10. Februar 1967: Mut am falschen Fleck

10.2.2017, 07:00 Uhr
10. Februar 1967: Mut am falschen Fleck

© Ulrich

Obwohl die Verkehrsregeln auch für Fußgänger gelten, gehen die Leute bei Rot über die Fahrbahn, ärgern die Autofahrer und bringen sich häufig in Gefahr. "Die 30-Sekunden-Phase scheint manchen Fußgängern offensichtlich zu lang, aber wenn ein Unfall passiert, haben sie eine halbe Stunde Zeit, um zu gaffen", sagt die Polizei über dieses Verhalten.

Wir haben an kritischen Stellen die Fußgänger beobachtet und die "Sünder" gefragt: "Warum gehen sie bei Rot über die Fahrbahn?" Die meisten gaben als Grund an, dass weit und breit kein Auto zu sehen war.

Diese Ausrede lässt die Polizei aber nicht gelten. "Die signalisierten Überwege sind zum Schutze der Fußgänger geschaffen worden. Auch die Autofahrer müssen warten, bis die Ampel grünes Licht für sie anzeigt", sagt der stellvertretende Leiter der Schutzpolizei, Oberamtmann Emil Ostertag.

10. Februar 1967: Mut am falschen Fleck

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Die Streifenbeamten und die Polizisten in Zivil ("Wenn die Leute eine Uniform sehen, trauen sie sich nicht") sind angehalten, unnachsichtig zu verwarnen. Sie können jedoch nicht überall sein, daher achten täglich Tausende von Fußgängern das Rotlicht nicht, wie etwa jenes ältere Ehepaar, das beim Nassauer Haus die Fahrbahn überquert. Als es auf dem Mittelstreifen ankommt, schaltet die Ampel auf Rot. Die Eheleute gehen dennoch weiter.

"Wall nu gröi woar", erklärte der Mann und versucht, sich zu rechtfertigen. Seine Frau unterbricht ihn: "Na, wall ka Auto kumma is. Nou homma uns gsacht, etzela gengema nu nüwer. Obber wissen‘s, sunst machma suwos fei nett. Wos glaab‘ns, wöi mir gestern g‘schimpft hom, wöi dou a alte Fraa am Bohuuf über döi braade Straß ganga is‘. Dös woar ja richti lebensgfährlich". Die Frau hatte nicht bemerkt, dass kurz zuvor auch ihretwegen ein Autofahrer hatte bremsen müssen.

Auch eine Frau wagt es, vor den heranbrausenden Autos noch hinüberzuwischen. "Da habe ich gar nicht aufgepasst. Und außerdem habe ich es eilig. Bloß steht jetzt meine Tochter drüben und ich muss warten", sagt sie mit verlegenem Lächeln.

Eine junge Dame, die mit engem Rock und hochhakigen Stöckelschuhen über den Zebrastreifen tippelt, fragt erschrocken: "Sind sie von der Polizei? Da muss ich wohl zahlen?" Sie hat noch einmal Glück gehabt. Erleichtert gesteht sie mit gekonntem Augenaufschlag: "Wissen sie, auf diesem schmalen Stück gehe ich immer rüber."

Diese Erfahrung lässt sich an allen Brennpunkten machen. Je schmaler die Fahrbahn ist, desto verwegener werden die Fußgänger. Bei breiten Straßen fehlt vielen doch der Mut – nicht aber der Studentin, die sich bei Rot mitten auf der Fahrbahn am Hauptbahnhof mit einem "Kollegen" über den Fasching unterhält. Ein altes Mütterchen wagt sich ebenfalls ins Verkehrsgewühl, obwohl ihr die Ampel Halt gebietet. Als sie auf dem rettenden Gehsteig angekommen ist, muss sie erst einige Minuten verschnaufen.

Ein Optimist muss jener alte Mann sein, der am Krückstock geht und am Plärrer die Verkehrsregeln missachtet. "Das sieht jeder, dass ich ein Schwerkriegsbeschädigter bin. Also kann mich auch keiner zusammenfahren", sagt er kurz angebunden.

Die Polizeibeamten müssen sich manchmal noch ganz andere Dinge anhören, wie Oberamtmann Ostertag berichtet. "Wenn wir gleich mehrere Fußgänger auf einmal gebührenpflichtig verwarnen und ihnen zwei Mark abnehmen, ergreifen andere sofort deren Partei", erzählt er. Die Polizisten bekommen dabei genug zu hören: "Fangt doch erst einmal die Verbrecher!"

Emil Ostertag ist von der "Disziplinlosigkeit der Nürnberger Fußgänger" enttäuscht. "Wer bei Rot über die Kreuzung geht, handelt verantwortungslos, auch wenn kein Auto zu sehen ist. Es gibt genug Ecken, die nicht einzusehen sind und aus denen plötzlich ein Auto auftauchen kann."

Der Oberamtmann verweist auch auf die rechtlichen Gesichtspunkte: "Ein Fußgänger ist ein Verkehrsteilnehmer und kann jederzeit zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er einen Unfall verschuldet!"

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