Jean Paul Egide Martini: Renaissance zum 200. Todestag?

8.1.2016, 19:09 Uhr
Jean Paul Egide Martini: Renaissance zum 200. Todestag?

© Foto: Fritz Etzold

Der Komponist hieß „Jean-Paul Schwarzendorf“ als er dieses Lied schrieb, lebte als junger Kerl von 19 Jahren 1760 in der Residenzstadt Nancy. Wo als „falscher“ König der in Polen abservierte König und Schwiegervater des französischen Königs Ludwig XVI. residierte: Stanislaus Leszcynski. Aber das Pseudonym des jungen Komponisten war auch überholt: so wie sein Vater nannte er sich nach seiner Zeit in Lothringen wieder „Jean Paul Egide Martini“.

Er stammte als Johann Paul Egidius Martin aus Freystadt in der Oberpfalz und war 1760 in Lothringen auf dem Karriereweg nach Paris. Und um dort jeder Verwechslung vorzubeugen, fügte er zu Martini noch „il tedesco“ hinzu, weil es auch in Italien einen komponierenden Martini gab. Il Tedesco kam nach Paris, wurde dort berühmt und ist dort 1816 gestorben, ohne Freystadt je wiedergesehen zu haben.

Dort aber und in der historisch informierten Musikwelt feiert man dieses Jahr seinen 200. Todestag und fragt sich, ob es diesmal zu einer Martini-Renaissance reicht.

Interessant genug wäre allein schon die Biografie: typisch für einen Künstler des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, des Zeitalters der weltgeschichtlichen Umbrüche vom alten absolutistischen Königtum zum modernen Nationalstaat und der entsprechenden revolutionären Veränderungen. Davon ahnte der Schulmeisters- und Organisten-Bub aus der altbairisch-wittelsbachischen Gründung Freystadt noch nichts: als sechstes von zunächst zehn Kindern half er dem Vater bei der Gestaltung der Gottesdienste in der neuen Wallfahrtskirche von Baumeister Viscardi. Später kamen noch vier Geschwister von der Stiefmutter dazu: ärmliche Schulmeistersverhältnisse – auch deshalb wurde der begabte Johann Paul Egidius schon mit zehn Jahren bei den Jesuiten in Neuburg/Donau eingeschult.

Das Seminar dort war Teil der weithin berühmten Neuburger Kunstpflege, und Martini wurde erst Orgelspieler, dann auch Schüler der Dichtkunst und Orgel-Instruktor. Mit dem Vater gestaltete er weiterhin gelegentlich Gottesdienste, aber die Verbindungen zur Familie in Freystadt waren für beide eher eine Belastung. So machte sich Johann Paul für vier Semester zu einem Philosophiestudium nach Freiburg im Breisgau auf.

Hübsche Anekdote

Es ist eine hübsche Anekdote, die Franz Willibald Schreyer überliefert, dass der Freystädter in Freiburg eine Feder fliegen ließ, die ihm den weiteren Lebensweg weisen sollte: für einen Musiker kamen sowieso nur Italien oder Frankreich in Frage. Martini ließ alles zurück: die Familie, seine durch die Ausbildung in Neuburg bedingten Schulden und dann auch seinen Namen. Er tritt in der lothringischen Hauptstadt in eine Orgelbauerwerkstatt ein, studiert Orgelbau und Komposition und als wichtigstes Mittel seiner Integration die französische Sprache. Kein Wunder, dass König Stanislaus auf ihn aufmerksam wird, ihn gut besoldet in seine Kapelle holt.

Viel Beifall erntet Martini durch seine Musikstücke, seine charmanten Chansons, sein Salär ermöglicht ihm die Heirat mit einer Zimmermeisterstochter und Nichte des Organisten an der Kathedrale von Nancy. Aber so schön das mit seinen Schlössern, dem Hofpark und den schmiedeeisernen Gittern auch war: die Musikhauptstadt waren Paris und der königliche Hof von Versailles.

Es sind die berühmtesten Namen des französischen Hochadels, die jetzt seinen Weg kreuzen und ihn protegieren: Choiseul, Condé, Artois, „15 Jahre alt und schon verliebt“ hieß seine erste Oper.

Die Namen der folgenden zeigen den unbedarften Singspielcharakter dieser Stücke und den Musikgeschmack der Zeit: „Der Bauer, der sich taub stellt“, „Das ausgenützte nächtliche Rendezvouz“ – das alles sehr beliebt beim vergnügungssüchtigen Hof des „ancien régime“, genauso wie Martinis innovative Militärmusiken. Aber sie wurden auch zur schweren Belastung bei Ausbruch der Grande Révolution.

