10. Juni 1968: Auf Bildern erkannt

10.6.2018, 07:00 Uhr
10. Juni 1968: Auf Bildern erkannt

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Die Vorwürfe gegen die beiden Demonstranten, die auf Bildern von Kriminal- und Schutzpolizeibeamten erkannt worden waren, ließen sich jedoch nicht beweisen.

Trotzdem kam der Gymnasiast nicht ungeschoren davon: das Gericht gab ihm eine Verwarnung und verurteilte ihn zu einem sechsstündigen Arbeitseinsatz für einen gemeinnützigen Zweck. Sein Mitstreiter im Kampf gegen die Notstandsgesetze durfte sich dagegen freuen: sein Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.

„Wer sich an einer Zusammenrottung von Menschen beteiligt, die ein gewaltätiges Ziel verfolgen, erfüllt den Tatbestand des Landfriedensbruchs.“ Mit diesen Worten umriß Erster Staatsanwalt Hermann Gruber das Problem, vor das sich die Demonstranten bei den Zwischenfällen zur Eröffnung des Parteitages in der Meistersingerhalle gestellt sahen. Die Tatsachen sind offenkundig: die Minister Wehner und Brandt waren in die Menge eingekeilt. Ob sie geschlagen wurden, steht nicht eindeutig fest. Erwiesen ist allerdings, daß fünf SPD-Fahnen von den Masten gerissen, eine Plakatwand angezündet, ein Polizist mit einer Ammoniakflasche verletzt und Steine gegen das Portal der Meistersingerhalle geworfen wurden.

Staatsanwalt Gruber: „Die Verfahren gegen Gaffer haben wir alle eingestellt. Der Oberschüler war jedoch immer in der ersten Reihe zu finden. Es ist nur ein Zufall, daß es keine Bilddokumente gibt, die ihn bei Gewalttätigkeiten zeigen.“ „Ich bin nur aus Neugierde hingegangen“, versuchte sich der 16jährige zu rechtfertigen. „Als ich die Plakatwand erreichte, hat sie schon gebrannt.“ Sein Rechtsanwalt Frank Schieder betrachtete diese Zwischenfälle als Einzelaktionen. „Mein Mandant hat sich davon bewußt distanziert, in dem er sich an der Geldsammlung für den verletzten Polizeibeamten spontan beteiligt hat“, erklärte er.

Amtsgerichtsrat Paul Helldörfer war nicht bereit dieser Argumentation zu folgen. „Der Oberschüler hat gesehen, daß Gewalttätigkeiten verübt wurden. Er hätte sich entfernen müssen.“ Nach der Urteilsverkündung meinte der Vorsitzende: „Wer Zeit zum Demonstrieren hat, muß auch Zeit zum Arbeiten haben.“

Der Richter teilte die Vorfälle in zwei Abschnitte ein. „Man muß den Menschenauflauf vor dem Tagungslokal von dem Herunterreißen der Fahnen trennen“, betonte er und unterstellte dem Bäckergehilfen, daß er sich aus der Menge nicht zurückziehen konnte, in die die SPD-Prominenz eingekeilt war. In dieser Auffassung wurde Amtsgerichtsrat Paul Helldörfer auch durch die Zeugenaussagen von zwei Polizeibeamten bestärkt. Aus diesem Grund stellte er das Verfahren gegen den 18jährigen ein, der sich den Ministern auf Tuchfühlung genähert hatte.

Das war nicht der letzte Prozeß gegen Demonstranten. In den nächsten Wochen folgen noch elf Verfahren, bei denen 17 Jugendliche – einige von ihnen als Rädelsführer – wegen Landfriedensbruchs angeklagt sind.

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