Was Nürnberg-Pendler aus Gunzenhausen so erleben

4.8.2017, 06:00 Uhr
Was Nürnberg-Pendler aus Gunzenhausen so erleben

© Alexander Jungkunz

Wie fühlt sich das Pendeln an? Zunächst mal sehr entspannt. Weil ich entgegen den Pendler-Strömen fahre. Eben nicht früh rein nach Nürnberg und abends zurück. Sondern umgekehrt: Da sind die Züge, gerade im August, ziemlich leer.

Und es ist auf jeden Fall angenehmer, hier mit der Bahn anzukommen als mit dem Pkw. Da fahre ich zwar Landstraße, nicht auf der meist vollen Autobahn, aber das zieht sich trotzdem, auch in den Ferien: Und schon wieder hängt ein Lkw vor mir...

Dann lieber lesen oder surfen (sofern es ein Netz gibt!) im Zug. Und am Abend, in einem lauschigen Gunzenhäuser Biergarten, Menschen treffen, die dieses Pendeln nicht bloß vier Tage lang erleben, sondern über Jahrzehnte hinweg. Und die mit dem Strom fahren.

Der Aufruf im Altmühl-Boten, Pendler mögen sich bitte mit ihren buchstäblichen Er-Fahrungen melden, hat sich gelohnt: Etliche Reaktionen zeigten, dass meine eher urlaubs-ähnlichen Fahrten nicht mit dem durchaus robusten Pendler-Alltag zu vergleichen sind.

Am ergiebigsten war eine Mail von Christian Keller. Der 33-Jährige arbeitet im Nürnberger Wirtschaftsreferat, fährt seit 17 Jahren per Bahn von Gunzenhausen nach Nürnberg, hat dabei sehr viel erlebt - und etliche nette Schicksalsgefährten kennengelernt. Daraus entstand eine Gruppe, die sich - passenderweise - "Zugvögel" nennt, sich per Whatsapp informiert über Verspätungen und Zug-Ausfälle. Und sich vier, fünf Mal im Jahr zu einem Stammtisch trifft.

Auf Notübernachtungen einstellen

"Als Pendler ist es nie verkehrt, eine Zahnbürste und Wäsche zum Wechseln dabei zu haben", sagt Katrin Düsener bei einer dieser Runden. Über 30 "Zugvögel" sind in der Gruppe - und fast jede(r) kam schon mal in die Situation, dass gar nichts mehr ging. Dass man not-übernachten musste etwa in Nürnberg, weil es keine Verbindung zurück nach Gunzenhausen mehr gab.

Matthias Jäger hat so ein Erlebnis hinter sich: "Den 1. Dezember 2010 werde ich nie vergessen. Da begann der Sör (Servicebetrieb Öffentlicher Raum) in Nürnberg erst um 15.30 Uhr mit dem Schneeräumen, obwohl wir einen gewaltigen Wintereinbruch hatten - und dann ging nichts mehr, ich kam nicht mehr heim und schlief bei einem Onkel in Nürnberg." Dort arbeitet Jäger bei einer großen Versicherung.

Die Stammtischrunde kann jede Menge erzählen von ihren Fahrten. Da ist der ganz normale Bahn-Alltag samt seinen Tücken: Züge, die gern mal überheizt sind, wenn die Außentemperatur jenseits der 30 Grad liegt - dann werden Abteile unfreiwillig zur Sauna. Und umgekehrt Züge, die sich in Eiskammern verwandeln, weil ausgerechnet in bitterkalten Wintern die Klimaanlage auf Kühlen gestellt wird...

Bei schattigen minus 18 Grad eine Stunde lang in Pleinfeld auf Anschluss warten: Wer den Haltepunkt dort kennt - und Pendler kennen ihn in- und auswenig -, der weiß, was das bedeutet. Die kleinen Unterstände dort bieten nicht mal einen ordentlichen Schutz vor Wind, von einem "Service" für Kunden kann ernsthaft nicht die Rede sein.

Abweisende Bahnhöfe

Pleinfeld: Dieser so genannte Bahnhof ist eher ein wohl leider sehr typischer Ort dafür, wie die Deutsche Bahn ihre Passagiere und ihre Liegenschaften behandelt: abweisend. Wie der Bahnhof Gunzenhausen nicht barrierefrei - keine Chance für Rollstuhlfahrer, schwere Handarbeit für Radler, die ihre Gefährte die Treppen hochwuchten müssen.

