12. März 1967: Heim für "Zugvögel"

12.3.2017, 07:00 Uhr
12. März 1967: Heim für

© Ulrich

Das Johannisheim bietet 67 Plätze und macht damit die Auflösung der früheren Unterkünfte am Thoner Espan sowie an der Hohen Marter möglich. "Wir sind billig und zweckmäßig zu dieser Lösung gekommen", erklärte gestern Sozialreferent Dr. Max Thoma vor dem Sozialausschuß.

Die ersten Mädchen und Frauen zwischen 18 und 80 sind bereits in die – früher für Lungenkranke obligatorischen – Ein- und Zweibettzimmer eingezogen. In zwölf Räumen des stattlichen Hauses aus den zwanziger Jahren werden kleine Änderungen vorgenommen, damit sich hier obdachlose Mütter vor und nach der Niederkunft aufhalten können. Ab 1. April ist das außen und innen renovierte Gebäude komplett eingerichtet – ein modernes Asyl für Wohnungslose, Durchreisende, Gestrandete, ob mit oder ohne Kinder.

Mutig steht Schwester Johanna vom Diakonissenmutterhaus Martha-Maria, unterstützt von Schwester Anna, vor ihrer schweren Aufgabe, zumal auch der Küchenbetrieb – verlegt aus dem Männerheim Großweidenmühle – hinzukommt. 6 DM beträgt der tägliche Verpflegungssatz für die Bewohnerinnen, den sie aus Arbeit oder Rente aufbringen müssen. Das keineswegs wie eine Besserungsanstalt wirkende Haus wird viele Gäste sehen: Zugschwalben von irgendwoher nach irgendwohin. Dennoch erfüllt es eine wichtige soziologische Funktion.

Von den gefährdeten Frauen ging der Sozialausschuß, der im Johannisheim unter Vorsitz von Bürgermeister Franz Haas tagte, zu den gefährdeten Familien im Schafhoflager über. Hier will man beim ersten Abschnitt für den Bau von mehr als 100 Wohnungen – freilich erst dann, wenn die vorgesehenen Mittel über 1,6 Millionen DM freigegeben sind – das Raumprogramm ändern und statt mehrerer kleiner Wohneinheiten eher größere schaffen. So sollen demnach 15 Ein-, 40 Zwei-, 15 Drei- und 35 Vierzimmerwohnungen entstehen.

"Das Schafhoflager ist eine Sorge für uns alle!", sagte Dr. Thoma und begründete die Verschiebung des Raumzuschnitts auf die Tatsache, daß die außerhalb gesellschaftlicher Norm lebenden Familien eher größer als kleiner werden. Stadtrat Erich Wildner (CSU) regte an, nicht länger Pläne zu schmieden, sondern den ersten Spatenstich zu realisieren.

Eine wenig populäre, aber zwangsläufige Entscheidung müssen die Eltern von Erstklässlern hinnehmen: mit dem neuen Schuljahresbeginn im Herbst gibt es keine kostenlose "Schulmilchspeisung" mehr. Sie wird von diesem Zeitpunkt an nur noch etwa 2500 Kindern verschiedener Jahrgänge gewährt, die als nachgewiesen bedürftig und gesundheitlich anfällig gelten.

Zu diesem Schritt ist die Stadt gezwungen, nachdem ihr nach einer jüngsten Entschließung des Landwirtschaftsministeriums die Subventionen in Höhe von 4 Pfennig pro Flasche Milch (die Stadt brachte 11 Pfennig auf) ab 17. März gestrichen worden sind. Um das Programm dennoch weiter durchzuhalten, müßten zu den im Haushalt angesetzten 167.200 DM noch 54.000 DM nachgefordert werden. Immerhin: bis Ende des Schuljahres bleibt alles noch beim alten. Stadträtin Käte Reichert und Dr. Thoma empfahlen den Eltern künftiger Erst- und Zweitkläßler, ihre Kinder selbst mit 15 Pfennig pro Tag zu versorgen und sie zum Milchkauf zu bewegen.

Vom Ausgleichsamt der Stadt sind vom 1. September 1952 bis 31. Dezember 1966 rund 600 Millionen DM an Leistungen bewilligt worden. "Inzwischen ist zu merken, daß die allgemeine Mittelverknappung auch beim Lastenausgleich nicht haltmacht – obwohl alle 'Pflichtgelder' nach wie vor flüssig sind", erläuterte der Sozialreferent. Große Beträge sind für den Wohnungsbau verwendet worden, und demnächst stehen 800 000 DM zur Auszahlung bereit. "Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein", kritisierte Stadtrat Heinz Schmude (SPD) als Pfleger des Ausgleichsamtes die Situation.

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