21. Januar 1967: Viele ältere Mitbürger sind arbeitslos

21.1.2017, 07:00 Uhr
21. Januar 1967: Viele ältere Mitbürger sind arbeitslos

© Ulrich

Bei rund 450.000 Beschäftigten im Großraum Nürnberg beträgt die Arbeitslosenquote 1,9 v. H. Sie liegt damit um 0,7 v. H. unter dem Bundesdurchschnitt und weit unter den Zahlen der Oberpfalz und Oberfrankens. Wie wird es weitergehen? Diese Frage bewegt viele Menschen mehr als der Fasching, dessen Höhepunkt in 14 Tagen ganz sicher erreicht ist. Wie ist die Situation in Nürnberg? Wirkt sich die Arbeitslosigkeit schon aus? Wer ist betroffen? Wem droht die Ausstellung?

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Die Antworten, die wir auf diese Fragen erhielten, waren sehr unterschiedlich. Hier Zuversicht und Optimismus, dort düstere Prognosen und schlimme Befürchtungen, dazwischen aufmerksames Abwarten.

Verwaltungsdirektor Hans-Burkhard Klamroth, der Leiter des Arbeitsamtes Nürnberg, konnte mit einigen Zahlen aus der Vergangenheit aufwarten. 1950 zählte er im Bereich seines Amtes um diese Jahreszeit 30.000, 1954 sogar 32.500 Erwerbslose. Um die Jahreswende 1960 waren es ungefähr so viele wie heute. Dies müsste beweisen, dass eigentlich kein Grund zur Beunruhigung vorhanden sein sollte. Allerdings hat sich die allgemeine Wirtschaftslage in jüngster Zeit geändert. Aber kann man schon von einer Krise sprechen?

Unwillkürlich erinnert man sich in diesem Zusammenhang an das Krisenjahr 1932. Damals zählte das Stadtgebiet von Nürnberg - es war noch kleiner als heute - 57.000 Erwerbslose. Im gesamten Arbeitsamtsbereich waren es rund 100.000. Diese Zahl ist gleich einem Fünftel der Mitte Januar 1967 in der ganzen Bundesrepublik registrierten Arbeitslosen.

Die derzeitige Lage in Nürnberg sei, wie überall, durch eine gewisse Unsicherheit gekennzeichnet, meint Direktor Klamroth. Die Arbeitgeber verhielten sich zurückhaltend. Qualifizierte Facharbeiter würden kaum arbeitslos. Bei Neueinstellungen seien die Betriebe äußerst wählerisch. Im Arbeitsamt hat man weiter beobachtet, dass die Entlassungen "quer durch alle Wirtschaftszweige" gehen. Im Baugewerbe sind vor allem Pendler aus dem Bayerischen Wald betroffen. Dies erklärt zum Teil den hohen Arbeitslosenstand in diesen Gebieten.

Die Bauunternehmer wiederum stellten die Leute als erste frei, denen sie bisher pro Tag drei Arbeitsstunden als Auslösung vergüteten. Dieses Geld wollen sie nun im Zeichen eines härter gewordenen Konkurrenzkampfes sparen. Die Firmen haben ihren Pendlern in Aussicht gestellt, dass sie im Frühjahr wieder beschäftigt werden. Allerdings ohne Anspruch auf Auflösung.

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Andere Unternehmen, die Arbeitskräfte mit Omnibussen von weit her nach Nürnberg holten, wollen künftig ebenfalls auf ihren Pendlerdienst verzichten und ihren Bedarf in der näheren Umgebung decken. Von den Gastarbeitern - rund 28.000 waren es im Herbst - sind etwa 5.000 bis 6.000 zu Weihnachten in ihre Heimatländer gereist und nicht mehr wiedergekommen. Viele halten sich dort auf Abruf bereit. Sie beziehen in Italien und Griechenland aufgrund von besonderen Vereinbarungen sogar Arbeitslosenunterstützung.

Nur etwa 3.000 Ausländer genießen im Arbeitsamtsbereich Nürnberg noch den Schutz des Einjahresvertrages, der ihnen bei Aufnahme der Arbeit vorgelegt wurde. Doch diese Fristen liefen in den nächsten Monaten aus, versichert Direktor Klamroth. Dann seien auch diese Gastarbeiter wie alle anderen ihren deutschen Kollegen gleichgestellt. Unter den 8.600 Nürnberger Arbeitslosen sind übrigens zur Zeit 521 Ausländer.

Weitere größere Entlassungen sind in Nürnberg nicht angekündigt, dagegen wollen noch mehr Betriebe zur Kurzarbeit übergehen. Über 7.000 Menschen arbeiten gegenwärtig in 147 Firmen aller Branchen weniger als fünf Sechstel ihrer normalen Arbeitszeit und haben damit Anspruch auf eine Unterstützung vom Arbeitsamt, die so viel beträgt, dass etwa fünf Sechstel des früheren Einkommens erreicht werden. Direktor Klamroth wertet den Entschluss der Unternehmer zur Kurzarbeit als günstiges Zeichen. Man trete zwar etwas kurz, rechne aber wieder mit Anschlußaufträgen und verzichte darauf, Leuten zu kündigen. Es sind auch Fälle bekannt, in denen der Antrag auf Kurzarbeit wieder zurückgezogen wurde.

