Kreuz-Debatte in Schule: Jugendliche werden ausgegrenzt

23.5.2018, 16:29 Uhr
"Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen." So lautet die Vorgabe des Erlasses von Ministerpräsident Söder.

© Foto: Annette Zoepf/epd "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen." So lautet die Vorgabe des Erlasses von Ministerpräsident Söder.

Unmittelbar nach einer Klassenfahrt mit dem örtlichen CSU-Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer nach Berlin hatte Isabella Greiner (Name der Familie geändert) an ihrer Schule ein besonders schauriges Erlebnis. Der Politiker habe nämlich bekannt, so schildert es die 16-jährige Gymnasiastin, vor dem Islam und anderen Religionen habe er keine Angst, wohl aber vor Religionslosen. Und: Das Kreuz müsse man vor sich hertragen. Zurück in der Klasse begann das, was Isabella als "Terror" empfindet, eine schulische Hexenjagd.

Offenbar angeregt vom politischen Kreuzritter Irlstorfer sei das konfessionslose Mädchen von Mitschülern angegangen worden. Sie sei aufgefordert worden, das Gymnasium doch zu verlassen. Obendrein hätten sie Pläne gehegt, den Tisch Isabellas und die Tafel mit Kreuzen zu bemalen sowie ein besonders großes rotes Kreuz im Klassenzimmer anzubringen. Irgendjemand hängte dann auch tatsächlich demonstrativ ein Klassenzimmerkreuz an die Wand, das zuvor schon entfernt worden war.

An den Pranger gestellt

Das stellte den vorläufigen Höhepunkt eines unerbittlichen Streits ums Christenkreuz im Wolnzacher Hallertau-Gymnasium dar. Isabella Greiner und ihre 14-jährige Schwester Petra — beide zählen dort zu den besten Schülerinnen — fühlen sich als bewusst religionsfreie Jugendliche ausgegrenzt, nicht akzeptiert, und jetzt sogar in der Schulgemeinschaft an den Pranger gestellt. Wenn man sich mit ihrer Mutter unterhält, wird spürbar, wie verletzend und besorgniserregend das für sie ist. Die Stimme der Mutter bricht gelegentlich weg. Aber einschüchtern lassen wollen sich die Greiners auch nicht.

Die Familie hat nach aufreibenden Aktivitäten, die vor zwei Jahren begannen, durchgesetzt, dass in den Räumen, in denen die beiden Schwestern Unterricht bekommen, die Kreuze abgehängt werden. Ihre Kinder folgten humanistischen Grundsätzen, lebten dogmenfrei, nicht religiös und besuchten keine Gottesdienste. So begründen sie den Schritt. Schon gegen den Antrag, Kreuze abzuhängen, hatte sich Schulleiter Christian M. Heller mit Händen und Füßen gewehrt.

"Zunächst verweise ich darauf, dass am Hallertau-Gymnasium Wolnzach in den Jahrgangsstufen 5 mit 10 knapp 90 Prozent unserer Schülerinnen und Schüler den evangelischen oder katholischen Religionsunterricht besuchen", schrieb er damals an die Greiners, "und ich bitte Sie daher um Verständnis und Toleranz für die berechtigten Interessen der konfessionsgebundenen Mehrheit." Er bat vergeblich darum, den Antrag zurückzuziehen.

"Von allen Seiten verachtet"

Die heute 16-Jährige hatte ihrem Direktor selbst schriftlich geantwortet. "Sind die zehn Prozent jetzt weniger wert als die anderen, weil sie nicht zur Kirche gehören?", fragte sie eindringlich und schilderte ausführlich ihre Ablehnung der christlichen Lehre und die Verfolgung Andersgläubiger durch Christen in der Geschichte. Zudem beklagte sie, in der Schule werde sie wegen ihrer Haltung "vor der ganzen Klasse bloßgestellt" und "von allen Seiten verachtet". Gerade an einer "Schule ohne Rassismus" müsse aber doch alles gegen Diskriminierung und Benachteiligung getan werden. Finden Sie nicht?"

Die Antwort des Oberstudiendirektors an Isabellas Eltern zeugt wenig von erzieherischem Einfühlungsvermögen oder einem außergewöhnlich tiefen Verständnis von Pädagogik. "Es zwingt niemand Ihre Kinder dazu, unsere Schule zu besuchen", schreibt er unter anderem und empfiehlt andere Gymnasien. "Ein Wechseln sollte kein Problem sein."

