23. April 1968: Ursache der jugendlichen Rebellion

23.4.2018, 07:00 Uhr
23. April 1968: Ursache der jugendlichen Rebellion

© Gerardi

Der Göttinger Pädagoge erhielt den ersten Beifall, als er den Studenten bescheinigte, dass sie kritische und bewusste Erwachsene seien, obwohl unsere Schulen nicht viel dazu getan hätten, dass sie kritisch werden. Er stellte fest, dass die Proteste der Jugend die Rebellion gegen die Verhaltensweise der Gesellschaft darstellen. Die aktive Opposition der Jungen sei nun plötzlich da, nachdem zwanzig Jahre lang im Zeichen der östlichen Gefahr ein Burgfriede geherrscht habe. Diese „falsche Konfliktlosigkeit“ sein nun zu Ende.

Prof. Hentig stellte verschiedene Thesen auf, die er im einzelnen näher erläuterte. Der Konflikt mit der Jugend, so sagte er, widerspiegelt das verworrene Verhältnis zu Macht. Die Erwachsenen haben nichts anderes gelernt, als zurückzuweichen oder zurückzuschlagen. Es kommt aber darauf an, die Missstände abzustellen. Es ist heilsam für unsere etablierte Gesellschaft, durch die jugendlichen Proteste zu erfahren, dass sie - was sie zwanzig Jahre lang glaubte, nicht tolerant ist.

Hentig wies ferner darauf hin, dass der Konflikt mit der Jugend in die Frage nach dem Sinn oder Unsinn des Kapitalismus münde, der mit dem Begriff des Wohlstandes eng verbunden sei. Es frage sich aber, wie der Wohlstand am vernünftigsten zu ertragen sei. Es besteht nach Hentigs Auffassung für die jugendliche Opposition so lange keine Aussicht, gehört zu werden, bis nicht die Wissenschaft gesellschaftlich wird. Der Unmut der Studenten gegen die Professoren sei verständlich, doch seien pauschale Urteile ungerecht, denn viele Professoren hätten es nicht gelernt, ihr akademisches Amt auch einmal aus der politischen Perspektive zu betrachten. Sie verstünden nicht den Zusammenhang zwischen Demokratie und Wissenschaft.

Mangele es den Professoren oft an Selbstkritik, so den Studenten an der Fähigkeit, sich mit klaren Argumenten verständlich zu machen. Anstatt sich mit den Studenten zu verbinden, die doch ihre natürlichen Verbündeten in der Forderung nach einer fortschrittlichen Entwicklung der Universität sein müssten, verharrten die Professoren gern in der Reaktion.

Wie Prof. Horkheimer am Sonntag, so gab auch Prof von Hentig zu, keine Rezepte für die Jugend zu haben, hinter deren oft falscher Forschheit sich wahre Angst verberge. Bezüglich der Radikalisierung der jugendlichen Opposition fragte Hentig: Wann wird es zu spät sein, wenn es jetzt immer noch zu früh ist, sich auf Ursachen der Missstände zu besinnen und konstruktive Entschlüsse zu fassen?

Am Schluss seiner ausgezeichneten Ausführungen, die sich konziliant bemühten, beiden Seiten gerecht zu werden, sprach Prof. von Hentig von der "großen Verweigerung", die an Stelle der Gewalt praktiziert werden könne. So sei es zu überlegen, ob nicht beispielsweise Studenten während der Vorlesungen geschlossen in die Stadtanlagen gehen sollten, um so gegen den veralteten Universitätsbetrieb zu protestieren. Der Vortrag von Hentigs war bei aller Kritik von kühler Vernunft und praktischer Einsicht in die realen Tatbestände gekennzeichnet.

Eine lange Diskussion schloss sich an, die von Dr. Heigert vom Bayerischen Rundfunk energisch und zielstrebig geleitet wurde. Er konnte allerdings nicht verhindern, dass Fragen aus dem Publikum am Thema vorbeigingen oder allzu langatmig gerieten. Es gab aber auch gute Fragen, die das allgemeine Nachdenken über die Proteste der Jungend in unsere Zeit förderten und Antworten hervorriefen, die zu Klärung der Probleme beitrugen. Die Zahl der Teilnehmer an der Diskussion war erweitert worden. Es saßen auch einige junge wissenschaftliche Assistenten der Universität Erlangen-Nürnberg auf dem Podium, die dem SDS angehörten.

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