11. August 1967: Viele Betriebe machen Ferien

11.8.2017, 07:46 Uhr
Auch in den großen Werkhallen läßt sich kaum jemand blicken. Eingepackt stehen die halbfertigen Apparate auf den Bändern und an Arbeitsplätzen.

© Gertrud Gerardi Auch in den großen Werkhallen läßt sich kaum jemand blicken. Eingepackt stehen die halbfertigen Apparate auf den Bändern und an Arbeitsplätzen.

Trotz der guten Erfahrungen, die von den Nürnberger Firmen mit den vor mehreren Jahren erstmals versuchten gemeinsamen Ferien gemacht worden sind, hat sich diese Lösung nicht allgemein einbürgern können. Es hängt zu sehr von der Eigenart des Unternehmens ab, ob die ganze Belegschaft auf einen Schlag dem Arbeitsplatz den Rücken kehren kann.

Gemeinsamer Urlaub ist willkommen, wenn ein Betrieb so organisiert ist, daß die einzelnen Abteilungen wie ein Räderwerk ineinandergreifen. Er bietet dem Werk, das durch die Urlauberlücken viel Ausfall an den Fließbändern und damit ein Durcheinander im eingespielten Produktionsablauf befürchten müßte, große Vorteile. „Es wäre unmöglich, wenn mittendrin im Band ein Platz freibleibt“, erklärt Hans Streb, Betriebsleiter in einem modernen Nürnberger Werk.

11. August 1967: Viele Betriebe machen Ferien

© Gertrud Gerardi

Außerdem glauben die Arbeitspsychologen, daß die Leistungen der Zurückgebliebenen nachlassen, wenn sie dauernd durch den leeren Platz des Kollegen an den eigenen Urlaub erinnert werden und in Gedanken schon drauf und dran sind, auch in die Fluten der Adria zu tauchen. Zwar gibt es in Nürnberg keine Stelle, die einen genauen Überblick über die Zahl der Unternehmen hat, die gemeinsam ihre Mitarbeiter in Urlaub schicken, aber es sind bekannte Industriebetriebe darunter: das Diehl-Werk an der Stephanstraße, das Tonbandgerätewerk des Grundig-Konzerns in Langwasser oder die AEG, um nur einige von ihnen herauszugreifen. Und daß es andernorts auch gemeinsame Ferien gibt, läßt sich an einem untrüglichen Zeichen feststellen. Es kommt weniger Post. Das Telephon klingelt lange nicht so oft wie sonst.

Pläne für das nächste Jahr

Einheimische wie Auswärtige sind auf diese Methode bei ihren Bemühungen verfallen, die Interessen der Firmenleitung und der Belegschaft möglichst unter einen Hut zu bringen. „Man spart bei einem geschlossenen Urlaub mehr Kosten ein, als wenn die Produktion durch häufige Einzelferien nur mit halber Kraft laufen würde“, versichert die Direktion eines Unternehmens. Den Arbeitern und Angestellten kommt dagegen zugute, daß die Ferien in der Regel inmitten der schulfreien Zeit liegen und die Familie mit Kind und Kegel verreisen kann. Ja, es gibt sogar Jugendliche, die mit dem Wunsch zum Chef kommen: „Wir möchten gerne mit unseren Eltern fortfahren!“

Betriebsleitung und Betriebsrat treffen denn auch zu einer Zeit, in der noch kein Mensch an den nächsten Urlaub denkt, ihre Übereinkünfte für das kommende Jahr, wenn die Hallen wiederum für einige Wochen dem Dornröschenschlaf überlassen werden. „Wir bereiten schon jetzt wieder den gemeinsamen Urlaub 1968 vor, wo in Bayern die Sommerferien zwischen dem 24. Juli und dem 10. September liegen“, erklärt Georg Lyko, Personalchef eines großen Werkes. Die frühzeitige Regelung – so meint er – gibt auch den Arbeitnehmern die Möglichkeit, rechtzeitig disponieren zu können.

Darüber freuen sich insbesondere die Familienväter und die Mütter, die tagsüber an der Werkbank stehen. Nur manche Junggesellen nörgeln bisweilen und sagen: „Wir kommen genau in die Hochsaison und müssen die höheren Preise zahlen.“ Doch auch ihnen kann oft geholfen werden, denn die Betriebsferien werden nicht so diktatorisch angeordnet, daß kein anderer Ausweg mehr bleibt, als mit der großen Welle loszufahren.

Solche Individualisten arbeiten meist in Abteilungen, in denen die Leute das ganze Jahr über beschäftigt werden können. Überhaupt: mucksmäuschenstill wird es in den großen Werkhallen auch während der Betriebsferien nie. Zwar stehen auf den Bändern halbfertige Geräte, aber in der Ecke hantieren einige Männer am Schaltkasten für die Bandsteuerung, am entgegengesetzten Ende steht ein Monteur mit einer Bohrmaschine auf der hohen Leiter, um Reparaturen auszuführen.

In einem bedeutenden Werk der Elektroindustrie sind andere Leute dabei, einen Automaten, in dem Tonköpfe für die Tonbandgeräte hergestellt werden, gründlich zu überholen. Überall wird emsig gesäubert, getüncht, gestrichen und tapeziert, denn jetzt ist die Zeit der Umbauten, Erneuerungen und Verbesserungen gekommen, die während der normalen Arbeitszeit nicht erledigt werden können. Daneben wird im Labor gewerkelt, läuft der Vorserienbau, und inmitten einer leeren Halle sitzt allein eine Arbeiterin und fügt mit flinken Fingern kleine Teilchen zusammen. Sie stört sich nicht daran, daß um sie her nichts weiter los ist.

Verwandte Themen


Keine Kommentare