19. August 1967: Die Polizei kennt keine Blitzkarrieren

19.8.2017, 07:00 Uhr
19. August 1967: Die Polizei kennt keine Blitzkarrieren

© Ulrich

Ehe sie in Uniform und mit Gummiknüppel und Pistole im mittleren Polizeivollzugsdienst eingesetzt werden können, müssen sie einen achtmonatigen Lehrgang absolvieren. 95 v.H. der Bewerber haben bereits eine 30 Monate lange Ausbildung bei der kasernierten Bereitschaftspolizei hinter sich, die grundsätzlich den Nachwuchs für die Polizei zu stellen hat. Der Rest kommt von der Bundeswehr und dem Bundesgrenzschutz.

Nur wer den Kurs erfolgreich absolviert hat, kann in den Polizeidienst eintreten – zunächst als Hauptwachtmeister und Beamter auf Probe. Die Polizeischule vermittelt ein großes Lehrstoffpensum, das eine umfassende Ausbildung garantiert. Ob sie jedoch in ihrer jetzigen Form den Anforderungen genügt, wird von vielen Kritikern ernsthaft bezweifelt. Die Praxis verlangt Spezialisten. Und gerade dieser Tatsache wird noch nicht genug Rechnung getragen. An guten Vorschlägen fehlt es heute allerdings nicht.

Die Zeiten, da die Polizei in den Jahren des wirtschaftlichen Booms verzweifelt Ausschau nach jungen Leuten halten mußte, sind offensichtlich vorbei. "Heute können wir sogar wieder wählerisch sein", freut sich der Leiter der Polizeischule, Polizeirat Horst Zeitz. Die Rezession hat schlagartig das Nachwuchsproblem gelöst. Nach dem Motto "Safety first" interessieren sich immer mehr Männer für den abwechslungsreichen Dienst im blauen Rock und für die zwar nicht üppig bezahlte, aber immerhin doch krisenfeste Beamtenlaufbahn.

Trotzdem haben die Experten im Präsidium ausgerechnet, daß die "Krebsschäden" der Vollbeschäftigung und die Auswirkungen des letzten Krieges erst 1971 restlos überwunden sein werden. Im Augenblick sind die 1.300 Beamten im Durchschnitt 41,17 Jahre alt. "Das ist ein recht günstiger Alterskegel", findet Präsident Dr. Horst Herold.

19. August 1967: Die Polizei kennt keine Blitzkarrieren

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Warum wollen nun die 42 Schüler ihr Herz an die Polizei verlieren? "Ich strebe einen sicheren Beruf an", meint der Jüngste unter ihnen, Dietmar Krügel. Der 19-Jährige war nach der Mittleren Reife in die Reihen der Bayerischen Bereitschaftspolizei eingetreten und hatte in Würzburg seine zweieinhalbjährige Dienstzeit absolviert. Der älteste Beamten-Aspirant, der mit 28 Jahren noch die Schulbank drückt, ist Herbert Schmidt. Vor neun Jahren meldete sich der gelernte Stahlbauschlosser zum Bundesgrenzschutz, wo er es zum Hauptwachtmeister gebracht hat. Da seine Familie in Nürnberg wohnt, will er nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: zurück an den häuslichen Herd und den Sprung in die Beamtenlaufbahn.

Sämtliche Weltmeere überquert hat schon Helmut Reislinger. Der 23-jährige Berufssoldat, der früher sein Geld als Maler verdiente, hatte sich vier Jahre lang zur Marine verpflichtet. Nun will er Schluß machen mit dem unsteten Leben und bei der Einsatz- und Fahndungsinspektion (EFI) für Sicherheit und Ordnung sorgen. Das gleiche Ziel strebt auch der 26-jährige Klaus Mägerlein an. Der ausgebildete Industrie-Kaufmann war vor über acht Jahren zum Bundesgrenzschutz gegangen, um nicht zur Bundeswehr eingezogen zu werden. "Das habe ich geschafft", sagt er lächelnd und freut sich, daß er jetzt ständig bei Frau und Kind bleiben kann.

Bis er aber die erste große Hürde auf den Weg in seinen neuen Beruf übersprungen hat, muß er acht Monate lang Gesetzestexte büffeln. Akten wälzen, eine Fülle von Rechtsvorschriften kennen und sich im allgemeinen Paragraphendschungel zurechtfinden. "Der Lehrgang stellt sehr große Anforderungen an die Teilnehmer", geben die Polizei-Oberen im Präsidium unumwunden zu. Auf dem Unterrichtsplan stehen allein neun Rechtsfächer. Dem Laien kann es dabei schwindlig werden: von der Staatsbürgerkunde über Grundzüge des Kommunalrechts und des Beamtenrechts über Verkehrsrecht und Bürgerliches Recht bis hin zum komplexen Straf- und Verfahrensrecht spannt sich der weite Bogen.

An der Spitze der praktischen Fächer stehen Polizeidienstkunde und Fernmeldewesen, Kriminalistik, Grundzüge der Polizeiverwendung, Waffenkunde und angewandte Psychologie. Außerdem füllen noch Vorlesungen in Zeitgeschehen, Deutsch, Erdkunde, Geschichte und Lebens- und Berufsfragen den Lehrplan aus. Den Schülern stehen bekannte Dozenten wie Oberstaatsanwalt Dr. Hermann Müller, Erster Staatsanwalt Hermann Gruber, Oberlandesgerichtsrat Dr. Walter Wolf, Oberpolizeirat Herbert Mielsch (Fürth) und die Dienststellenleiter des Präsidiums zur Verfügung. Wenn der Gong zur alles entscheidenden Prüfung ruft, liegen hinter den Schülern 575 Doppel-Unterrichtsstunden und eine Menge Klausur- und Hausaufgaben.

