Dittenheimer Zimmerer kehrt nach vier Jahren zurück

8.8.2015, 15:00 Uhr
Dittenheimer Zimmerer kehrt nach vier Jahren zurück

© Gruber

Der Tross der Wanderburschen war schon von Weitem zu sehen. Von Aha her kommend marschierten sie mit Stock und Bündel nach „Dittna“, um am Ortsschild in Höhe des markanten ehemaligen Wasserturms auf das bereits mit Spannung wartende „Empfangskomitee“ zu treffen. Dort angekommen, waren es selbstverständlich die Eltern, die ihren Filius endlich als erste begrüßen durften. Nicht nur für Heidi und Heinz Kastenhuber war dies ein ganz besonders emotionaler Moment. Alle Anwesenden konnten wohl nachvollziehen, wie es sich anfühlt, den „verlorenen Sohn“ nach so langer Zeit wieder in die Arme schließen zu können. Vor ihrer letzten Etappe mit anschließender „Open-Air“-Feier hatten die aus Deutschland, der Schweiz und sogar aus Dänemark stammenden Zimmerer im Gasthaus Baumgärtner in Oberasbach Quartier bezogen.

Unter den Begriffen Wanderjahre,  Walz oder Tippelei wird die Zeit der Wanderschaft zünftiger Gesellen nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit (Freisprechung) bezeichnet. Sie war seit dem Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung eine der Voraussetzungen für die Zulassung zur Meisterprüfung. Die Gesellen sollten vor allem neue Arbeitspraktiken, fremde Orte, Regionen und Länder kennenlernen sowie Lebenserfahrung sammeln. Ein Handwerker, der sich auf dieser traditionellen Wanderschaft befindet, wird als „Fremdgeschriebener“ oder „Fremder“ bezeichnet.

Da ein hoher Prozentsatz der Wanderburschen Zimmerer sind, ist es kaum bekannt, dass auch Gesellen etlicher weiterer Handwerksberufe wie Tischler, Maurer, Dachdecker, Spengler, Steinmetze, Schneider, Holzbildhauer, Goldschmiede, Instrumentenbauer, Buchbinder oder Kirchenmaler auf Wanderschaft gehen. Der Irrglaube, dass nur Zimmerer auf der Walz wären, wird noch dadurch verstärkt, dass viele Gesellen anderer Gewerke ebenfalls die typische schwarze Zimmererkluft mit der „weißen Staude“, einem kragenlosen Hemd, tragen. Dem stets mitgeführten Bündel kommt beileibe nicht nur Symbolkraft zu. Es enthält neben unerlässlichen persönlichen Utensilien zusätzliche Arbeitskleidung sowie Zimmermannshammer, Stoßaxt und Schlafsack. Ansonsten tragen die Gesellen während der Wanderschaft nur das Nötigste bei sich.

Um so die Welt bereisen zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Auf Wanderschaft darf nur gehen, wer die Gesellenprüfung bestanden hat, ledig, kinderlos, und schuldenfrei ist. Auch soll der Marsch in die weite Welt nicht als Flucht vor unliebsamen Verantwortungen missbraucht werden. Ferner muss ein polizeiliches Führungszeugnis den einwandfreien Leumund des Wanderers bezeugen. Obligatorisch ist darüber hinaus das Tragen der Kluft in der Öffentlichkeit. Weitere Bedingungen geben vor, dass der Fremdgeschriebene während seiner Reise einen „Bannkreis“ von rund 50 Kilometern um den Heimatort herum nicht betreten darf. Unterwegs ist er nur zu Fuß oder per Anhalter. Öffentliche Verkehrsmittel sollten ebenso gemieden werden, Reisen auf andere Kontinente per Flugzeug hingegen sind erlaubt.

Das strenge Reglement erfordert des Weiteren ein jederzeit ehrbares Verhalten und gepflegtes Äußeres, damit der „Nächste“ auch wieder gern aufgenommen wird. Bei ihrer Wanderschaft erfreuen sich die Gesellen häufig großer Unterstützung seitens der Bevölkerung. Davon kann Kastenhuber durchaus ein Lied singen. Ob in Deutschland, Norwegen, der Schweiz, Österreich, Holland, Italien oder im südamerikanischen Chile – der Kontakt zu den Menschen ist das Wesentliche. Seien es Begegnungen während des gemeinsamen Arbeitens oder auf privater Basis, der zwischenmenschliche Austausch trägt enorm zur eigenen Persönlichkeitsfindung bei. „Ich bin fast überall freundlich aufgenommen worden, auch wenn es anfangs wegen des eher ungewöhnlichen Outfits bisweilen ziemlich skeptische Blicke gab“, erzählt der Dittenheimer.

