20. Juli 1967: Teurer Spaß: die Straßenbahn

20.7.2017, 07:00 Uhr
20. Juli 1967: Teurer Spaß: die Straßenbahn

© Gerardi

Mit der Sammelkarte, jahrzehntelang „Fahrscheinheftla“ genannt, können fünf Fahrten zu 3 DM oder 2,70 DM unternommen werden, je nachdem, ob sie beim Schaffner oder an einer Verkaufsstelle erworben wird. Nur ein Vorteil springt mit den neuen Preisen für den Fahrgast heraus: es gibt ab 1. September wieder einen Einheitstarif; die leidige Rechnerei mit Kurzstrecken und Zonen hört bald auf.

Generaldirektor Prof. Dr. Joseph Ipfelkofer, der Leiter der Städtischen Werke, ließ die Stadträte nichts Gutes ahnen, als er im Sitzungssaal aufkreuzte. Wenn immer er kommt, braucht er Geld. „Das ist ein teurer Auftritt“, prophezeite der Professor dem Plenum, „denn mein Anblick bedeutet nichts Gutes“. Er hatte nur allzu recht, denn diesen Worten folgte das alte Klagelied von der Straßenbahn, die mehr kostet, als sie einbringt. Seit Jahren schon bucht sie nur rote Zahlen und kommt einfach aus dem Defizit nicht mehr heraus.

In Verlustrechnung hineingefahren

In den letzten beiden Jahren ist die Straßenbahn immer tiefer in die Verlustrechnung hineingefahren: 1965 machte sie ein Defizit von 17,7 Millionen DM, 1966 gar von 20,3 Millionen. Hatten bis dahin die Gewinne der Energie- und Wasserversorgungs AG (EWAG) gerade noch ausgereicht, die Defizite der Verkehrsbetriebe zu decken, so rutschten von da an die Städtischen Werke als Dachgesellschaft in die roten Zahlen. Die gesamten Werke mußten in diesen beiden Jahren einen Verlust von 9,2 Millionen DM hinnehmen.

20. Juli 1967: Teurer Spaß: die Straßenbahn

© Gerardi

Der Generaldirektor schilderte in bewegten Worten, wie es allen Einsparungen zum Trotz nicht gelungen ist, die Verkehrsbetriebe „gesund“ zu machen. An allen Ecken und Enden ist rationalisiert worden, jedoch ohne sichtbaren Erfolg in der Bilanz. Obwohl 837 Mann Personal in den vergangen acht Jahren eingespart worden sind, betragen heute die Personalkosten 102 v. H. der Fahrgeldeinnahmen. „Wir haben es uns als Ziel gesetzt, bei gleichem Betrieb und bei gleicher Arbeitszeit noch einmal 100 Stellen zu streichen“, erklärte Dr. Ipfelkofer.

Auf ihrem Weg in bessere Zeiten rechnen die Verkehrsbetriebe auf die kräftige Mithilfe ihrer Kunden. Sie wollen die „Selbstbedienung der Fahrgäste“ weitertreiben. Schon in allernächster Zeit sollen Verkaufsautomaten und Fahrkartenentwerter – sogenannte eiserne Schaffner – in großer Zahl angeschafft werden. Mit solchen Mitteln hofft die VAG, ihre Kosten um 4 bis 5 Millionen DM im Jahr senken zu können; sie ist sich freilich darüber im klaren, daß dieser Betrag von höheren Löhnen und sinkenden Einnahmen wieder „gefressen“ wird. Damit die Selbstbedienung aber nicht so weit geht wie in manchen Kaufhäusern, müssen Schwarzfahrer – monatlich werden etwa 1000 entdeckt – künftig 10 statt 5 DM rappen.

Professor Dr. Ipfelkofer machte dem Stadtrat seinen Tarifvorschlag so schmackhaft wie nur möglich. Der Preis des Einzelfahrscheins sei bewußt hoch angesetzt, denn nur seltene Kunden sollten damit den Schaffner belästigen. Der Kinderfahrschein werde zwar um die Hälfte teurer, doch dafür gebe es künftig Kindersammelkarten. Überhaupt sind die Sammelkarten – nach Meinung der VAG – die große Attraktion des Einheitstarifs. Die Verkehrsbetriebe versprechen sich von ihren Preisen jährlich eine Mehreinnahme von 7 bis 7,5 Millionen DM.

