16. Juni 1968: Eisgekühlte Koteletts

16.6.2018, 07:00 Uhr
16. Juni 1968: Eisgekühlte Koteletts

© NN

Das Angebot ist groß. Kaufhäuser, Versandfirmen und auch die Metzger machen es den Kunden möglich, den Fleischbedarf für Wochen und Monate in einem Stück zu liefern. Auf Wunsch werden die „Suckerla“ fachgerecht zerlegt und in Portionen geschnitten.

Die Anhänger des En-Gros-Einkaufs haben gerade jetzt großes Schwein: die Preise sind auf den niedrigsten Stand seit Jahren gefallen. „Ich besorge mir schon seit zwei Jahren Schweinehälften. Bisher bin ich mit dieser Methode glänzend weggekommen“, schwärmt ein 34jähriger Angestellter, der sich gerade in einem Innenstadt-Kaufhaus eine halbe Sau aussucht. Sie wiegt 35 Kilogramm und kostet 1,65 DM je Pfund. „Das reicht wieder für einige Zeit“, findet der Kunde, der eine große Familie zu versorgen hat. Mit Kennerblick schätzt der Fleischer hinter der Theke: „30 Koteletts gibt es bestimmt.

16. Juni 1968: Eisgekühlte Koteletts

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Außerdem läßt sich der Hals zu Braten und der Schlegel zu Schnitzel verarbeiten. Hinzu kommen Bündle, Eisbein, Schäufele, Rollbraten, Schälrippchen und Speck.“

An dem Preis hat der Direktor des mittelfränkischen Bauernverbandes nichts auszusetzen. „Wenn man berücksichtigt. daß für das Kilogramm Lebendgewicht nur 1,97 DM bezahlt werden und beim Schlachten immer mit einem Verlust von 20 bis 25 Prozent zu rechnen ist, ist das ein faires Angebot“, urteilt Diplom-Landwirt Heinrich Ermann. „Uns ist jede Verkaufsmethode recht, die den Absatz fördert“, findet der Bauernsprecher.

Heinrich Ermann stimmt zwar ein Klagelied über die schlechten Notierungen auf dem Schlachtviehmarkt an, zeigt sich jedoch erfreut darüber, daß der Endverbraucher in den Genuß des billigen Erzeugerpreises kommt. „Leider“, so meint er, „gibt es noch zu wenig Kühltruhen. Die Leute könnten sich dann besser und schneller auf den Markt einstellen“. Der Diplom-Landwirt glaubt allerdings nicht daran, daß sich die Preise noch sehr lange halten können. „Sie klettern bestimmt bald in die Höhe“, prophezeit er, „zumal in der gewerblichen Mast keine Rendite mehr drin ist“.

„Fleisch von der Stange“ wird selbst von der Metzgerinnung nicht strikt abgelehnt. „Schweinehälften liefert jeder Metzger mindestens genauso billig wie Kaufhäuser und Versandgeschäfte“, erklärte Innungsobermeister Andreas Bäuerlein. Allerdings warnt er vor übertriebenen Hoffnungen. „Die finanziellen Vorteile werden oft überschätzt“, sagt der ehrenamtliche Stadtrat, „denn welcher Verbraucher kann mit der Schwarte, dem Speck, Kopf, Füßen und den Flomen etwas anfangen?“ Und: „Wenn eine Sau nicht ordentlich aufgeteilt wird, muß man sogar noch Nachteile in Kauf nehmen.“

Über die Haltbarkeit des gefrorenen Fleisches läßt .es sich nach Auffassung von Andreas Bäuerlein ebenfalls streiten. „Es kann nur eine gewisse Zeit gelagert werden“, meint er. „Frische Ware ist eben nicht zu verachten“.

Die Besitzer von Tiefkühltruhen lassen solche Argumente nicht gelten. „Seitdem wir unseren Bedarf mit Schweinehälften eindecken, kann uns kein unangemeldeter Besuch aus der Fassung bringen“, erklärt ein Familienvater. Freimütig gesteht er jedoch: „Gespart wird aber nicht mehr so wie früher. Meine Frau verbraucht mehr – jedoch sind auch die Portionen größer.“

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