Die Kleinen nehmen den Wahlkampf sehr ernst

21.9.2017, 11:55 Uhr
Die Kleinen nehmen den Wahlkampf sehr ernst

© dpa

ERLANGEN-HÖCHSTADT — Irgendeine einschneidende Erfahrung hat jeden späteren Stadtrat oder Abgeordneten einmal in die Politik geführt. Auch Florian Reinhart, der bei der Bundestagswahl als Direktkandidat für die ÖDP in Erlangen und im Landkreis antritt, hat so ein Déjà-vu-Erlebnis gemacht: "Ich war im vergangenen Jahr auf einer großen Demonstration gegen TTIP und Ceta."

Der Kundgebung hätten sich viele Menschen angeschlossen, und dennoch, sagt der 26-Jährige empört, "hat sich an den Vorhaben nichts geändert." Dass die Meinung so vieler im Grund — wie Reinhart sagt — gar nichts zähle, hat den Erlanger erschreckt und zum Entschluss gebracht, sich für eine politische Partei, die ÖDP, zu engagieren. Die Kritik an den beiden Freihandelsabkommen bleibt in seinem Programm bestehen.

Aber der Siemens-Ingenieur, der sich für seinen Wahlkampf extra Urlaub genommen hat, will mehr: "Ich möchte, dass die Menschen politisch mehr mitbestimmen können als nur zur Wahl zu gehen." Seine Forderung: bundesweite Volksentscheide, die jedoch in weiten Teilen der Bevölkerung mit Blick auf mögliche populistische Nebenerscheinungen höchst umstritten sind. Vorbild ist für Reinhart die (allerdings in Fläche und Bevölkerungszahl viel kleinere) Schweiz. Soziale Gerechtigkeit liegt ihm ebenfalls am Herzen und — als Mitglied einer Partei, die das Wort ökologisch im Namen führt — ganz klar, vor allem die Bewahrung der Umwelt.

Gegen Lobbyismus

Die Kleinen nehmen den Wahlkampf sehr ernst

© Foto: Ralf Rödel

Mehr Umweltschutz will auch Jürgen Purzner, den die Piratenpartei für das Erlanger Stadtgebiet und den Landkreis als Direktkandidat ins Rennen schickt. Er möchte nicht, dass nur große Agrarunternehmen das Sagen haben. Das bereite ihm Sorge, sagt er. Ohnehin will der 54-Jährige den Einfluss von Lobbyisten verringern: "Die Politik soll für alle da sein und nicht nur für ein paar Interessenvertreter."

Von diesem Appell ist es zur Hauptforderung der Piratenpartei nicht mehr weit: "Um Einflussnahmen einordnen zu können, muss man über Parteispenden und Nebeneinkünfte von Abgeordneten zunächst einmal Bescheid wissen", erläutert der IT-Berater. Deshalb stehen Transparenz, die Offenlegung aller Politikerbezüge sowie der Kampf gegen Korruption ganz oben auf Purzners Agenda. Zudem möchte der Erlanger den Menschen die Angst vor dem weltweiten Web nehmen, Medienkompetenz ausbauen sowie Bürgerrechte und Datenschutz stärken — vor allem im Internet. "Heute gibt es die Möglichkeit, fast alles aufzuzeichnen, zu speichern und auszuwerten", sagt er, "das darf nicht sein".

Die Kleinen nehmen den Wahlkampf sehr ernst

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Für Christian Enz, den Direktkandidaten der Freien Wähler (FW) Bayern, geht es vor allem um Fragen der Generationengerechtigkeit. Schließlich ist er auch als Koordinator des Landes-Arbeitskreises "Soziales und Familie" der Freien Wähler tätig. So möchte der Bankkaufmann aus Höchstadt einen Ausgleich zwischen den Interessen jüngerer und älterer Menschen finden und herstellen. "Wir brauchen im Alter einen Weg hin zu mehr Lebensqualität.".

Seine Chancen schätzt der 37-Jährige, realistisch betrachtet, bei der Bundestagswahl am 24. September eher gering ein. Aber das macht nichts, sagt er. "Wenn sich die Leute auch nur ein bisschen mit unseren Themen auseinandersetzen, ist das schon ein Gewinn." Bisher laufe der Wahlkampf gut, erzählt er — und fügt an: "im Rahmen der Möglichkeiten, die eine kleine Partei eben hat."

Die Kleinen nehmen den Wahlkampf sehr ernst

© Foto: Ralf Rödel

Gerade die Vertreter der so genannten kleinen Parteien nehmen den Wahlkampf aber besonders ernst: "Politik ist mein Hobby", sagt etwa Piratenpartei-Mann Purzner. Seit fünf Jahren engagiert er sich nun in dem Bereich — und in diesem Wahlkampf will er der Öffentlichkeit vor allem seine Themen vermitteln. Große Resonanz habe er bisher noch nicht bemerkt, aber das, sagt er, könne ja noch kommen.

Über Zerstörung verärgert

ÖDP-Politiker Reinhart hingegen hat seit seiner Direktkandidatur schon einige Anfragen von interessierten Bürgern bekommen. Auch an Podiumsdiskussionen hat er als Wahlkämpfer schon teilgenommen. Das alles ist für den jungen Mann neu und aufregend. "Das ist mein erster so richtiger Wahlkampf", erzählt er begeistert. Er hat sich auch schon daran gewöhnt, dass nun im Stadtgebiet und im Landkreis Wahlplakate mit seinem Konterfei hängen.

Und eine Erfahrung, die auch "alte Hasen" im Wahlkampf immer wieder machen, kennt nun auch Reinhart aus eigener Erfahrung: "Es ärgert mich, wenn jemand mein Bild vollkritzelt oder verschmiert."

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