24. April 1967: In 54 Minuten war der Spuk vorbei

24.4.2017, 07:00 Uhr
24. April 1967: In 54 Minuten war der Spuk vorbei

© Kammler

Die Sprengung der Travertin-Kolosse verlief reibungsloser als die Experten zu hoffen gewagt hatten: in genau 54 Minuten war der Spuk vorbei. Zurück blieben 50.000 Kubikmeter Betontrümmer – verstaubtes Überbleibsel vom ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Damit ist jetzt das größte Hindernis weggeräumt, das seither der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (WBG) bei der Errichtung von 7.273 Wohneinheiten für fast 25.000 Menschen im Nordosten von Langwasser im Wege stand.

Bevor aber die klobigen Steinriesen mit 1.150 Kilogramm Sprengstoff vom 2. Pionierbataillon aus Ingolstadt in die Luft gejagt wurden, waren umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen notwendig. Im Umkreis von 300 Metern mußten tausend Personen ihre Wohnungen verlassen.

24. April 1967: In 54 Minuten war der Spuk vorbei

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Die Räumung der etwa 300 Wohnungen war nach einem genauen Generalstabsplan vorbereitet worden. „Wir haben an alles gedacht“, versicherte WBG-Direktor Dipl.-Volkswirt Joseph Haas. Bereits zwei Stunden vor der ersten Detonation verließen ganze Familien mit Kind und Kegel ihre Häuser. Für sie standen als Notquartier die Adalbert-Stifter- und die Gerhart-Hauptmann-Schule zur Verfügung. Dort wurden die Leute von BRK-Helfern betreut und mit Proviant gratis versorgt.

Während 45 Polizeibeamte unter der Leitung von Oberamtmann Simon Schirm und Oberinspektor Georg Steiner sowie Bundeswehrsoldaten das Gebiet um die Märzfeldtürme hermetisch abriegelten, fuhren Lautsprecherwagen durch die gefährdete Zone und forderten die Bevölkerung zum „luftschutzmäßigen Verhalten“ auf. „Wir haben alle Fenster und Türen geöffnet, Bargeld und persönliche Unterlagen in die Handtaschen gepackt“, erklärten übereinstimmend Käthe Görlich und Maria Hochlechner aus der Unterstraße 4. Gelassen stiegen sie in einen der fünf VAG-Omnibusse, die zur Fahrt in das „Asyl“ bereitstanden.

„Wir besuchen unsere Eltern in Zabo“, verraten Günter und Ute Mederer. So wie diese beiden jungen Eheleute handelten die meisten Bewohner der gefährdeten Wohnblocks: sie verließen bereitwillig ihre Zimmer, verbrachten aber die Zeit während der Sprengung bei Bekannten oder unternahmen einen Stadtbummel. Deshalb fanden sich schließlich nur 60 Personen in der Adalbert-Stifter-Schule ein, so daß das zweite Notquartier erst gar nicht geöffnet zu werden brauchte.

Um ein Haar wäre die Evakuierung wesentlich dramatischer verlaufen. Wenn sich ein bereits angekündigtes Gewitter über Nürnberg entladen hätte, dann wäre die Zwangsräumung schon in der Nacht fällig gewesen. Der Grund: die Sprengsätze waren schon einen Tag zuvor gelegt worden, und die Gefahr einer Selbstentzündung durch Blitzschlag konnte nicht von der Hand gewiesen werden.

„Wir hatten großes Glück“, meinte Direktor Haas, der zusammen mit Oberbaudirektor Heinrich Laumer als Chef der Bauordnungsbehörde, Katastrophenschutzleiter Stadtrat Albert Bleistein und der Polizei alles getan hatte, um die Bevölkerung zu schützen. Der Angriff auf die Türme begann mit einer Verspätung, aber gleich mit vollem Erfolg: um 8.34 Uhr erschüttert eine gewaltige Druckwelle den Boden. Sekunden später bricht der 34 Meter hohe Turm „Heinrich“ mit einer überbauten Fläche von 13,60 mal 16 Metern in sich zusammen. Während zahlreiche Filmkameras surren und Photoapparate klicken, stürzt der Koloß auf den Boden. Übrig bleibt ein kleiner Berg aus Betontrümmern, Steinbrocken und verbogenem Stahl.

24. April 1967: In 54 Minuten war der Spuk vorbei

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Jubelnd reißt der Bataillonschef des Pionierbataillons, Oberstleutnant Jörn von Fabeck, die Arme hoch und ruft: „Wunderbar!“ Seine spontane Freude ist verständlich, denn vor einem Jahr hatte die Sprengung der ersten fünf Märzfeldtürme mit einem Mißerfolg geendet. Vier Travertin-Giganten waren damals erst im zweiten Anlauf dem Erdboden gleichgemacht worden; der sechste konnte erst am nächsten Tag in die Luft gejagt werden.

Vor Jahresfrist retteten das amerikanische Benzindepot und der Flugplatz die fünf letzten Türme. Da die militärischen Anlagen inzwischen verlegt worden sind, stand dem Unternehmen „Märzfeld“ nichts mehr im Wege. Gewitzt durch die schlechten Erfahrungen bei der Generalprobe, hatte das Pionierbataillon aus Ingolstadt vorgesorgt: es erhöhte nicht nur die Sprengladung von 170 auf 230 Kilogramm, sondern ließ nun auch die meterdicken Stützmauern vorher knacken. Das sollte sich bezahlt machen.

Komplimente für den „Sieger“

Schon zehn Minuten nach „Heinrich“ kippte sein Nachbar programmgemäß und um 9.10 Uhr war aus dem dritten Turm nur noch Schutt übrig. Bereits zehn Minuten später stürzte der vierte und um genau 9.28 Uhr auch der letzte Steinriese zusammen. Oberbaudirektor Laumer und Direktor Haas schütteten Oberstleutnant Fabeck begeistert die Hand. Beide sparten nicht mit Komplimenten.

Was die Prominenz aus sicherer Distanz durch Ferngläser beobachtete, wurde gleich darauf auch über Polizeifunk bestätigt: kein einziger Zwischenfall trübte diesmal die Sprengung. Selbst der ausgediente Hangar überstand alle Detonationen, und alle Fensterscheiben in den nahen Wohnblocks blieben heil. „Besser hätte es nicht laufen können“, lobte Direktor Haas. Die nächsten Befehle waren nur noch eine Formsache: die Sperrung der Münchener Straße wurde aufgehoben, und die Bewohner durften wieder heimkehren.

Die Beseitigung der Märzfeldtürme hat in die Kasse der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft ein großes Loch geschlagen. Sie mußte für die Räumung des Travertingesteins und für die Verlegung der US-Anlagen etwa eine Million Mark aufwenden. Mit den 130.000 Kubikmetern Trümmerschutt, der mit Erdreich überdeckt und bepflanzt wird, entstehen bis zu 17 Meter hohe Lärmschutzwälle.

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