24. Oktober 1968: Telefonpartner sind bald zu sehen

24.10.2018, 07:00 Uhr
24. Oktober 1968: Telefonpartner sind bald zu sehen

© Ulrich

Ungeahnte Möglichkeiten erschließt die Erfindung des Fernsehtelefons, das gestern dem Verband Deutscher Postingenieure Bezirksgruppe Nürnberg von Diplom-Physiker Wolfgang Heberle (Siemens-AG München) vorgeführt wurde. In etwa fünf bis zehn Jahren soll es schon im öffentlichen Fernsprechnetz verwendet werden können.

Beim Normalverbraucher mag das "Videophon", wie es die Techniker nennen, in vielerlei Hinsicht die Phantasie beflügeln. Die Damen werden an neue Frisuren oder Kleider denken, die sie am Telefon vorführen können, oder bei der Vorstellung erschrecken, daß sie am frühen Morgen durch schrilles Klingeln aus dem Bett gejagt werden: der Anblick!

Doch auch daran ist bei der Erfindung gedacht. Mit einem Druck auf den Knopf erscheint das eigene Bild, wie es die kleine eingebaute Kamera in dem Übertragungsgerät sieht. Entspricht es der Schönheitsvorstellung des Fernsprechteilnehmers, wird es mit dem Druck auf einen anderen Knopf dem Partner übermittelt. Ansonsten bleibt man ungesehen.

Doch derlei Spielereien sind nur die vergnüglichen Randerscheinungen der Erfindung. Zunächst wird das Fernsehtelefon lange Zeit eine Kostenfrage bleiben und nur für geschäftliche Zwecke in Betrieben erschwinglich sein. Denn mit einem "Lesevorsatz", der den vorgeschriebenen Abstand von einem Meter zur Kamera verringern oder vergrößern kann, lassen sich Schriftstücke, Skizzen, Zeichnungen und alle anderen Gegenstände als Ergänzung zum Gespräch bildhaft übermitteln. Für Banken oder Planungsbüros mit vielen Niederlassungen oder ähnliche Betriebe wird das "Videophon" sicher einmal unentbehrlich werden.

Vor allem aber für Bildinformations- Auskunfts- und Lehrdienste, sowie Rechenzentralen, Informationszentren und ähnliche Einrichtungen eröffnet es unzählige neue Möglichkeiten der Benachrichtigung, Bildung und Arbeitserleichterung.

Das Konzept dieses Telefonsystems lehnt sich eng an bereits bestehende Fernsprechnetze an, wird aber vorerst nur in Privatnetzen in großen Betrieben angewandt, Die Übertragung mit 0,5 MHz Bandbreite gestattet aber, normale symmetrische Fernsprechleitungen im Teilnehmeranschluß zu benutzen. Es kommen nur zwei Adernpaare für die Bildübertragung hinzu.

Die Bildgröße im Hochformat beträgt neun mal elf Zentimeter. Das Fernsehbild ist auf 225 Zeilen, 25 Hz Bildfrequenz mit Zeilensprung genormt. Es würde dann durch ein zusätzliches Koppelfeld von der Fernsprechvermittlung mitgesteuert. Doch vorläufig zeigen nur Versuchsmodelle die Zukunft des "sprechenden Bildes" auf.

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