Nach dem Vorfall während und nach der Berlin-Klassenfahrt im April kam Christian M. Heller in schriftlich festgehaltenen "Überlegungen" noch einmal auf eine besonders verstörende Art auf diesen Vorschlag zurück. Man müsse sich mit dem befassen, was tatsächlich passiert sei, "hier könne die Schulleitung ansetzen (zum Beispiel bei der Aufforderung an Isabella, die Schule zu verlassen)".

Er listet locker auf "Was ich gerne tun kann/könnte". Darunter findet sich etwa die naheliegende Idee, "der 10d klarzumachen, dass Kreuze in manchen Zimmern abgehängt wurden, und deutlich zu machen, dass diese Entscheidung zu respektieren ist". Es folgt aber umgehend ein einschränkendes und versales "ABER": "Wie soll das gehen? Ich darf hier keine Fakten nennen, da mit dem Thema vertraulich umzugehen ist."

Und was die Aussagen des MdB Irlstorfer angehe, sollten sich die Erziehungsberechtigten direkt an den Abgeordneten wenden, "denn es geht hier um etwas, was den schulischen Rahmen meines Erachtens transzendiert".

Es lässt sich leider nicht herausfinden, ob der Direktor solche Formulierungen als leisen Einschüchterungsversuch gegenüber der Familie versteht, ob sie schlicht als schlechter Witz eines überforderten Schulleiters zu werten sind oder als Ausdruck besonderer Gnadenlosigkeit, denn auf Anfrage tut er kund, er werde zu der "sogenannten Kreuz-Debatte" keinerlei Auskunft erteilen. An die Eltern hat er geschrieben, es tue ihm leid, dass Isabella in der Schule geschnitten werde, "aber das ist z. B. kein im schulischen Kontext ,strafbares‘ Vergehen".

Ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar. Der Schulstreit ist mittlerweile vor dem Verwaltungsgericht München gelandet. Familie Greiner will dort erreichen, dass auch das etwa 1,2 Meter große Kruzifix abgehängt wird, das sich seitlich am Treppenaufgang der Aula befindet. Ihre Töchter müssten täglich an "einer Leiche, leidend, vom Schmerz verzerrt, grausam" vorbeigehen. Ihren konfessionsfreien Erziehungs- und Wertvorstellungen laufe so etwas zuwider.

Für die Regierung von Oberbayern hat der Landesanwalt bereits beantragt, die Klage abzuweisen. Dieses Kreuz sei ohne direkte "aufdrängende" Wirkung. Es strahle allenfalls "zeitlich nur kurzfristig" aus.

Von der Schule sei, so die Mutter, nur erneut ein offenbar reichlich unüberlegter Vorschlag gekommen: Die Kinder sollten dann halt den Hintereingang verwenden.

Das empört Gisela Greiner ganz besonders: "Es gab schon mal schlimme Zeiten, in denen Andersdenkende nur den Hintereingang benutzen durften." Sie spricht mittlerweile von "Glaubensverfolgung" und ängstigt sich um das Wohl ihrer Töchter in der ihnen feindlich gesonnenen Schulumgebung.

Ärger um "Alternativunterricht"

Vor Gericht gehen die Greiners außerdem gegen einen "Alternativunterricht" vor. Den hat Heller für Kinder wie Isabella und Petra verpflichtend angeordnet, die nicht die Schulgottesdienste besuchen. Diese Stunden verstießen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, argumentiert die Anwältin der Familie. "Strafunterricht" für Nichtchristen oder "Heidenunterricht" wird er unter Schülern genannt.

Die Wunden, die der Konflikt ums Kreuz am Wolnzacher Hallertau-Gymnasium nun schon seit fast zwei Jahren tiefer und tiefer geschlagen hat, beginnen bei leisesten Berührung zu bluten.

Der Oberstufenkurs "Dramatisches Gestalten" bringt ausgerechnet jetzt Ödön von Horvaths bekannten Roman "Jugend ohne Gott" aus dem Jahr 1937 auf die Schulbühne. Gisela Greiner empfindet die Wahl des Stücks wie beißenden Hohn, bei dem Druck, der auf ihre Kinder ausgeübt werde. Dabei muss man Horvaths Werk keineswegs als religiöses Buch verstehen. Man kann es auch als Plädoyer für individuelle Freiheit und geistige Unabhängigkeit sehen.

Neuerdings tragen Mitschülerinnen von Isabella und Petra auffällige Kreuzanhänger an Halskettchen. Es seien welche darunter, die früher nie "Bock auf Religion" gehabt hätten. Aber es wird jetzt eben in der Schule auch eine Art Guerilla-Kampf ums Kreuz ausgetragen. "Wir gehören nicht mehr dazu", sagen die beiden stillen Mädchen. Es ist ein echtes Drama in Wolnzach.

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