Shakespeare hätte wohl seine helle Freude

20.7.2015, 10:00 Uhr
Shakespeare hätte wohl seine helle Freude

© Dressler

Wer hat schon mal einen Shakespeare-„Schinken“ komplett gelesen? In der Schule vielleicht ein Drama, und das ist schon lange her. Seit damals vielleicht noch ein gelegentlicher Theaterbesuch, Shakespeare wird ja so oft auf deutschen Bühnen gespielt. Und er hat ja auch was. Da kommen Könige, Herzöge, Elfen, Monster, Schiffsunglücke und junge, schöne, ähnlich aussehende Menschen vor. Die Dramen handeln vom großen Schicksal, die Komödien strapazieren die Gefühle, und beide Formen gefallen mit Gags, die immer ziehen, auch heute noch. Shakespeare hatte es einfach drauf – wenn er denn überhaupt gelebt hat. So manche Forscher sind sich da nicht so sicher.

Wer sich in seine Werke vertiefen will – es sollen 36 sein – , kann also viel Zeit investieren. Die Alternative besteht darin, eine höchst ausgefallene Komödie zu sehen. Sie heißt „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“, kommt ursprünglich aus Amerika und ist diese Woche noch zweimal hierzulande zu erleben. Bei der Premiere vor der schönen Kulisse des Altenmuhrer Schlosses lachte sich das Publikum halbtot. Was Jon (gespielt von Jan Felski), Peter (Mirko Trott) und Chris (Jens-Ulrich Seffen) da abzogen, war einfach wunderbar. Sie schlüpften in unzählige Rollen, mimten auch Frauen, ganz wie zu Shakespeares Zeiten, lieferten sich Degenduelle und Prügelorgien, und interagierten so ganz nebenbei mit dem Publikum, dass es eine wahre Freude wahr. Der Übergang zwischen dem festgelegten Text und der Improvisation war mitunter fließend. War das nun so vorgesehen oder wurde da einfach Neues, Unerwartetes eingefügt? Peter hatte es zu Beginn vorausgesagt: „Wir müssen eine Menge durchziehen heute Abend!“

Erst einige scheinbar ernsthafte Erläuterungen, was man so vorhat, dann ein Heiligengesang auf Shakespeare, schließlich eine Kurzbiografie des Meisters, die mehr und mehr verunglückt. Die Richtung ist damit vorgegeben. Es gilt, Person und Werk nicht so ernst zu nehmen. Jedenfalls hat man Romeo und Julia noch nie so gesehen, inklusive eines Ausflugs ins Publikum, um sich auszukotzen (nur gespielt, nicht wirklich). Auch die Balkonszene ist einzigartig. Es folgt „Titus Andronicus“ – absolut unbekannt, aber das ist an diesem Abend so egal. Hier wird ein modernes Ambiente gewählt, ein Tonstudio. Es geht brutal zu auf der Bühne, der Schänder wird geradezu profihaft getötet. Ja, Shakespeare beließ es zuweilen nicht bei Andeutungen, sondern ging in die Vollen. Und gegen eine derbe Sprache mit vielen sexuellen Anspielungen hatte er auch nichts.

Die düstere Tragödie „Othello“ kommt als Rap rüber. Die Komödien (16 Stück) werden genial zusammengefasst und auf eine einzige, die alles Wesentliche enthält, eingedampft, irgendwas mit „Liebesdampfer“ nach Verona. Doch das Trio legt noch an Tempo zu, denn jetzt wollen die Tragödien durchgehechelt werden. Die Anzahl der Perücken, die zum Einsatz kommen, nimmt zu. Hier tut sich Chris hervor, er darf ja auch die Frauenrollen übernehmen und fühlt sich sichtlich wohl darin. Irgendwann messen sich Richard III. und Heinrich V. im Fußballspiel. Nicht der Ball, sondern die Krone wandert von einem zum anderen, Doppelpass und Mord und Toschlag inklusive.

Bald sind die Königsdramen abgehakt, jetzt könnte man sich Hamlet, dem Prinzen von Dänemark, zuwenden, doch Chris hat keine Lust, flüchtet, muss mühsam eingefangen werden. Damit bleibt Zeit für die Pause, und viele nutzen die Gelegenheit, um im Schlossgarten lustzuwandeln. Was für ein Sommerabend!

Und was für ein zweiter Akt! Jetzt gibt es Hamlet und nur noch Hamlet, und das mit vollem Einsatz. Ein Höhepunkt jagt den nächsten. Jons Monolog („Sein oder Nichtsein“) macht dem Schauspieler scheinbar wenig Spaß, den Zuhörern dafür umso mehr. Eine junge Frau aus dem Publikum darf mitspielen, liefert Unerwartetes, nämlich einen heftigen „Nein“-Schrei, und auch ein junger Mann wird auf die Bühne gebeten. Er darf hin und her rennen. Ob das Sinn macht? Spielt keine Rolle, es trägt zum Vergnügen bei. Und auf der Suche nach Ophelias Über-Ich müssen die 150 Menschen vor der Bühne auch noch eine Art Kanon erlernen und vortragen. Das Chaos regiert.

Dann noch mal Hamlet, jetzt im schnellen Schnelldurchgang, der Rest ist Schweigen. Nein, der Rest besteht in einer Zugabe, die es in sich hat: Hamlet ganz, ganz kompakt, und zwar rückwärts, das Ganze mit „rückwärtiger“ Sprache. Wer da ernst bleibt, dem ist nicht zu helfen.

Der Kenner mag nun nach den 154 Sonetten fragen. Keine Angst, die wurden nicht unterschlagen, sondern en passant abgehandelt.
Die Botschaft des Abends: Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass diese leicht gekürzte Version von Shake­speares Werken dem Geist des Meisters nahe gekommen ist. Und wenn Jon, Peter und Chris danebenlagen, dann hat der Versuch jedenfalls unglaublich viel Spaß gemacht, den Zuschauern und den Schauspielern.

Das Stück wird nochmals am morgigen Dienstag um 20 Uhr im Garten von Schloss Altenmuhr gespielt. Und dann gibt es an diesem Freitag ebenfalls um 20 Uhr ein Gastspiel im Falkengarten in Gunzenhausen.

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