23. August 1967: Kraftfahrer sehen bei Grün rot

23.8.2017, 07:21 Uhr
FotocreditDipl.-Ing. Jürgen Milowski (links) und Georg Sorge brauchen nur einen Blick auf diese Karte zu werfen: Punkte markieren die Kreuzungen, die in der Stadt mit Ampeln bestückt sind.

© Kammler FotocreditDipl.-Ing. Jürgen Milowski (links) und Georg Sorge brauchen nur einen Blick auf diese Karte zu werfen: Punkte markieren die Kreuzungen, die in der Stadt mit Ampeln bestückt sind.

Den Grund für solche Wutausbrüche hinter dem Steuer liefert eine Ampel, die plötzlich den Verkehrsfluß unterbricht. Während der "Vordermann" noch schnell über die Kreuzung flitzt und ein Stück in der grünen Welle weiterfahren kann, wird der nachfolgende Wagen zum Halten gezwungen.

Dieser Vorgang wiederholt sich tausendmal am Tag. Dessen ungeachtet können die Verkehrsteilnehmer zufrieden sein. Wenn sie nicht gerade im abendlichen Berufsverkehr irgendwo hoffnungslos eingeklemmt sind, kommen sie recht flott durch die Stadt. Und das, obwohl 150 Kreuzungen mit Signalanlagen bestückt sind.

Ob die Ampelgalerie funktioniert, wird vom Stadtplanungsamt laufend überprüft. Die städtischen Rechenkünstler zählen ständig die Fahrzeuge und ermitteln die günstigsten Zeiten für geradeaus fahrende und abbiegende Autos sowie für Fußgänger. Mit dem Ergebnis ihrer langwierigen Untersuchungen wird das "Elektronengehirn" im Polizeipräsidium gefüttert, das den gesamten Verkehr in Nürnberg steuert. "Ein Feilschen um Sekunden" nennen technischer Angestellter Georg Sorge und Diplom-Ingenieur Jürgen Milowski diese Heidenarbeit, die ständig durch Baustellen, Umleitungen und Sperrungen erschwert wird.

Kritische Punkte im Verkehr: zwischen Lessingstraße und Opernhaus stauen sich oft die Fahrzeuge.

Kritische Punkte im Verkehr: zwischen Lessingstraße und Opernhaus stauen sich oft die Fahrzeuge. © Kammler

Die beiden Verkehrsexperten haben insgesamt vier Programme entwickelt: zwei für Spitzenzeiten mit einer Umlaufzeit von 90 und 104 Sekunden und je eines für den Tages- und Nachtbetrieb, bei dem es zwischen 45 und 70 Sekunden dauert, ehe sich eine Grün-, Gelb- oder Rotphase wiederholt. Im Augenblick kann der Computer nur mit vorausberechneten Werten arbeiten. Aber schon im nächsten Jahr wird in Nürnberg das Elektronenzeitalter auf den Straßen in vollem Umfang einsetzen.

Dann sollen an den wichtigsten Kreuzungen Detektoren den vorbeifließenden Verkehr zählen und das Ergebnis dem Computer melden, der postwendend seine Befehle erteilt: er paßt automatisch die Grün-Phasen dem tatsächlichen Verkehrsaufkommen an. Wichtige Versuche werden im Augenblick bereits unternommen. In den vergangenen Wochen hat ein Fernseh-Auge den Verkehr auf dem Plärrer, am Rathenauplatz und auf der Münchener Straße bei der Trierer Straße überwacht und ausgezeichnete Bilder ins Polizeipräsidium gesendet.

Obwohl das Stadtplanungsamt noch vielfach mit Bleistift und Rechenschieber umgehen muß, hat es elf grüne Wellen ausgeknobelt, mit denen bei normalem Verkehr in Nürnberg gut vorwärts zu kommen ist. Wenn man Glück hat, kann man die Fürther Straße bis zum Nordost-Bahnhof in einem Zug durchfahren.

In den nächsten Monaten sollen die Ampel-Umlaufzeiten auf 50-90 Sekunden beschnitten werden. "Damit verkürzen wir die Wartezeiten des Querverkehrs und fädeln ihn besser in den fließenden Verkehr ein", begründet Georg Sorge die Absicht des Stadtplanungsamtes. Obwohl die grüne Welle immer auf Kosten des Querverkehrs und der Fußgänger geht, brauchen Passanten nicht besorgt zu sein – auch wenn die Mindest-Grünzeit für sie nur fünf bis sechs Sekunden beträgt. Schaltet eine Ampel auf Rot, wenn man gerade erst die Straße betreten hat, ist noch ein genügender Sicherheitsfaktor "drin", um ungefährdet die andere Straßenecke zu erreichen.

Die grüne Welle funktioniert nicht für Rennfahrer und Schnellstarter. Sie muß den Schwerverkehr berücksichtigen, der auch über mehrere Kreuzungen zu bringen ist. Deshalb sind die Programme auf etwa 40 Stundenkilometer berechnet, auch wenn 50 Stundenkilometer in der Stadt erlaubt sind. Eine Ausnahme bildet die Münchener Straße, wo die Schaltphasen auf 70 "Sachen" eingestellt sind. Das bestausgeklügelte Ampelnetz nutzt jedoch im dichten Berufsverkehr nichts mehr. "Dann müssen die Kreuzungen mit Polizeibeamten besetzt werden", meint Oberinspektor Reinhold Lenker von der Verkehrsstreifengruppe.

"Im Übrigen", so findet Georg Sorge, "wäre es jammerschade, wenn man die Stadt in einem Zug durchkreuzen kann. Nürnberg hat so viele Sehenswürdigkeiten, daß es zweckmäßig ist, wenn man einmal gestoppt wird." Wem das kein Trost ist…

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