10. März 1968: Computer soll Verbrecher jagen

10.3.2018, 07:00 Uhr
10. März 1968: Computer soll Verbrecher jagen

© Gerardi

Nürnbergs Präsident steuerte zu dieser Frage „außerordentlich interessante neue Gedanken und Vorstellungen“ bei, wie sein Frankfurter Kollege Dr. Gerhard Littmann versicherte. Dr. Herold forderte eine Kriminal-Geographie, aus der zu ersehen ist, wann, wo und wie Täter von woher auftreten, damit sich die Polizei darauf einrichten kann.

Die Diskussionen drehten sich aber auch um andere Sorgen der Präsidenten: von der Welle der Demonstrationen im Lande über das heiße Eisen des Führerscheins auf Zeit bis hin zum Zeitverschleiß der Beamten bei Bundesliga-Spielen.

Vor der "Arbeitsgemeinschaft der Polizeichefs der Bundesrepublik", die spartanisch bei Mineralwasser und Fruchtsäften im Esso-Hotel den Gedankenaustausch pflegte, legte Präsident Dr. Herold dar, daß es nicht mehr genügt, mit gesundem Menschenverstand und einem Schuß Instinkt dem Verbrecher nachzuspüren. So wie sich die Industrie bei ihren Plänen wissenschaftlicher Methoden bediene, um einen Raum nach seiner Verkehrs-, Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur zu erforschen, so müßten auch die leitenden Polizeibeamten überlegen, wie sie die Kriminalität in ihrem Gebiet erfassen können.

Herold schweben einheitliche Karten vor, die nach einheitlichen Methoden angefertigt werden und über Zeit und Art des Auftretens eines Täters ebenso Auskunft geben wie über die Person und den Wohnsitz des Verbrechers. "Nur mit solchen Erkenntnissen können wir unsere Polizeikräfte zu der Zeit an den Ort lenken, an dem sie gebraucht werden", erklärte der Präsident. Die Polizei müsse in ihrer Organisationsform historische und geographische Grenzen überwinden, denn die Täter richten sich auch nicht nach ihnen.

Die Diebe und der Dienstplan

In Nürnberg ist festgestellt worden, daß mehr als 80 Prozent aller strafbaren Delikte von Personen begangen werden, die in der Stadt selbst oder in einem Umkreis von 30 Kilometern beheimatet sind. "Die Grenzen der Stadtpolizei sind demnach zu eng gezogen", schloß Dr. Herold daraus und forderte auf lange Sicht, daß von der bisherigen Organisationsform abgegangen werden muß, wenn erfolgreicher gearbeitet werden soll. Sein Hamburger Kollege Dr. Jürgen Frenzel unterstrich diese Meinung mit dem Hinweis, daß die Polizei zwar einen Dienstplan für 24 Stunden habe, die Diebe aber beispielsweise fast nur in der Nacht kommen.

Hamburg arbeitet bereits mit einem Computer, dem sogenannten Elektronengehirn, in dem alle Angaben über Verbrecher in der Hansestadt und in den norddeutschen Küstenländern gespeichert werden. "Wir wollen im Herbst soweit sein, daß uns auf einen Knopfdruck hin der Computer die Karten all jener Männer liefert, die beispielsweise 1,80 Meter groß sind und rote Haare haben oder die mit Hinkebein und Pistole auf Raubzüge gehen", betonte Dr. Herold. Er setzte große Hoffnungen in den "Kommissar" mit dem Elektronengehirn.

Problem: die Bundesliga-Spiele

Einen Gesprächsstoff für die Polizeichefs (allesamt in Zivil) lieferten selbstverständlich die Demonstrationen. "Wir wollen von den guten oder schlechten Erfahrungen des Nachbarn lernen", meinte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Dr. Littmann, "denn dieses Problem wird in nächster Zeit ein Dauerthema sein!" Es gebe zwar keine Patentrezepte, doch müsse sich die Polizei diesen Erscheinungen in ihrer Führung und in ihrer Ausbildung anpassen. "Immer sorgfältiger abmessen, was angemessen ist", setzte der neue Berliner Polizeipräsident , Georg Rudolf Moch, hinzu.

Der Frankfurter Präsident berichtete seinen Kollegen, daß im Bundesverkehrsministerium gegenwärtig an einen Führerschein auf Probe für Anfänger gedacht werde. Die Polizeichefs sehen solche Überlegungen nicht ungern, denn sie haben schon immer auf die Problematik des Führerscheins auf Lebenszeit hingewiesen, weil beispielsweise 20 Prozent von 14 Millionen Kraftfahrern in der Bundesrepublik Sehfehler haben. Bei einer Million von jungen Führerschein-Bewerbern seien 100.000 mit Sehfehlern aufgetreten, von denen 50.000 nur mit Brille, die anderen 50.000 nur mit Brille, aber nicht bei Nacht fahren dürfen.

Sorgen bereiten den Präsidenten noch die Bundesligaspiele am Samstag, denn bei einer Dienstzeit von 44 Stunden in der Woche müssen ihre Beamten dann Überstunden machen. "Wir können aber nicht aus dem Vollen schöpfen, denn unsere Personalstärken reichen nicht einmal für alle übrigen Aufgaben aus", erklärte Eduard Kraus, der Präsident der Bayerischen Landpolizei. Die Polizei sei durchaus bereit, den Verkehr bei der An- und Abfahrt der Fußballfreunde zu regeln, für die Ordnung in den Stadien müßten allerdings die Veranstalter sorgen.

Von Nürnberg nehmen die Gäste einen hervorragenden Eindruck mit. Nach dem Besuch in der neuen Kaserne der Bereitschaftspolizei schwärmte Dr. Frenzel aus Hamburg: "Das ist ja ein Polizei-Hotel!"

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