Logisch, dass ein chilenischer Fernfahrer kaum etwas mit dem seltsamen Aufzug des „Exoten“ anfangen kann. Die Frage, warum er denn so herumlaufe, musste Kastenhuber häufig beantworten. Schmunzelnd berichtet der Franke, dass er des Englischen so weit mächtig ist, um in puncto Erklärungen auch in dieser Hinsicht sehr gut über die Runden gekommen zu sein. In all den Jahren wurde er kaum mit Gewalt oder Kriminalität konfrontiert. Dennoch mussten auch die unbedarften „Zimmersleut“ immer auf der Hut sein. Die bolivianische Metropole La Paz ist nicht nur von hohen Bergen umgeben, es existiert auch eine sehr hohe Kriminalitätsrate. „Gottseidank bin ich nie in eine richtig brenzlige Situation geraten“, ist Kastenhuber auch im Nachhinein erleichtert darüber.
Wie eingangs bereits erwähnt, schlug ihm vor allem in „keltischen Gefilden“ eine enorme Offenheit und Sympathie entgegen: „Die Menschen in Schottland und Irland waren aufgeschlossen und überaus gastfreundlich“. Wie es sich für ordentliche Inselbewohner gehört, machten etliche von ihnen auch beim Thema Trinkfestigkeit dem vorauseilenden Ruf alle Ehre. „Hier konnten wir nicht mithalten, ich selbst zog deshalb meist Zurückhaltung vor“, erinnert sich Kastenhuber. Ein schönes und unvergessliches Erlebnis war unter anderem ein Abstecher Richtung Südpol. Ein unerschrockener Trucker ließ ihn und einen Mitwanderer vom argentinischen Buenos Aires aus fast die Hälfte der rund 3000 Kilometer langen Strecke mitfahren. „Die Impressionen von dieser Traumroute waren überwältigend“, schwärmt Kastenhuber heute noch.

Trotz umfangreicher Aktivitäten am Rande musste für den Lebensunterhalt aber auch gearbeitet werden. Die Entlohnung, Unterbringung und Dauer des Arbeitsverhältnisses oblag einer Vereinbarung vor Ort mit den jeweiligen Arbeitgebern. Im In- und Ausland nehmen viele mittelständische Unternehmer die Gesellen auf der Walz gern unter ihre Fittiche, auch aus einer gewissen Verbundenheit mit der Tradition. „Ich habe außergewöhnliche Menschen bei meinen Stationen getroffen, unterschiedliche Arbeitstechniken und -abläufe kennengelernt sowie ein breites Spektrum an Branchen in Augenschein nehmen dürfen“, erklärt  Kastenhuber nicht ohne Stolz. Stellvertretend für ein Beispiel von vielen nennt er die „lehrreiche Zeit“ bei einem traditionellen Holzbootbauer am Zürichsee. Die Verbindung zur eidgenössischen Familie blieb über das eigentliche Engagement hinaus erhalten.

Nach seiner Rückkehr will Thomas Kastenhuber erst einmal ausgiebig regenerieren und das in den Wanderjahren Erlebte mental verarbeiten. „Das Geld ist sicher nicht die Triebfeder gewesen“, erläutert er seinen vor über vier Jahren gefassten Entschluss. Als fest angestellter Geselle hätte er in einem Fachbetrieb „mehr Kohle“ verdienen können. Seine beruflichen Perspektiven sieht er weiterhin im Zimmererhandwerk. Der 28-jährige „Dittermer“ ist davon überzeugt, dass ihm die „Tippelei“ auf ganz vielen Ebenen reifen ließ. Die gesammelten Erfahrungen und Eindrücke könne er jetzt und für sein künftiges Leben immer wieder abrufen. Unabhängig davon, was die Zukunft bringen möge, steht für Kastenhuber wie in Stein gemeißelt fest: „Die Wanderschaft war für mich die schönste Zeit meines bisherigen Lebens, und ich würde es wieder tun“.

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