10. Oktober 1968: "Mensch, halt' die Knarre hoch!"

10.10.2018, 07:00 Uhr
10. Oktober 1968:

© Horter

Seit zwei Wochen probt die Heimatschutztruppe den Ernstfall. Im Ausbildungszentrum Neuburg werden die Exsoldaten wieder in Gefechte und auf Spähtrupps geschickt sowie im Umgang mit den Waffen auf "Vordermann" gebracht.

„So realistisch wie möglich“

"Wir wollen so realistisch wie möglich vorgehen", umschreibt der Kommandeur des Ausbildungszentrums, Oberstleutnant Alois Hulha (47), die Lage. Deshalb schickte er seine Leute, die alle aus dem Raum Nürnberg kommen, auch an die Front: nach einer 36-Stunden-Übung sollten sie gestern ihre Fähigkeiten in der Praxis demonstrieren. Das lebende Objekt bildete die Staustufe Bertolsheim, von der aus die Bundesbahn im schwäbischen Bereich mit Strom versorgt wird. Um es vorweg zu nehmen: das Manöver endete – wie immer in solchen Fällen – mit einem vollen Erfolg.

Davon waren zunächst nicht alle Reservisten überzeugt. Mit MG-Salven, Pistolenschüssen und Panzerfäusten versuchten sie zwar den Feind zurückzuschlagen, der von einem nahen Wald aus die bedeutende Stromquelle vernichten wollte. Aber der dienstliche Befehl, einen gegnerischen Zug durchzulassen und erst dann wieder zum Gegenangriff zu starten, löste Verwirrung unter der verzweifelt kämpfenden Heimatschutztruppe aus. Oberstleutnant Hulha kennt den Zwiespalt. in dem sich seine Männer befinden. "Die Soldaten fragen sich", meint er während einer kleinen Feuerpause, "warum sie den Rückzug antreten sollen. Sie haben doch schon gesiegt ..." Oberstleutnant Hans Thaut (52), der im März nächsten Jahres die Nachfolge des Standortältesten Wilhelm Schoepf übernehmen und das Verteidigungskreiskommando in der Erlenstegenstraße befehligen wird, pflichtet ihm bei: "Die Leute müssen umdenken lernen. Sie sind nicht mehr bei der aktiven Truppe, sondern haben jetzt andere Aufgaben zu erfüllen."

10. Oktober 1968:

© Horter

Die veränderte Lage war offenbar auch jenem Reservisten noch nicht bewußt, der gemächlichen Schrittes und erhobenen Hauptes durch die Stellungen lief – obwohl pausenlos Granaten neben ihm einschlugen. "Mensch, halten Sie die Knarre hoch", brüllte ihn ein Offizier an und befahl einem Vertrauten: "Peter, schnappen Sie sich den Vogel". Später erläuterte der "Chef" seine unnachgiebige Haltung. "Wenn ich das durchgehen lasse", meint er, "habe ich bald einen Zirkus zusammen". Trotz einiger Fauxpas sind die hochdekorierten Zuschauer mit der Übung sehr zufrieden. Übereinstimmend urteilten sie: "Es hat gut geklappt."

Im großen und ganzen sah auch der Kompaniechef seine Erwartungen erfüllt. "Die Moral ist in Ordnung", findet Oberleutnant Rainer Pohl. Der 31jährige Kaufmann, der von 1957 bis 1959 seinen Wehrdienst abgeleistet hat und inzwischen zu drei Reserveübungen eingezogen worden ist, gibt aber offen zu: "Daß wir erneut einrücken müssen, begeistert niemand. Das fängt beim Kompaniechef an und hört beim einfachsten Soldaten auf."

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