Alle Rathausfraktionen waren sich darin einig, daß die Straßenbahn mehr Geld braucht. Strittig bleibe nur die Frage, wie sie dazu kommen kann und wie weit sie dabei gehen soll. Die FDP setzte dem Vorschlag des VAG-Vorstandes ihre Vorstellung entgegen, einen Einheitstarif zu schaffen. Sie beantragte deshalb, den Preis für den Einzelfahrschein auf der Kurzstrecke mit 35, auf der Langstrecke mit 70 Pfennig zu bemessen. „Was 1963 als das Ei des Kolumbus gepriesen worden ist, soll sich nicht bewährt haben, obwohl der Teilstreckentarif damit begründet worden ist, daß man auf die Dauer den Kurzstreckenfahrer nicht verlieren will“, erklärte FDP-Fraktionssprecher Werner Lippert.

Er gab zu bedenken, daß der schaffnerlose Betrieb nicht nur mit dem Einheitstarif durchzuführen sei. „Wir glauben, daß der Einheitstarif mit vorgeschaltetem Kurzstreckentarif sozial gerecht ist“, sagte Lippert. Er verwies darauf, daß beispielsweise Berufstätige, die zum Mittagessen heimfahren, von ihrer Wochenkarte weit mehr haben als jene arbeitenden Menschen, die nur früh zur Arbeit und abends nach Hause befördert werden. „Wer öfter fährt, muß mehr bezahlen“, meinte Lippert dazu. Aber die FDP hatte mit ihrem Vorschlag kein Glück. Alle übrigen Parteien folgten ihr nicht.

Die CSU-Fraktion konnte sich nur dazu verstehen, den Einheitstarif zu begrüßen. Zu den neuen Preisen wollte sie erst Stellung nehmen, wenn drei grundsätzliche Fragen geklärt sind: Welchen Anteil übernimmt die Stadt Fürth am Verlust der VAG? Wie sehr werden die Verkehrsbetriebe durch Straßenumbauten belastet, die von der Stadt Nürnberg veranlaßt sind? Soll die Stadt weiterhin die volle, gesetzlich zulässige Konzessionsabgabe verlangen?

Stadtrat Gerorg Holzbauer wandte ein, daß von Fürth künftig mit einem Betrag von jährlich 2 Millionen Mark zu rechnen sei, daß die Fahrgäste durch die Konzessionsabgabe direkt Steuern in den städtischen Haushalt bezahlen. „Es ist zu befürchten, daß viele Fahrgäste der VAG abwandern, weil der Tarifvorschlag die wirtschaftlich sinnvolle Preisobergrenze überschreitet“, meinte schließlich Holzbauer. Damit werde aber das angestrebte Ziel gefährdet, die Betriebsergebnisse zu verbessern.

Die Rathausopposition ging mit der SPD so weit einig, als sie forderte, daß die Verkehrsbetriebe bei Straßenumbauten nur dann belastet werden sollen, als sie auch einen wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen. Der Sprecher der Mehrheit, Willy Prölß, warf sogar die Frage auf, ob in Zukunft nicht sogar alle Einrichtungen der Verkehrsbetriebe von der öffentlichen Hand geschaffen werden sollen, so daß beispielsweise die VAG nur noch die Betriebskosten verdienen müßte. „Wir sollten uns dieses Fernziels bewußt bleiben und entsprechende Forderungen anmelden.“

Der SPD-Sprecher betonte, daß er seit langem schon die Entwicklung der Verkehrsbetriebe sorgenvoll betrachte. Er wies jedoch die Bevölkerung darauf hin, daß die Tarife zum letzten Mal vor fünf Jahren angehoben worden sind, seither aber 55 Städte ihre Fahrpreise erhöht haben. „Es ist dringend notwendig, die finanzielle Lage unserer Werke zu verbessern, wenn nicht dauernder Schaden entstehen soll. Wir können es nicht verantworten, daß alle Überschüsse der EWAG herangezogen werden, um die VAG-Verluste auszugleichen, denn sonst gefährden wir den Bau der Donau-Wasserleitung“, erklärte Prölß.

Der Fraktionsvorsitzende wollte die Motive der CSU für ihre ablehnende Haltung nicht gelten lassen. „Ich habe Verständnis dafür, daß die CSU der Tariferhöhung aus politischen Gründen nicht zustimmt“, meinte er. Der FDP gab Prölß zu bedenken, daß es teurer komme, Fahrscheinentwerter für den Einheitstarif mit vorgeschaltetem Kurzstreckentarif anzuschaffen, daß dieser Aufwand aber bei nur 10,8 v. H. Kurzstreckenfahrern nicht gerechtfertigt sei. Die SPD behielt mit ihren 27 von 50 Stimmen im Plenum dann auch das letzte Wort. Sie konnte ihre Meinung bei der Abstimmung durchsetzen.

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