Gipfeltreffen der Dichter-Titanen

18.1.2017, 12:30 Uhr
Gipfeltreffen der Dichter-Titanen

© Foto: Kristy Husz

„Goethe spielt auf Schillers Flöte“? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Die Flöte ist aus Holz und gehörte einst Schillers Urgroßvater, und der anlässlich einer ominösen Zusammenkunft nach Gunzenhausen gereiste Goethe, der 1788 ja tatsächlich in der Altmühlstadt übernachtete, entlockt ihr harmlose Kinderliedchen. Besser noch als auf dem Instrument spielt er jedoch die Rolle des Gastgebers und Moderators, um den sich neben seinem Kollegen aus Weimar nach und nach Molière, Shakespeare und Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki scharen.

Die Nationaldichter Deutschlands, Englands und Frankreichs pflegen untereinander einen lockeren Umgangston und präsentieren Auszüge ihrer Werke, Schiller zupft auf der Gitarre eine bittersüße Serenade für seine Mama, und der Kritiker mit Sprachfehler ätzt beharrlich dazwischen und versucht, jeden von seiner Meinung zu überzeugen – womit zur Handlung im Prinzip alles gesagt wäre.

Aber Handlung ist hier eher zweitrangig. Das Gipfeltreffen der toten Titanen ist kein klassisches Bühnenstück, sondern eine originelle Mischung aus Impro-Theater, Promi-Parodie, Nummernrevue mit durchaus ernsten Nuancen und Liebs Liebeserklärung an das geschriebene und das vorgetragene Wort.

Gnadenlos werden die Zuschauer ins Geschehen einbezogen, und im Vorfeld wissen bei der Interaktion – frei nach dem Motto: „expect the unexpected“ – weder der Darsteller noch sein Publikum, mit was genau sie zu rechnen haben. Kaum ein Auge bleibt bei den vielen Spontaneinfällen trocken, erst recht nicht, wenn der ausdrucksstarke Mime aus Grafing bei München den Kunstforum-Vorsitzenden Klaus Seeger zu seinem Handlanger erklärt, ausgewählten Besuchern reinen (Rot-)Wein einschenkt oder aus einzelnen Personen ehrliche Urteile über das soeben Gehörte herauskitzelt. Ohne Anstrengung springt Lieb währenddessen zwischen seinen Rollen hin und her, Kostümwechsel und aufwendige Kulissen braucht er nicht, wichtigstes und fast einziges Requisit ist die Weinflasche.

Den eigentlichen Zauber erschafft der 60-Jährige, der mit seinen Solo-Inszenierungen des „Urfaust“ und des „Woyzeck“ bereits zweimal das M11 begeisterte, allein mit Stimme und Körpereinsatz. Hatte er zuvor einen possierlichen Angelsachsenakzent auf den Lippen, poltert er sich plötzlich auch schon durch das alkoholisierte Treiben in „Auerbachs Keller“ und somit durch den ihm so vertrauten „Faust“-Stoff.

Ohne Zweifel ist der Goethe’sche Universalgelehrte die Figur, die die Literatenbegegnung im Innersten zusammenhält und dem charismatischen Schauspieler am meisten auf den Leib geschneidert ist. Absolut in seinem Element befindet sich der gealterte Dichterfürst dann, als schließlich die holde Weiblichkeit in Gestalt einer Studentin der Literaturwissenschaft den Schritt ins Rampenlicht wagt und er sich dieses unschuldige Gretchen faustisch aneignen möchte. Doch erneut kommt alles anders als erwartet . . .

Szenenapplaus an mehreren Stellen, ein Haufen zum Mitmachen animierter Gäste und am Ende wohlverdienter Beifall – mit Michael Jacques Liebs Ein-Mann-Theater sollte jeder mindestens einmal auf dem Pfad der heiteren und poetischen Muse gewandelt sein. Falls Lieb heuer also, wie im vergangenen Jahr, wieder als schottischer Clan-Chef beim Gunzenhäuser Kulturherbst auftreten sollte: keinesfalls verpassen.

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