Schwebende Gliedmaßen-Knäuel

19.3.2010, 00:00 Uhr
Schwebende Gliedmaßen-Knäuel

© privat

Bis dahin kann man einen idyllischen Venedig-Spaziergang durch die »Stadtbrille» hindurch und die Vils entlang machen bis zum »Klösterl» oder der »Engelsburg». Und vielleicht noch in der Frühlingssonne einen guten Schluck im Reßwurmhaus nehmen, der einen wieder ins Gleichgewicht bringt. Denn so fröhlich bunt einem Günter Dollhopfs Aliens auch entgegen schweben, so zuverlässig kommen einem doch Ekel und Widerwillen die Gurgel hoch.

Bieder heißt das ganz unverfänglich »Blaustampfer» - wie eines der großformatigen Bilder, die Dollhopf, früher einer der führenden Professoren der Nürnberger Akademie, jetzt lebt er in Amberg, erst kürzlich wieder überarbeitet hat und auf dem er dralle Körperteile ineinander verschlingt: Beine, Arme, Füße, weiße Binden weisen auf Dollhopfs Schmerz- und Krankheitsattitüde früherer Bilderserien hin.

»Sport» und »Lebenskampf» sollen die Themen sein, aber man denkt auch an Doping, wenn auf diese wuchtigen Blaustampfer kleine spitze Objekte wie Spritzen im Anflug sind. Die stechen in die pralle Körperlichkeit hinein, in diese sich wie im Ringkampf umschlingenden Gliedmaßen.

Dollhopf gelingt das Kunststück, die wuchtigen Gestalten von jeder Erdenschwere zu befreien. Die Gliedverschlingungen schweben durch ihre Galaxis, Wölkchen umschweben den »Rotbauch», an dem wie hungrige Säuglinge lustig-eklige Sauger angedockt haben. Lippenstiftrot dieser Bauch, weiß die Wölkchen am blitzeblauen Himmel, dick die Schenkel, die aus dem Wanst herauswachsen – genau wie die Geschwüre und Pickel, dass einem schlecht werden könnte.

Auch die Drucke in Wilhelm Kochs experimentierfreudig-unterhaltsamem Luftmuseum spiegeln den alten und zugleich aktuellen Dollhopf: etwa sein »Innenleben» (1976/2009), dieser mit Mullbinden umwickelte Körper auf pickligen Brüsten, in dessen Innerem sich Gliedmaßen zusammenknüllen. Obendrauf wie auf einer Sahnetorte noch zwei rote Brüste mit weißen Warzen wie aus Marzipan – unheimlicher Konditorenweltraum. In dem schweben viele dieser perfekt gemalten »Ballbomber» oder »Blauen Ringer», die den Himmel beherrschen oder im Formationsanflug sind.

Einzelne Drucke aus dieser Schau kann man sich zu äußerst attraktiven Preisen nachhause holen: viel blaue Fröhlichkeit (»Am Busen der Natur»), überschwebt von Wolken und Brüsten, zugleich aber niederdrückend in blauer Massigkeit.

Wer nicht genug hat von diesen schauerlich-schönen Erfindungen, stellt sich noch vor Dollhopfs »Spiegelkästen». Dann hören die Reihen mit den unzähligen kleinen Gliedern überhaupt nicht mehr auf, die sich unter riesige Binden-Monster ducken – eine unentrinnbare Situation, die sich in alle Richtungen hin fortsetzt, Aliens wohin man schaut. Auch in Schwandorf, wo dicke Schenkel durch die Hauptstraße marschieren – zum Glück nur auf einer von Dollhopfs alten, frechen, schaurigen Postkarten-Collagen. UWE MITSCHING

Die Ausstellung ist noch bis zum 24. April im Luftmuseum, Eichenforstgässchen 12, in Amberg zu sehen. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr, Samstag und So nntag von 11 bis 17 Uhr. Auskünfte unter (09621) 420883.