Ein Knaller beschließt Gunzenhäuser Theatersaison

27.4.2016, 13:11 Uhr
Ein Knaller beschließt Gunzenhäuser Theatersaison

© Bernd Böhner

Wir befinden uns im Berlin des Jahres 1941, kurz vor Kriegseintritt der USA. Harras – imposant und kraftvoll verkörpert vom Bühnen- und Fernsehstar Gerd Silberbauer, der den sich natürlich aufdrängenden Vergleich mit Curd Jürgens nicht zu scheuen braucht – glänzt hier als Idealbild des charismatischen Lebemanns und trinkfreudigen Genussmenschen, dessen Tanz auf dem Vulkan die Bretter der Stadthalle mitreißend erbeben lässt. Seine Erfahrungen als Pilot aus Leidenschaft hat er in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt, ohne Parteibeitritt freilich, zunächst allerdings ebenso ohne nennenswerte Ambitionen, mit der Diktatur auf direkten Konfrontationskurs zu gehen.

Er erlaubt sich schon mal Obrigkeitswitze und rettet heimlich seine „Gewissensjuden“ vor dem Verderben, interessiert sich ansonsten jedoch hauptsächlich fürs Fliegen, Feiern und Flirten, letzteres besonders mit der jungen Diddo (erfrischend unverbogen: Elisabeth Halikiopoulos), Nichte seiner ehemaligen Flamme Olly (Annette Kreft als ein kluger weiblicher Gegenpol des Barbarischen).

All dies ändert sich, als in Harras’ Zuständigkeitsbereich Flugunfälle aufgrund von Materialfehlern zunehmen und die Gestapo Sabotage wittert. Eiskalt überzeugend füllt Markus Fisher als hagerer, schmieriger, Zigaretten qualmender und sardonisch grinsender Kulturleiter Dr. Schmidt-Lausitz die Rolle des Nazi-Schergen aus, der schon lange das Fadenkreuz auf den ihm suspekten Opportunisten Harras gerichtet hat und ihm nun eine zehntägige Galgenfrist zur Aufklärung der Manipulationen setzt.

Die „Höllenmaschine“, die im so betitelten I. Akt angeworfen wurde, nimmt rasant an Fahrt auf, und der beißende Rauch, den dazwischen ein Royal-Air-Force-Angriff ins Gesicht der Zuschauer bläst, ist bloß ein Vorbote des Abgrunds, in den Schmidt-Lausitz und Konsorten, aber zum Beispiel auch das beängstigend blind-regimetreue Industriellentöchterlein „Pützchen“ (bestechend als lästig-listige Unsympathin: Martina Dähne) ihre Nation steuern.

Während sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zusammenzieht, ist Harras der Meinung, die Gestapo selbst inszeniere die Sabo-tageakte, um sich seiner Person entledigen zu können. Mit Ablauf des Ultimatums erfährt er, dass kein Geringerer als sein Ingenieursfreund Oderbruch die Flugzeuge beschädigt hat, eine ambivalente Figur, die mit der Zerstörung bösen Kriegsgeräts das Gute will und dennoch das Leben seiner Kameraden dafür zu opfern schafft. Hans Machowiak mimt den inneren Zwiespalt bewusst ausdruckslos, was mehr über die tiefe Verzweiflung dieses Freiheitskämpfers auszusagen vermag als jeder künstlich inszenierte Gefühlsausbruch.

Dem General wird klar, dass das Spiel jetzt endgültig aus ist und er eine Entscheidung treffen muss. Zwar glaubt er nur an das „Was“ und nicht an das „Wie“ hinter der von Oderbruch gewählten Form des Widerstands; trotzdem beschließt er, ihn und alle anderen Beteiligten zu schützen. Per Unterschrift übernimmt er die Verantwortung. Danach gibt derjenige, der sich mit dem Teufel, das heißt Adolf Hitler, eingelassen hat, seine Seele der Verdammnis preis, steigt in eines der vermutlich manipulierten Flugzeuge und saust zu eindringlichen Soundeffekten in den Tod.

Viele der Fragen, die das erfolgreichste Schauspiel der Nachkriegsjahre – bereits 1946 wurde es in Zürich uraufgeführt – zur Diskussion stellt, haben bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren: Wie viel Mitschuld laden die Mitläufer einer Gewaltherrschaft auf sich? Ist es vielleicht sogar schlimmer, das Furchtbare zu tolerieren, als es zu tun? Werden sich für zivilisiert haltende Menschen binnen kürzester Zeit zu Bestien, wenn man sie lässt? Was kann der Einzelne dagegen unternehmen? Heiligt der Zweck dann die Mittel? Wodurch definiert sich ein Begriff wie „Vaterland“, und ähneln in ihm die „besorgten Bürger“ nicht einem Dr. Schmidt-Lausitz, „de[M]r Herr[N] mit der deutschen Seele – der die Kultur vertritt, bis sie nicht mehr aufsteht“?

Es scheint, dass dieses nachdenklich stimmende Theaterstück in Gunzenhausen seine Wirkung nicht verfehlt hat. Das beweisen so manche Gespräche in der Pause und der überschwängliche Applaus, mit dem das starke zwölfköpfige Ensemble verabschiedet wird. Der Knall, den es in die Nacht gejagt hat, wird hoffentlich noch viel länger nachhallen als der hier und da geäußerte Unmut über sichtbehindernd platzierte Sessel auf der Bühne oder die von der Regionalmesse verursachte ungünstige Parkplatzsituation an jenem Abend.

Keine Kommentare