Die vielen Gesichter der Neonazis

11.1.2013, 15:42 Uhr
Die vielen Gesichter der Neonazis

© Wolfgang Dressler

Der Anlass für den gut besuchten Vortragsabend bestand in der Ausstellung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung über „Rechtsradikalismus in Bayern“. Zu ihrer Eröffnung hatten Bürgermeister Joachim Federschmidt und Büchereileiterin Monika Wopperer Birgit Mair als Referentin eingeladen. Sie ist am Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung in Nürnberg tätig. Die Sozialwissenschaftlerin präsentierte sich als sachliche, kompetente, unerschrockene Aufklärerin, die nur zu genau weiß, dass derjenige, der sich öffentlich mit dem Thema befasst, einer Bedrohung ausgesetzt sehen kann. So kam es bereits vor, dass ein bekannter Neonazi das Nürnberger Institut „ausspähen“ wollte. Außerdem sah sich Birgit Mair bei früheren Veranstaltungen, unter anderem in Höchstadt, „begleitet“ von einer Gruppe junger Leute, die versuchten, sie über Flugblätter als „Linksextremistin“ zu diffamieren. Mair hat selbst schon Personenschutz in Anspruch genommen. Sie will sich unabhängig davon weder als Privatperson noch in ihrer beruflichen Tätigkeit, die sie oft an Schulen führt, einschüchtern lassen. Angst zu erzeugen, das sei doch genau die Absicht der neuen Nazis. Ihre Erfahrung sei eindeutig: „Mit denen kann man nicht diskutieren. Man muss versuchen, sie aus dem öffentlichen Raum auszugrenzen.“

Dem Publikum war durchaus bewusst, dass hinter diesen Worten nicht nur die reine Theorie steckte. Bevor die Veranstaltung in der Bücherei begann, erschienen im Umfeld des Gebäudes drei junge Leute aus dem Weißenburger Raum, versuchten, Flugblätter an den Mann zu bringen. Außerdem wurden an drei Stellen eindeutige Parolen entdeckt, die mit Kreide auf den Boden gemalt worden waren. Die Gunzenhäuser Polizei war präsent und hatte ein scharfes Auge darauf, dass die Ausstellungseröffnung ohne Probleme ablaufen konnte.
Das Stichwort Weißenburg fiel noch mehrmals an diesem Abend. Dort hat das Auftreten von Rechtsradikalen für Aufsehen, Empörung und breiten Widerstand gesorgt. Seit zwei bis drei Jahren sei Weißenburg ein Brennpunkt. Das reiche weit über Schmierereien am Bahnhof hinaus. Dort seien Gewalttäter, nicht nur potenzielle, zugange, hieß es weiter. Immer wieder mache sich ein „Freies Netz Süd“ bemerkbar.

2012 gab es in Weißenburg eine Demonstration der „Division Franken“, hinter der laut Birgit Mair die NPD steckt. Über 300 Gegner der Neonazis kamen schnell zusammen, empörten sich lautstark und nervten die Rechten gewaltig. Es kann gut sein, dass beim nächsten Mal ein anderer Demonstrationsort gewählt wird. Auch in Gräfenberg empörten sich die Menschen gegen die Aufmärsche der Neonazis. Der Widerstand kam spät (nach Jahre des Wartens und Ignorierens) und hatte schließlich Erfolg. „Seit drei Jahren ist dort Ruhe eingekehrt.“
In der hiesigen Region gibt es ein Landkreisbündnis gegen Rechts, der Schwerpunkt liegt logischerweise im Raum Weißenburg. Die Referentin machte darauf aufmerkam, dass man sich unter wug-gegen-rechts.de kundig machen kann, welche Vorfälle es gab, die ganz eindeutig oder vermutlich mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht werden können.