Der Mann, der bei keinem Versailler Fest mit seiner Musik fehlte, der die höchsten Auszeichnungen bekam, gräflicher Kapellmeister und „Superintendant der königlichen Kapelle“ Ludwigs XVI. war, sich in gewagten Theatergeschäften versuchte, stürzt mit der alten Gesellschaft und Herrschaft und muss vor der Verfolgung durch die revolutionären Machthaber nach Lyon fliehen: einem Zentrum der verfolgten Royalisten. Alle Posten hat er verloren, alle Einkünfte. Immerhin findet er neue Protektion, schreibt Opern für die Schublade, wird 1793 geschieden.

Aber da war auch seit sechs Jahren der Mann tot, der sein Haupt-Konkurrent in Paris war: Christoph Willibald Gluck – auch aus der Oberpfalz und nur wenige Kilometer von Freystadt entfernt geboren. Dem blieb erspart, sich durch die Revolution kämpfen und sich wie ein Stehaufmännchen bewähren zu müssen.

Denn 1793 sieht man Martini wieder in Paris: zu Zeiten des Directoires mit seiner neuen Oper „Sappho“, dann wieder am Konservatorium (bis 1804). Und auch das Kunststück gelingt Martini: dem neuen Machthaber, Napoleon Bonaparte, gefällt seine Musik. Leider nicht so sehr, dass seine „Messe Solemnelle“ zur Hochzeit mit Joséphine Beauharnais gespielt wurde. Da bekam der neue Konkurrent Luigi Cherubini den Vorzug.

Brillanter Stil

Die Restauration der Bourbonenherrschaft unter Ludwig XVIII. schien auch für Martini die großen alten Zeiten zurückzubringen: Man lobte seinen brillanten Stil, die Frische seiner Melodien, kurz vor seinem Tode verleiht ihm der König das Großkreuz des St.-Michaels-Ordens – auch für die Reform der französischen Militärmusik.

Zum Dank dafür dirigiert Martini zur Erinnnerung an die Hinrichtung Ludwigs XVI. und seiner Frau Marie Antoinette eine Totenmesse. Wohl wissend, dass es die „letzte Freude“ für ihn sein würde: am 10. Februar 1816 schloss er für immer die Augen. Im „Moniteur“ las man: „Gerade ist Mr Martini, Surintendant de la Musique du Roi et Maitre de musique de la Chapelle, der Komponist berühmter Opern, exzellenter Kirchenmusiker und sehr geschätzter Verfasser theoretischer Arbeiten gestorben.“ Seinen Sarg schmückten Orden, Lorbeerkranz, Cherubini und drei andere Kollegen hielten das Leichentuch, als der Kondukt durch Paris Straßen zog.

Kaum zwei Zeilen

Noch 1963 beschwerte sich die „Niederrheinische Musik-Zeitung“, die Blätter hätten kaum zwei Zeilen übrig, um an Martini zu erinnern: „Vielleicht weiß man in Baiern nicht einmal, dass Martini dort das Licht der Welt erblickte!“

Das hat sich zumindest in der Metropolregion Nürnberg geändert: Mit Martini-Aufführungen etwa 1986 bei einer Komponisten-Party der Freystädter Konzerttage (im Verein mit Weber und Liszt), 2002 mit einem Martini-Festival in Freystadt und der Aufführung der Grande messe Solemnelle, einer Aufführung 2004, der Messe Solemnelle bei der „Musica Franconia“ 2014 in Nürnberg, Freystadt und Gößweinstein, Martinis „Te Deum“ zusammen mit der Symphonie op. 5 Nr. 2 von 1768 in 2015 in Freystadt.

Und auch das alte „Lehrer- und Knabenschulhaus“ gibt es in Freystadt noch: 1986 umgebaut und umgewidmet, seit 2002 erinnert dort eine Gedenktafel an den großen Sohn. Sein Grab aber, das mit dem königlichen Lorbeer geschmückt war, ist verschwunden: die Konzession wurde nicht weiterbezahlt.

Paris, der Schauplatz seiner Erfolge und seine Wahlheimat, erinnert nur mit einer kurzen Straßenverbindung im zehnten Arrondissement an ihn. Ohne weitere Erläuterung heißt diese: „Impasse Martini“.

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