10. Mai 1968: Die Aufklärungskampagne geht Eltern ebenso wie Kinder an

10.5.2018, 07:00 Uhr
10. Mai 1968: Die Aufklärungskampagne geht Eltern ebenso wie Kinder an

© Ursula Helmholz

Sie dauert mit einem vielseitigen, eindringlichen Programm bis Ende Mai. Rund 3000 scheußliche Verbrechen an Mädchen und Buben sind letztes Jahr in Bayern registriert worden: die "Dunkelziffer" liegt jedoch weit höher. In Nürnberg konnten 1966 von 177 "unzüchtigen Handlungen" 162 aufgeklärt werden, aber auch 55 Fälle von Notzucht (54 aufgeklärt) lagen vor. Was gegen die "Männer mit dem Bonbon" getan werden muß, wollen der Bayerische Städteverband zusammen mit dem Landkreis-verband Bayern, dem Bayerischen Gemeindetag, dem Landesjugendamt und der Landesstelle Aktion Jugendschutz nach eingehender Vorarbeit warnen. Den krankhaft veranlagten, geistig minderwertigen, hemmungslosen, altersschwachsinnigen Individuen – auch Bekannte und sogar Verwandte gehören oft dazu! – soll ihr übles Handwerk gelegt werden. Die Flugblätter in den Nürnberger Schulen, Horten und Kindergärten sind nicht nur für die Kinder bestimmt. Jeder soll das rosa Faltblatt mit vielleicht wirkungsvollem "Schocktext" mit nach Hause nehmen und auch die Eltern lesen lassen.

10. Mai 1968: Die Aufklärungskampagne geht Eltern ebenso wie Kinder an

© Ursula Helmholz

Die vielen bunt bedruckten Löschblätter – Zeichnungen besagen, daß man nicht in fremde Autos einsteigen, sondern sich vielmehr das Kfz-Kennzeichen merken soll, wenn ein Schulkamerad diesen Fehler begeht – sind für das tägliche Klassenheft bestimmt. Die bewährte Puppenspielbühne "Die Kullerköpfe" aus Berlin wird erneut vom 13. bis 24. Mai in vielen Schulen gastieren. Kurzfilme wie "Die Pfütze", "Augen auf Peter", "Der Mann mit den Bonbons" und – in Freizeit-heimen, Jugendwohnheimen sowie Jugendorganisationen – der Spielfilm mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe "Es geschah am helllichten Tag" werden gezeigt. Ferner sind Elternversammlungen für die unteren Klassen der Volksschulen, Kindergärten und Horte vorgesehen, wobei die Möglichkeit besteht, mit Polizeibeamten Kontakt aufzunehmen. "Wichtig bei allem erscheint mir, daß bei den Eltern ein erneuertes Mißtrauen wachgerufen wird", sagte Sozialreferent Dr. Max Thoma zum Auftakt dieser Aktion, "daß sie hellsichtiger und wachsamer werden! Und dabei geht es nicht nur um das eigene Kind, denn Verantwortung besteht für jeden Erwachsenen. Die Problematik der Sittlichkeitsdelikte ist zu groß!" Dr. Thoma ging nicht an einem Kern des Übels vorbei, wenn er meinte, daß die „gewissen Tabus“ durch die Lehrer abgebaut werden müßten (Stadtschuldirektor Kurt Gemählich nickte zustimmend) und daß ganz allgemein in diesem Zusammenhang das Eltern-Kind-Verhältnis verbessert werden sollte.

Auch die Kriminalpolizei zeigt besonders während dieser Aktion eine aufmerksame Bereitschaft, Eltern und Kindern ein Freund und Helfer zu sein, haben doch die Nürnberger Beamten hinlänglich Erfahrung mit Kinderverderbern: einer der herausragendsten Fälle war der des 47jährigen Heinz V., der als Hausmeister bei einem Sportclub tätig war. Dieser Mann hatte sich im Verlauf von mehreren Monaten an einer Reihe von Schülern unsittlich vergangen. In der Kraftsportabteilung verführte er Buben von neun, elf, 13 und 15 Jahren. Die Jugendlichen erzählten sich gegenseitig von den Vorfällen, doch unterrichteten sie weder Eltern noch Jugendleiter. Heinz V., einschlägig vorbestraft, wurde von der Jugendschutzkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Liste solcher widerwärtigen Taten reicht weiter, doch soll‘s damit bewendet sein.

Wesentlich erscheint es der Kriminalpolizei im Nürnberger Präsidium, die aktiv bei der Aktion "Schützt die Kinder vor Sittlichkeitsverbrechern" mitwirkt, daß die Eltern von mißbrauchten oder unsittlich belästigten Kindern (auch aus der Nachbarschaft oder durch zufällige Beobachtung) ohne Scham oder falscher Rücksicht zu den Polizeidienststellen kommen und sagen, was sie gesehen haben. Zuallererst sollten sie zu den Aufklärungsveranstaltungen gegen die Sittlichkeitsverbrecher kommen, dann ihre eigenen Kinder aufklären und sie schließlich lehren, daß ein gewisser Zweifel an jedermann gesund und gut ist.

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