Katastrophenalarm nach Raffinerie-Explosion bei Ingolstadt

1.9.2018, 15:16 Uhr
Schwarze Rauchsäulen steigen über der Raffinerie auf, sie sind kilometerweit zu sehen.

© Lino Mirgeler/dpa Schwarze Rauchsäulen steigen über der Raffinerie auf, sie sind kilometerweit zu sehen.

Bilder in den sozialen Medien zeigen, wie sich der Himmel über Irsching bei Ingolstadt rot färbte. Was dort in der Raffinerie passierte, ist noch unklar - doch die Polizei rät, im Umkreis von 20 Kilometern Fenster und Türen vorsorglich geschlossen zu halten. Die Druckwelle, sagen Anwohner, sei kilometerweit zu spüren gewesen. Fensterscheiben in angrenzenden Wohngebieten gingen zu Bruch. "Es war schrecklich", sagt eine Anwohnerin über die Sekunden nach der Detonation. Gegen 5 Uhr am Samstagmorgen war für sie die Nacht vorbei. 

2200 Menschen mussten laut dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) wegen der starken Rauchentwicklung ihre Häuser verlassen - eine Vorsichtsmaßnahme, wie die Behörden betonen. Rund 250 von ihnen wurden in der Vohburger Turnhalle versorgt. Zehn Menschen seien verletzt worden. Drei wurden mit schweren und mittelschweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. "Am frühen Morgen gab es noch 25 Vermisste", sagt der BRK-Sprecher Sohrab Taheri. "Die konnten allerdings ausfindig gemacht werden. Stand jetzt haben wir keine weiteren Verletzten zu vermelden." 

Innenminister Joachim Herrmann traf am Samstagvormittag an der Raffinerie bei Irsching ein, machte sich selbst ein Bild von der Lage vor Ort. Er spricht von einem "gewaltigen Brand" und einer "erheblichen Zerstörung an der Anlage". Der Schaden sei immens. "Doch es hätte noch schlimmer kommen können", sagt Herrmann, auch Todesfälle seien möglich gewesen. "Da kann man schon von Glück sprechen." Der Brand, so der Innenminister, dauere noch immer an. Fachleute der Feuerwehr wollen das Öl und Gas in der Leitung kontrolliert ausbrennen lassen - alles andere sei zu gefährlich. 

Mehr als 500 Retter im Einsatz

Die Feuerwehr warnt, dass noch immer akute Explosionsgefahr an der Anlage besteht. Ein Übergreifen der Flammen auf die großen Tanklager könne man, Stand jetzt, aber ausschließen. Die Polizei sperrte das rund 130 Hektar große Gelände weiträumig ab, wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord am Samstagmorgen sagte. Damit solle auch verhindert werden, dass Schaulustige dem Geschehen zu nahe kommen und womöglich in Gefahr geraten. Mehr als 500 Retter sind im Einsatz. 

Auf dem Betriebsgelände östlich der Großstadt Ingolstadt liegen ein Gaskraftwerk und die Raffinerie von Bayernoil. Die Anlagen rund um Ingolstadt sind gewaltig. Seit den 1960er Jahren wird dort Erdöl verarbeitet, ein großer Teil des bayerischen Benzins und Diesels stammt aus der Gegend um Irsching. Der Rohstoff kommt über eine Pipeline aus dem italienischen Triest. Bayernoil beschäftigt rund 800 Mitarbeiter - unter anderem sind italienische Eni-Konzern, der russische Gas-Riese Rosneft und der Öl-Gigant BP an dem Unternehmen beteiligt. An zwei Standorten im Freistaat wird ein Rohöldurchsatz von 10,3 Millionen Tonnen im Jahr verarbeitet. 

Videos zeigen lodernde Flammen

Zahlreiche Anwohner schreckten kurz nach dem Knall aus dem Schlaf, dann sahen sie eine gewaltige Rauchwolke aufsteigen. Für Anwohner besteht aber keine unmittelbare Gefahr, sagt das Landratsamt Pfaffenhofen. In den Dämpfen seien keine gesundheitsgefährdenden Stoffe in bedenklicher Dosis vorhanden. Das ergaben Messungen am Samstag. Dennoch rieten die Behörden, die Häuser in Vohburg und Irsching nicht zu verlassen. Wegen des Brandes blieb zwischenzeitlich auch die B16 gesperrt. 

"Die Feuerbekämpfung läuft auf vollen Touren", sagte ein Sprecher des Präsidium Oberbayern Nord der Deutschen Presse-Agentur. "Die Lage hat sich nur insofern entspannt, dass eine weitere Evakuierung der Anwohner nicht mehr nötig ist." Es gebe weitere Glutnester auf dem Gelände, die immer wieder aufflammen. Zudem müssen angrenzende Tanks gekühlt werden - auch sie drohen zu explodieren.

"Riesige Stichflamme und Rauchschwaden" 

"Alles hat gewackelt", schildert eine Anwohnerin die Sekunden nach der Detonation gegenüber der Agentur News5. "Wir haben draußen gesehen, dass eine riesige Stichflamme mit Rauchschwaden aufging." Die Feuerwehr sei nach wenigen Minuten bereits angefahren. "An Schlaf war nicht zu denken", sagt eine andere Anwohnerin. 

Durch die Druckwelle gingen Fensterscheiben zu Bruch, Ziegel fielen von den Dächern. "Ganze Hauswände sind umgerissen worden", sagte Joachim Herrmann, der versichert, dass die Schäden ausgeglichen werden. Der Betreiber Bayernoil veröffentlichte entsprechende Kontaktdaten auf seiner Homepage. Die Schadenshöhe auf dem Gelände ist vorerst unklar, doch Sachverständige haben die Arbeit aufgenommen.

Die Ermittlungen zur Brandursache haben die Kripo Ingolstadt und Experten des Landeskriminalamts (LKA) übernommen. Auch das Umweltministerium kündigte Untersuchungen an - man wolle klären, ob der Brand oder die Löscharbeiten Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben. "Nach jetzigem Stand besteht keine akute Gefahr mehr für die Bevölkerung", sagte Umweltminister Marcel Huber (CSU) der Deutschen Presse-Agentur