17. Dezember 1966: Gefahr bei Fahrten mit „Fahne“

17.12.2016, 07:00 Uhr
17. Dezember 1966: Gefahr bei Fahrten mit „Fahne“

© Eißner

Auch in Nürnberg gilt nun diese Grenze, die die absolute Fahruntüchtigkeit markiert. "Wir halten uns", so versicherte Oberstaatsanwalt Hans Sachs, "an den Spruch des obersten deutschen Gerichts."

Wie kommt die Polizei den Autofahrern mit Schlagseite auf die Spur? Macht sie Jagd auf sie oder stellt sie nur solche, die sich durch ihre Fahrweise selbst verraten? Eine Nacht lang sind wir mit "Rudolf 108", besetzt mit Polizeihauptmeister Ludwig Winkler und Polizeihauptwachtmeister Oskar Zenk, durch die Stadt gekurvt. Das Fahrzeug, das über Funkspruch mit 25 anderen Streifenwagen verbunden ist, dreht fast immer die gleichen Runden: über den Ring, entlang der Frauentormauer, Ottostraße, Luitpoldstraße, Königstraße, Breite Gasse und Adlerstraße. Im Amüsierzentrum geht es nur im Schrittempo vorwärts. Großzügig überhören dabei die Beamten provozierende Aufforderungen und beleidigende Äußerungen . . .

Kleine Dramen spielen sich ab

17. Dezember 1966: Gefahr bei Fahrten mit „Fahne“

© Eißner

Nach genau 42 Minuten meldet sich die Zentrale der Funkstreifengruppe: „Betrunkener Kraftfahrer in der Holzschuherstraße. Er fährt mit angezogener Handbremse.“ Ab geht die Post! Auf der Kanalbrücke nimmt Oskar Zenk den Fuß vom Gaspedal und steigt auf die Bremse. In respektvoller Entfernung taucht ein Wagen auf, der sich langsam in Schlangenlinien nähert und von der rechten auf die linke Straßenseite wechselt. Der 36jährige Fahrer stoppt energisch, als er in seinem Scheinwerferkegel den Beamten mit der roten Kelle sieht.

Mühsam dreht der Mann hinter dem Steuer die Fensterscheibe herunter. Polizeihauptmeister Ludwig Winkler läßt sich den Führerschein und den Kraftfahrzeugschein zeigen. Dann wird es ernst. "Hauchen Sie mich bitte einmal an", fordert der Beamte sein Gegenüber auf. Instinktiv weicht er zurück. "Das reicht", raunt er seinem Kollegen zu, "mindestens zwei Promille!" Ratlos schaut der Pechvogel den Beamten an. Erst als er seinen Führerschein verschwinden sieht, braust er kurz auf. "Bitte nicht", fleht er, "ich bin Firmenfahrer. Ich brauch‘ ihn dringend."

In der Wache und später bei der Blutprobe im Krankenhaus wischt er sich verstohlen einige Tränen aus dem Gesicht. "Ich werde entlassen", befürchtet er, "wenn ich meinen Führerschein verliere." Aber in seinem Fall war wirklich nichts zu machen. Wieder ein Fußgänger mehr . . .

17. Dezember 1966: Gefahr bei Fahrten mit „Fahne“

© Eißner

"Rudolf 108!" ist erneut längst auf Patrouillenfahrt. Die Uhr zeigt die zweite Stunde nach Mitternacht. Der Verkehr belebt sich, weil die Lokale schließen. Die meisten Gäste haben ein Auto vor der Tür stehen. In der Ludwigstraße bildet sich eine Warteschlange. Da! Vom rechten Bürgersteig fährt ein Personenwagen los. Der Fahrer kümmert sich wenig um seine „Kontrahenten“, schert schnurstracks nach links aus und überquert die Fahrbahn. Die Bremsen eines entgegenkommenden Autos quietschen. Drohend klingt die Hupe des geschnittenen Wagenlenkers.

Keine Gnade für Alkoholsünder

In diesem Augenblick taucht das Polizeifahrzeug auf. Seine Besatzung verfolgt den Zwischenfall. Ein Beamter springt aus dem grasgrünen Streifenwagen. Auf sein Haltezeichen reagiert der Fahrer zunächst überhaupt nicht. Erst im letzten Moment begreift er die Situation. Umständlich fährt er sein Auto an die Seite; der Motor heult laut auf. Der etwa 40-jährige Mann hinter dem Steuer machte die Wagentür auf – und kullert beinahe auf die Straße. Nur mühsam bekommt er den rettenden Türrahmen zu fassen. Ein prüfender Blick in seine glasigen Augen sagt alles.

Die Beamten kennen keine Gnade. Sie sperren das Auto ab und nehmen den Mann mit in das nahe Präsidium. Dort sollen die an trostlose Zustände gewöhnten Kollegen vom Dienst bald ein heiteres Zwischenspiel erleben. "Guten Abend, meine Herren", lautet die freundliche Begrüßung des ertappten Alkoholsünders. Die Aufforderung, doch Platz zu nehmen, lehnt er kategorisch ab: "Ich stehe gern. Ich bin nämlich nicht betrunken, wie Sie vielleicht annehmen." Bereitwillig liefert er seinen Führerschein ab und gibt seine Personalien bekannt. Als er das gefürchtete Wort Blutprobe hört, geht er zur Vorwärtsverteidigung über.