Die Auflistung solcher Vorfälle aus Mittel- und Oberfranken war erschreckend. Birgit Mair berichtete von Flugblättern, die in Nürnberg auftauchten und gegen Juden gerichtet waren, von Parolen auf Wänden nahe Schwabach, die sich gegen Asylbewerber wandten, von Hakenkreuzen und dem Wort KZ in Pleinfeld, wo angeblich Ferienhäuser für Roma-Familien entstehen sollen, von Drohungen gegen türkische Mitbürger. Menschen, die sich entschieden gegen Rechts engagierten, wurden im Großraum Nürnberg die Autos demoliert oder extrem stinkende Buttersäure in den Hauseingang gekippt. Es gelte, diese Taten ernst zu nehmen und nicht zu warten, „bis es zu spät ist“. Jeder sei gefordert, gegen dumpfe Vorurteile und rassistische Äußerungen das Wort zu erheben, auch in der Schule, im Freundeskreis oder im Sportverein.
Die Szene der rechtsradikalen Gruppierungen und Kameradschaften ist vielfältig. Namen tauchen auf und verschwinden. Manchmal sieht man den Aktivisten an, welche Geisteshaltung sie vertreten. In anderen Fällen sind es ganz normal aussehende junge Männer, die ganz unscheinbar daherkommen. In Nürnberg und München sitzen Vertreter der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ im Stadtrat. Einerseits geben sie den bürgerlichen Biedermann, andererseits sind sie in der Neonazi-Szene aktiv, berichtete die Referentin. Sie warnte davor, neuen Organisationen, die sich das Soziale auf ihre Fahnen geschrieben haben, zu trauen. Dahinter stünden wahrscheinlich Rechtsextreme.
Seit 2008 werden „nationale Frankentage“ veranstaltet. Zum Programm gehören Reden, Musik, Kulinarik und ein Kinderprogramm. Das Ganze soll Volksfestcharakter haben. Parallelen zu Streichers „Frankentagen“ auf dem Hesselberg seien durchaus zulässig, wenngleich nur wenige Hundert Menschen zusammenkommen.
Mair machte auch auf esoterische Gruppen aufmerksam, die in einer Grauzone hin zu rechtem Gedankengut wandeln. Beispielsweise wenden sie sich gegen Chemotherapie, weil diese eine Erfindung der Juden sei, um Nichtjuden umzubringen.
Typisch für die Neonazis ist, dass sie die Verbrechen der Nationalsozialisten relativieren, die Geschichte einseitig darstellen, Deutschland eine Opferrolle zuschreiben, gegen die USA und Israel polemisieren, auch als Kapitalismuskritiker auftreten. Dabei werden erkennbare Ressentiments in der Bevölkerung aufgegriffen, etwa wenn die Todesstrafe für Kindsmörder gefordert wird oder die Gefahr durch eine Islamisierung Europas beschworen wird. Ein Journalist aus München betreibt seit Jahren Hetze gegen den Islam. Andere Gruppierungen äußern Parolen gegen die EU, wollen zurück zur D-Mark.
Birgit Mair sprach sich eindeutig für ein Verbot der seit 1964 existierenden NPD aus. Ein solcher Schritt würde die Szene schwächen, und der Aufbau einer neuen Rechtspartei würde viel Zeit und Geld kosten. Dennoch bestehe die Gefahr, dass das Verbotsverfahren ein zweites Mal scheitern könne, denn noch immer bestehe das Problem der V-Leute.  Bei ihnen handele es sich um „Nazis, die dem Staat gegen Geld Informationen geben“.
Staatliche Ausstiegshilfen sind nach der Erfahrung der Sozialwissenschaftlerin durchaus wirksam. Oft würden es junge Menschen nicht von allein schaffen, sich aus einer rechten Gruppierung zu befreien. Wer solche Gedanken äußere, der werde direkt massiv bedroht, könne sich nicht alleine befreien. Große Chancen sieht die Wissenschaftlerin in der Aufklärung in Schulen. Man müsse sehen, dass oft 14- bis 15-Jährige rechtsradikales Gedankengut annähmen.
Birgit Mair gehört als Beobachterin dem bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss an. Sie wies darauf hin, dass die Terrorzelle aus Zwickau die meisten ihrer Morde in Nürnberg verübte. Sie hat lernen müssen, dass es keine demokratische Kontrolle des V-Leute-Systems gebe. Wenn es um die ganz brisanten Themen gehe – die V-Leute –, dann dürften die bayerischen Parlamentarier in nichtöffentlicher Sitzung nur Akten einsehen, die teilweise geschwärzt seien, und sie dürften sich keinerlei Notizen machen. Nicht ganz so stark würden die zuständigen Landtagsabgeordneten in Thüringen in ihrer Handlungsfreiheit beschnitten. Man müsse nicht so rigide wie in Bayern vorgehen.
Bürgermeister Joachim Federschmidt merkte an, ein gewisses Gefahrenpotenzial sei sicherlich auch in Gunzenhausen gegeben. Das Problem sei nicht so weit weg, wie es scheine. Hier gelte es, die Augen offen zu halten. Die Stadt sei Mitglied in der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg. Gewisse Reaktionen habe man im Rathaus erfahren, als Gunzenhausen die Dr.-Heinrich-Münch-Straße umbenannte.
Zum Gelingen der Eröffnung trugen  auf musikalische Weise Hannah Dormer und Max Pfahler bei. Die Ausstellung „Rechtsradikalismus in Bayern“ läuft in der Bücherei noch bis 31. Januar.

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