast in der Stadt- und Schulbücherei. „Das Netz wird mobil“, lautete damals sein Slogan. Seither haben Twitter, Blogs  und soziale Netzwerke für einen Paradigmenwechsel im Journalismus gesorgt: Die Verfallszeit einer Twitter-Nachricht betrage zwei Stunden, beim Fernsehen seien es sechs Stunden, informierte der Referent.  Durch schnelle, persönliche und emotional geprägte Nachrichten von jedermann werde nicht nur der Informationsfluss beschleunigt, die Vielfalt der Quellen bringe zudem Authentizität.

Neue Art des Geschichtenerzählens

Jürgen Ertelt ging ausführlich auf die Demonstrationen in Ägypten ein und vermittelte einen Eindruck, wie Handy und Internet einen Beitrag zum Sturz Mubaraks geleistet haben. Selbst als die mobilen Netze gekappt waren, gelangten über Modems und über Anrufbeantworter Nachrichten  an die Weltöffentlichkeit. Auch das deutsche Fernsehen hat sich in seinen Nachrichtensendungen auf die über Umwege geleiteten Beiträge des Bloggers und Journalisten Richard Gutjahr verlassen. Über Mikro-Spenden hat Gutjahr seine horrenden Handy-Rechnungen finanziert und live vom Tahrir-Platz berichten können.

Jürgen Ertelt prognostizierte, dass diese Form des unabhängigen Selfmade-Journalismus den traditionellen Medien noch einiges an Flexibilität aufzwingen werde. Eine „neue Art des Geschichtenerzählens“ mit der generellen Frage „Was passiert gerade?“ sei im Kommen.

Diese Frage steht auch bei den Stuttgart-21-Demonstrationen im Vordergrund. Bis zu 3000 S21-Tweets, also Beiträge bei Twitter, gibt es täglich. Der Online-Sender „Flügel-TV“ mit Webcams von verschiedenen Standorten hatte bis zu 2,5 Millionen Zuschauer. Für Referent Ertelt geht die Entwicklung hin zu mehr Partizipation und Transparenz.

Zum Thema Transparenz gehört auch das Schlagwort „Data-Journalismus“. Mit Hilfe der Internet-Nutzer können Daten, die sonst hinter Aktendeckeln verschlossen blieben, schnell offengelegt werden. Am Tag des Vortrags sei beispielsweise das Guttenberg-Wiki umgezogen, da sich so viele Nutzer beteiligten, dass der zuerst veranschlagte Speicherplatz nicht ausreichte. 

Hier brachte Jürgen Ertelt auch das von der Piratenpartei favorisierte Konzept der „Liquid Democracy“ ins Spiel: Diskussionsprozesse werden in Internet-Projekten transparent gemacht, und es kann sogar zu demokratischen Entscheidungsprozessen zu einzelnen Themen kommen. Solche Netzwerk-Prozesse werde man bei der Planung von Großprojekten künftig sicher einbeziehen, prognostizierte Ertelt und wies auf das Wikimap-Projekt der Stadt Frankfurt hin, das Bürgerbeteiligung via Internet erprobt. „Die Politik muss einsehen, dass sie künftig mehr Transparenz aushalten muss“, meint Jürgen Ertelt und weist auf die  Arbeit von WikiLeaks hin.

Ein anderes, aus Sicht der Medienpädagogik interessantes Thema ist der enorme Zuspruch, den Facebook hat. 14 Millionen Nutzer gibt es in Deutschland, weltweit sind es 106 Millionen. Es sei nicht ganz einfach, mit den komplexen Privatsphäre-Einstellung bei Facebook zurechtzukommen, so der Referent. Dass das Erstellen sogenannte „Social-Graphs“ möglich sei, müsse akzeptiert werden und helfe bei der Suche Gleichgesinnter und Experten für ein Thema.

„Das Digitale kommt zum Analogen“ und „Alles wird mobil“ – mit diesen Slogans macht Jürgen Ertelt auf weitere Entwicklungen aufmerksam: Seit 1. Februar gibt es mit „The Daily“, die erste reine Online-Zeitung mit einem Stab von 150 journalistischen Mitarbeitern. Zeige deinem Smartphone eine Straßenansicht, und du erfährst von freien Immobilien, bekommst Hinweise auf interessante Personen und Orte. Das versteht man unter „Argumented Reality“. Und was für Dinge bereits Realität ist, gilt bald auch für Gesichter, denen mit Hilfe des Internets der richtige Name und viele andere Informationen zugeordnet werden können.

Wohin die Reise im Hinblick auf medienpädagogische Zielsetzungen geht, konnte auch Jürgen Ertelt nicht sagen. Die Erziehenden sehen sich hier mit einem Verlust an Kontrolle konfrontiert. Ob Regulierung oder ein Medienführerschein hier die richtigen Antworten sein können, daran hat der Netzexperte seine Zweifel.