"Ich bin städtischer Bediensteter", gibt er zu bedenken, "meine Arbeit beginnt in knapp zwei Stunden. Ich bitte darum, daß ich sie rechtzeitig beginnen kann". Aufmunternd und kameradschaftlich zugleich klopft er dem Wachleiter auf die Schultern. "Ich bin Stadtratskandidat und Mitglied der Verkehrswacht. Sie sind städtischer Angestellter, ich bin städtischer Angestellter. Warum sollen wir uns Schwierigkeiten machen?".

Sturzbetrunken im Krankenhaus

Der Beamte geht auf diese Bemerkung nicht ein und fragt das Alkohol-Faktotum schonungslos: "Was haben Sie in den letzten 36 Stunden getrunken?" Die Antwort kommt prompt: "Zwei Achtele Wein. Sie können auch einen Viertel Liter schreiben… Das war alles!" Gegen eine Blutprobe hat er plötzlich nichts mehr einzuwenden. „Aber auf ihre Kosten, meine Herren...“ Im Krankenhaus geht das Hin und Her zunächst weiter. "Ich bin leberkrank", sagt er zum Arzt, "und darf nichts trinken. Daran halte ich mich auch." Als er die Spritze in der Hand des "Herrn Doktor" sieht, fordert er ihn auf: „Stechen sie gscheit rein, damit Sie auch die pro mille erwischen.“ Wer dieses Schauspiel interessiert verfolgt, denkt unwillkürlich: „Ob überhaupt noch Blut in den Adern fließt?“ Die Probe auf‘s Exempel bringt es ans Tageslicht: weit über zwei pro mille! Trotzdem ist der Autofahrer von seiner Nüchternheit felsenfest überzeugt. "Diese Arbeit", so meint er zum Schluß, "hätten Sie sich sparen können".

Er war der dritte von sieben Autofahrern, die in dieser Nacht im Krankenhaus "angezapft" wurden. Zumindest bis zum Ergebnis der Blutprobe bleiben ihre Führerscheine unter Verschluß. Nur die wenigsten von den ertappten Sündern, die zur Blutentnahme in das Krankenhaus gebracht werden, können mit der baldigen Auslieferung ihres Wohlstands-Ausweises rechnen. In der Regel wird nämlich ihre "Fahne" von den Polizeibeamten richtig eingeschätzt.

Die meisten fügen sich ihrem Schicksal und machen gute Miene zum bösen Spiel. Einige werden jedoch renitent, so daß sie mit vereinten Kräften festgehalten werden müssen. Ihr bockiges Auftreten wird dann gleich mit zwei Anzeigen honoriert: wegen Trunkenheit am Steuer und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Die Alkoholröhrchen, mit denen ein Frankfurter Geschäftsmann Millionen verdient hat, werden bei der Nürnberger Polizei nur sehr selten verwendet. "Der Test ist freiwillig", begründet Amtmann Hans Meister, Einsatz- und Organisationsleiter der Schutzpolizei. Die Kosten von 1,30 Mark für das Stäbchen, das nur einmal benutzt werden kann und sich in positiven Fällen verfärbt, sind nämlich von den Autofahrern gleich zu zahlen.

Etwas anders verhält es sich mit den Blutproben. Reichen sie zu einer Verurteilung aus, sind sie grundsätzlich vom Angeklagten zu entrichten. Wenn nicht, muß die Stadt in ihre Kasse greifen. Die Aufwendungen sind nicht gerade gering. Gestaffelt nach Tag-, Nacht- und Sonntagstarif beträgt der höchste Satz 52 Mark. Behauptet ein Autofahrer, noch nach einem Unfall zur Flasche gegriffen zu haben, ist eine doppelte Blutprobe notwendig. Für sie werden bis zu 74 Mark verlangt. Für die Fahrten zum Krankenhaus berechnet die Polizei 40 Pfennig pro Kilometer. Hinzu kommen – wenn der ertappte Kraftfahrer sich nicht mehr auf den Beinen halten kann und in den "Käfig" muß – noch fünf Mark Zellengebühr.

"Die Gefahren, die von betrunkenen Fahrern ausgeht, sind immer sehr groß", stöhnt Amtmann Meister. Er kann seine Meinung mit handfesten Zahlen belegen. Im vergangenen Jahr wurden 73 Menschen auf den Straßen getötet, zehn von ihnen waren betrunken: fünf Fußgänger, vier Auto- und ein Motorradfahrer. "Das beweist", so folgert der Beamte, "daß es mit Alkohol zu besonders schweren Unfällen kommt". Und ihre Quote wächst, je weiter sich der Fahrer mit seinem Rausch vom "Tatort" entfernt.

Daran sollten alle Kraftfahrer denken, wenn sie sich einen "genehmigen". Die Auslagen für ein Taxi sind dann immer gut angelegt. Vielleicht fällt ihnen aber auch ein, dass man noch zu Fuß gehen kann...

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