"Schock für Familie": Mutter mit drei Kindern abgeschoben

3.9.2018, 14:15 Uhr

© Jennifer Kellner

Es ist 7.50 Uhr in der Früh. Wie aus dem Nichts fahren Polizeiautos in der Flüchtlingsunterkunft in der Goethestraße vor. Zaira (39) darf schnell ein paar Taschen und Koffer packen, dann muss sie mit ihren drei kleinen Kindern einsteigen. Später wird es nach München gehen, wo um 13.50 Uhr ein Flugzeug nach Moskau abhebt — mit der abgeschobenen Familie an Bord.

Flüchtlingsbetreuerin Uschi Schmidt und Jutta Volland, die sich um die Familie gekümmert hat, sind fassungslos. "Wer schiebt denn eine alleinerziehende Mutter mit drei kleinen Kindern einfach ab?", fragen Jutta Vollands Tochter Elena und ihre Freundin Jennifer Kellner, die sich beide ebenfalls ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit engagieren und die Familie gut kannten, unter Tränen.

Jüngster Sohn in Deutschland geboren

Dabei habe die Familie doch schon fünf Jahre in Deutschland gelebt. "Der jüngste, Muhammed, wurde 2014 sogar hier geboren", berichtet Schmidt. Ein weiteres Kind wurde schwer krank geboren und verstarb kurz darauf; es ist in Steudach begraben.

© Uschi Schmidt

Die Familie stammt aus Tschetschenien. Das gehört zu Russland, was als sicheres Herkunftsland gilt, weshalb der Asylantrag abgelehnt wurde. Nur: Zaira hat sich in Deutschland von ihrem Mann scheiden lassen, er sitzt im Gefängnis. Sie hat keinerlei Angehörige mehr in Tschetschenien, ist also komplett auf sich gestellt. "Als geschiedene Frau mit drei Kindern ist die Situation in Tschetschenien sehr schwierig", weiß Uschi Schmidt. Zaira habe dort keine Wohnung, keinen Anlaufpunkt, kein gar nichts. "Sie steht dann dort mit drei kleinen Kindern und drei großen Koffern am Flughafen, und niemand kümmert sich."

Angeordnet hat die Abschiebung die Zentrale Ausländerbehörde der Regierung von Mittelfranken in Zirndorf. Die wiederum schicken zur Abholung die Polizei vor Ort los. "Wir vollziehen auf Anweisung der Ausländerbehörde nur den Bescheid", bestätigt der Herzogenauracher Polizeiinspektionsleiter Wilhelm Wölfel. "Es war ein Routinefall, und es gab keine Probleme." Wie viele Beamte im Einsatz waren, will er nicht sagen. Bei den Flüchtlingen in der Goethestraße ist von sechs Autos (inklusive Rettungsdienst) und zwölf Polizisten die Rede. "Sie kamen völlig unvermittelt und waren sehr unfreundlich", berichtet ein Bewohner. Auf Nachfrage habe es geheißen: "Das geht Euch nix an, geht wieder auf Eure Zimmer."

"Familie steht vor dem Nichts"

Das sei leider gängige Praxis, weiß Uschi Schmidt. Jutta Volland hat der Familie noch schnell 350 Euro zugesteckt, damit die vier erstmal über die Runden kommen. "Es war ein Schock für die Familie, Emilia hat geweint ohne Ende", erzählt Volland. Die achtjährige Emilia ist die Älteste, sie besuchte die Grundschule in Herzogenaurach, sprach einwandfrei Deutsch und wäre jetzt in die dritte Klasse gekommen. "Das ist ja dann auch für die Klasse ein super Schulstart", meint Schmidt. Zudem hätte auch die Mutter Zaira einen Deutschkurs absolviert und hätte jetzt bald eine Halbtagesstelle antreten können. "Die Familie war gut integriert", betonen die Helferinnen nochmals unisono. "Diese Abschiebung war völlig unsinnig."

Später lässt die Flüchtlingsbetreuerin noch wissen: Einem Eilantrag wurde nicht stattgegeben, die Familie saß am Nachmittag tatsächlich im Flieger nach Moskau.

Was Uschi Schmidt vor allem anprangert: "Wenn die erstmal aus Deutschland raus sind, wird nichts mehr für diese Menschen getan. Die Familie steht jetzt vor dem Nichts."

Asylanträge wurden mehrfach abgelehnt

Die Regierung von Mittelfranken hat schriftlich zu Nachfragen über die Gründe für die Abschiebung einer Mutter mit drei Kindern Stellung genommen: „Die Ersteinreise in das Bundesgebiet erfolgte 2013. Nachdem zwischenzeitlich ein Verfahren nach der Dublin-Verordnung mit dem für das Asylverfahren zuständigen Staat Polen durchgeführt worden war, die Überstellung nach Polen jedoch nicht erfolgen konnte, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im nationalen Verfahren die Asylanträge im Jahr 2016 bzw. den für das jüngste Kind gestellten im Jahr 2017 ab. Die Mutter und zwei der Kinder sind folglich seit 9.12.2016, das dritte Kind seit 19.4.2017, vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Die hierauf gestellten Asylfolgeanträge der Frau und ihrer nunmehr drei Kinder lehnte das BAMF ebenfalls ab. (...) In der Folge wurde die Familie ab Herbst 2017 aufgefordert, zur Ermöglichung ihrer Ausreise gültige Reisepässe zu beschaffen, bis schließlich die Beschaffung von Heimreisepapieren von Amts wegen eingeleitet wurde. Diese liegen seit April 2018 vor, sodass die Rückführung organisiert werden konnte. (...)

Das älteste Kind beherrscht aufgrund der in Deutschland bestehenden Schulpflicht die deutsche Sprache. Weitere Anhaltspunkte für eine gute Integration der Familie – die im Übrigen an der vollziehbaren Ausreisepflicht nichts ändern würden – liegen der Regierung von Mittelfranken nicht vor. Insbesondere zeigte die Familie nach Ablauf der Gültigkeit ihrer Reisedokumente, trotz entsprechender Aufforderung, keinerlei Bemühungen, diese zu erneuern.

Es ist Sache des Heimatlandes (Russische Föderation), sich nötigenfalls um die Familie zu kümmern. Das vom BAMF infolge der Ablehnung der Asylanträge verfügte Einreise-/Aufenthaltsverbot bemisst sich auf 30 Monate ab dem Tag der Rückführung. Nach Ablauf dieser Frist und nach Bezahlung der Rückführungskosten kann bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung ein Visum für die Wiedereinreise beantragt werden, über den dann dort zu entscheiden ist.“

Sollte jemand Kontakt nach Moskau haben oder jemanden kennen, der der Familie dort unter die Arme greifen kann, möge er/sie sich bitte bei der Flüchtlingsbetreuung Herzogenaurach melden.