Und ein Ort abschreckender Tristesse. "Keine Toilette in Pleinfeld, aber der Fahrdienstleiter hat ein Schild an der Tür: ,Hier keine Auskunft‘. Es lebe die Kundenfreundlichkeit der Bahn", mailte mir Jürgen Styrol aus Gunzenhausen.

Vier Jahre pendelte er mit der Bahn nach Nürnberg, aber auch wegen solcher Erfahrungen wechselte er im Sommer 2013 "entnervt" aufs Auto. Was ihn auch nicht wirklich zufrieden macht. Auf (nicht nur) seiner Liste der Ärgernisse stehen: Ständige, oft zwischen den Behörden schlecht oder gar nicht abgestimmte Bauarbeiten, überladene Lkw am Obererlbacher Berg, aggressive Autofahrer, gefährliche Situationen durch Autobahn-Ausfahrten, die während Bauarbeiten extrem verkürzt werden. "Es ist anstrengend, nach einem langen Arbeitstag noch eine Stunde die Nerven zu behalten und sich nochmals aufs Fahren zu konzentrieren", schreibt Styrol.

Trotz allem: Viele Pendler ziehen Bahn dem Auto vor

Das ist einer der vielen Gründe, weshalb die Stammtisch-Freunde der "Zugvögel" eben doch und trotz allem der Bahn treu bleiben. Trotz Verspätungen. Trotz Zügen, die ganz ausfallen. Trotz oft fehlender Ansagen oder Infos auf der Anzeigetafel, warum das denn, bitteschön, so ist - und warum man es seinen Kunden gar nicht oder sehr, sehr spät mitteilt.

Trotz teils rappelvoller Züge: Wenn es im Seenland regnet, dann zieht es viele Urlauber hinein nach Nürnberg, in die Museen oder zum Shoppen - und auch sie steigen in die Bahn. Der bei schönem Wetter hohe Freizeitwert der Region sorgt auch am Wochenende dafür, dass manche Züge überfüllt sind: Radler fahren mit der Bahn auf der Strecke Pleinfeld-Gunzenhausen - und der kurze Pendolino kommt schnell an seine Belastungsgrenzen.

Da sind die "Zugvögel"-Pendler nicht unterwegs, sie kennen aber die vollen Züge von ihrem Berufsalltag. Sie wissen auch, wie schwierig es ist, mit Beschwerden bei der Bahn durchzudringen. "Da müsste man zehn Fahrten mit Störungen penibel dokumentieren", berichtet Christian Keller. Und wer dann mal doch schriftlich bei der Bahn klagt über all die kleinen oder größeren Wehwehchen, der bekommt schon mal eine Antwort, in der es in etwa heißt: "Uns ist nicht bekannt, dass auf dieser Strecke Störungen bestehen."

Der Bahn vielleicht nicht. Den Pendlern schon. Dennoch mögen sie "ihre" Bahn. Weil sie oft eben doch auch pünktlich fährt und reibungslos. Weil sich die Zeit zwischen Gunzenhausen und Nürnberg sinnvoller und entspannender nutzen lässt als im Auto.

"Beim Zugfahren macht man Dinge, die man sonst nicht mehr oder nur selten macht", sagen die "Zugvogel"-Mitglieder Liane und Klaus-Ulrich Dickmann. Und die Gruppe zählt auf: "Sudoku. Lesen. Stricken. Schlafen. Plaudern."

Oder Witziges erleben, mit Zugbegleitern, die auch nicht mürrisch sind, sondern gut gelaunt, fröhlich. Eine von ihnen, Barbara Ellert, bekam von den "Zugvögeln" deshalb schon Blumen. Ein anderer scherzte bei seinen Ansagen schon mal: "Steigen Sie bitte rechts aus, links fallen Sie mir ins Gleisbett."

Ein anderer spielte oft gern Musik, wenn der Zug sich dem Zielbahnhof näherte. "Don‘t worry, be happy" zum Beispiel. Ein echtes Pendler-Motto. Nicht ärgern, glücklich sein.

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