Die positiven Zeichen der Zeit sind eine erhöhte Bereitschaft zur Arbeit. Die wenig beliebten Stellen in Gaststätten und anderen Dienstleistungsbetrieben können besetzt werden, der Wechsel des Arbeitsplatzes ist lange nicht mehr so häufig wie früher.

Die sogenannten "Wechsler" oder "Springer", die in den letzten Jahren das Angebot auf dem Arbeitsmarkt nützten und - meist auf einen finanziellen Vorteil bedacht - alle paar Monate kündigten, haben nun häufig selbst die Kündigung in der Tasche. Außerdem stellt man beim Arbeitsamt fest, dass bekannte "Krankfeierer" und leider auch viele "leistungsgeminderte ältere Kräfte" ihre Arbeitsplätze verloren haben. Ob dabei auch Überlegungen, die älteren Mitarbeiter könnten mit der modernen Arbeitstechnik nicht mehr zurecht kommen, eine Rolle spielten, lässt sich wohl kaum nachweisen.

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In der harten Wirklichkeit hat die Kündigung dann diese Folgen: der Betroffene meldet sich mit seinen Papieren bei seinem zuständigen Vermittler im Arbeitsamt an der Karl-Grillenberger-Straße, erhält dort Antragsformulare für Arbeitslosengeld, wird zur Abgabe des Antrags wiederbestellt und muss sich dann einmal in der Woche melden. Alle 14 Tage gibt es Unterstützung. Je vollständiger die Verdienst- und Arbeitsbestätigungen sind, desto rascher läuft der Antrag. Im allgemeinen dauert es drei Wochen, bis die erste Unterstützung bezahlt wird. Wer nichts auf der hohen Kante hat, ist für diese Zeit auf das Sozialamt angewiesen.

"Schwarzarbeit wird nicht geduldet", erklärt Direktor Klamroth. Das Arbeitsamt schicke zwar keine Ermittler hinaus, aber es reagiere auf jeden bekannt gewordenen Fall sofort mit Anzeige wegen Versicherungsbetrugs. Der Ernst der Situation wird dem Außenstehenden erst bewusst, wenn er sich unter die Wartenden mischt, die ihre Anträge abgeben. 15, 20 Männer und Frauen stehen da, niemand spricht ein Wort mit dem anderen. Eine bedrückende Stille. Neben der Tür ein Plakat "Fotografieren nur mit Erlaubnis des Direktors gestattet". Und diese Erlaubnis wird grundsätzlich nicht erteilt. Ein junger Mann, der uns etwas über seinen "Fall" sagen soll, kontert barsch: "Das geht sie einen … an." Ein Mann um die 60: "Bei mir läuft auch schon der Rentenantrag, ich will nichts sagen." Ein dritter: "Bin ein Sonderfall, Akademiker, wirkliche ein Sonderfall, nichts für Sie."

Auch am Meldetag hat es den Anschein, als fühlten sich die Stempler als "Abgestempelte". Es wird ein bisschen geschimpft, über den Betrieb und die Ungerechtigkeit, über den Bürokratismus um das bisschen Geld, aber sonst erfährt man nicht viel. Man kennt sich auch kaum gegenseitig, der eine kommt aus dem, der andere aus jenem "Laden".

Und soviel gibt es als Unterstützung: bei einem wöchtenlichen Bruttoverdienst von 125 DM 52,50 DM, bei 175 DM 70,20 DM, dazu kommen für jedes unterhaltsberechtigte Familienmitglied 9 DM. "Rund 100 DM habe ich zu erwarten", bestätigt uns ausgerechnet ein Ausländer, ein griechischer Bauingenieur, der seit sieben Jahren in Nürnberg ist. Er hat eine Frau, ebenfalls berufstätig, "aber nächste Woche hat sie auch Kurzarbeit". Der Grieche ist verbittert, weil aus seinem Büro alle fünf Ausländer und nur ein Deutscher entlassen wurden. Er hat etwas zurückgelegt und sieht der Entwicklung zunächst gelassen entgegen. Sein Auto werde er wohl stillegen müssen, meint er. Für die Hälfte seines bisherigen Verdienstes habe man ihm Arbeit angeboten, aber so lasse er sich nicht drücken, lieber wolle er abwarten.

Berufstätigkeit von Mann und Frau spielt übrigens bei den bisherigen Entlassungen keine Rolle. In der großen Krisenzeit 1932 bestand eine Verordnung, daß nur ein Familienmitglied erwerbstätig sein darf.

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