Auch die Praxis kommt nicht zu kurz. Behutsam führt Oberinspektor Wolfgang Dechant seine jungen Kollegen an die Kreuzung Fürth-Süd, wo er mit ihnen die Verkehrsregeln übt. "Klare Zeichen sind unerläßlich, wenn man Stauungen vermeiden will", empfiehlt der erfahrene Beamte. Bevor er jedoch die uniformierten Greenhorns auf die Kraftfahrer losläßt, baut er im Klassenzimmer regelrechte Verkehrsknotenpunkte auf. Auch wenn in diesem Fall nur Tische und Stühle lange Autokolonnen markieren – der Zweck heiligt eben die Mittel. Weitere Sandkastenspiele werden im Straßenbahndepot an der Muggenhofer Straße durchgeführt: die Aufnahme von Unfällen, die Klärung von Diebstählen und die Spurensicherung bei Verbrechen.

Es kommt nicht von ungefähr, daß der Dienstsport mit 65 Stunden nur knapp hinter dem Verkehrsrecht- und dem praktischen Verkehrsdienst die längste Ausbildungszeit in Anspruch nimmt. "Jeder muß absolut fit sein", verlangt Polizei-Hauptmeister Max Nunner (59), nach dessen Pfeife die 42 Schüler jede Woche auf der Bezirkssportanlage an der Deutschherrnstraße tanzen. Der ehemalige Leistungssportler drillt die künftigen Beamten bei Frei- und Bodenübungen, läßt sie über die Aschenbahn sprinten und übt modernes Intervall-Training.

Wichtigstes sportliches Ziel: die Beherrschung sämtlicher Polizeigriffe, mit denen man einen Messerhelden im Schlaf abwehren kann. "Judo und Karate brauchen meine Jungs nicht zu lernen", versichert Max Nunner. "Wenn sie die Polizeigriffe aus dem ff kennen, genügt das vollauf". Jeder Schüler muß auch ein guter Schwimmer sein, einen Menschen aus dem Wasser retten können und in Erster Hilfe ausgebildet sein.

In der abschließenden Prüfung genügen etwa fünf v. H. der Kandidaten nicht den strengen Anforderungen. Obwohl auch bei der Polizei das geflügelte Wort umgeht, daß jeder den Präsidentenstab im Tornister trägt, beginnt nach dem Lehrgang die große Zeit des Dienens. Das schreibt schon die Einheitslaufbahn vor: jeder – auch wenn er das Reifezeugnis in der Tasche hat – muß die lange Dienstgradleiter mühsam hinaufklettern.

Der Ausbildungsgang der Polizei kennt keine Blitzkarrieren oder prompte Beförderung nach erfolgreicher Gangsterjagd. Das Durchschnittsalter, in dem man Inspektor werden kann und als Lediger dann etwa 850 Mark netto verdient, beträgt 34 Jahre. Einem 45-jährigen Amtmann, verheiratet mit zwei Kindern, werden etwa 1200 Mark bar ausgezahlt. In die höhere Laufbahn – vom Rat über den Oberrat bis zum Direktor und Präsidenten – kann nur aufgenommen werden, wer die Polizeischule in Hiltrup besucht und die Prüfung bestanden hat. Einzige Ausnahme: Juristen mit der Befähigung zum Richteramt.

Darüber gibt es keinen Zweifel: die Polizeiausbildung ist umfassend, gründlich und vermittelt einen Wissensstoff, der fast schon den Anforderungen des Referendarexamens genügt. Diese Tatsache ruft jedoch schon die Kritiker auf den Plan, zu denen sich auch der Nürnberger Polizeipräsident zählt. "In der Praxis", so urteilt Dr. Horst Herold, "kann der Beamte nur einen Teil des eingepaukten Stoffes verwerten". Ein im Straßenverkehr eingesetzter Beamter wird täglich mit dem Straßenverkehrsrecht konfrontiert, im Sicherheitsdienst bildet dieses Gebiet für ihn nur eine Randzone.

Aus diesem Grund plädiert Dr. Herold für eine strikte Trennung in Ordnungs- und Sicherheitspolizei und für eine spezialisierte Ausbildung. "Bis ein Beamter zur Kripo kommt", erklärt der Präsident, "vergehen sieben Jahre. Das ist entschieden zu lang". Die Arbeit der Kripo hat sich in den letzten Jahren enorm erschwert. Durch die Einführung der Strafprozeßänderung wurden ihr wichtige Rechte entzogen. Deshalb müssen neue Arbeitsmethoden entwickelt und technische Mittel und wissenschaftliche Kriminalistik angewendet werden. Straftaten sind nicht nur zu verfolgen, sondern nach Möglichkeit zu verhüten. Das setzt voraus, "daß wir Wesen und Erscheinungsformen des Verbrechens systematisch erforschen".

Das ist ein Gebot der Stunde. Denn die großen und kleinen Ganoven haben veraltete "Arbeitsmethoden" schon längst über Bord geworfen. Sie sind ihrer Zeit voraus.

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