25. April 1968: Blick in die Zukunft

25.4.2018, 07:00 Uhr
25. April 1968: Blick in die Zukunft

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Zum ersten Male saß der bekannte und weitgereiste Journalist und Schriftsteller Dr. Robert Jungk, Autor des aufsehenerregenden Werkes „Die Zukunft hat schon begonnen“, mit auf dem Podium und in den Seminaren. Der 54jährige Zukunftsforscher war einer der eifrigsten Teilnehmer; von früh bis spät suchte er den Gedankenaustausch mit allen, die dazu bereit waren.

In einem Interview mit unserer Zeitung zieht der Joseph-E.-Drexel-Preisträger des Jahres 1960 eine Bilanz der vier Tage des Nürnberger Gesprächs 1968.

Redaktion: Was hat Sie, Herr Dr. Jungk, bewogen, an diesem Kongreß in Nürnberg teilzunehmen?

Dr. Jungk: Diese Tagungen füllen eine Lücke aus. Sie bringen Hochschule, Publizistik und andere Teile des Berufslebens zusammen und bilden somit eine neue Form des interdisziplinären Kontaktes, die wir auf den Universitäten noch nicht haben. Solche Gespräche und Kongresse stellen aber auch eine Art von Ersatz für den Marktplatz dar, den es nicht mehr gibt, auf dem sich früher der Schuster und der Metzger getroffen und ihre Meinungen ausgetauscht haben.

Redaktion: Halten Sie es für sinnvoll und nützlich, daß Persönlichkeiten der verschiedensten Berufe tagelang zusammensitzen und diskutieren?

Dr. Jungk: Wir leben in einer Welt, in der die einstigen Trennungen sowohl kontinental als auch geistig gefallen sind. Früher gab es soviel Spielraum. Da hat man beispielsweise einfach ein Kraftwerk oder eine Fabrik irgendwo hingestellt. Heute weiß man, daß ein Kraftwerk Platz für 1500 Autos, Straßen, Wasserleitungen und so weiter braucht. Heute muß man sich fragen, was beim Bau einer solchen Anlage an Landschaft verlorengeht. Heute kommt man nur noch zu interessanten Lösungen, wenn man Menschen zum Gespräch zusammenbringt. Solche Kongresse und Tagungen bilden Hauptstädte, die man in vier oder fünf Tagen aufbaut und dann wieder abreißt.

Redaktion: Was sagen Sie zu der speziellen Form des Nürnberger Gesprächs?

Dr. Jungk: Es hat von anderen Gesprächen gelernt, daß außer den großen, im Grunde immer unbefriedigenden Podiumsdiskussionen – unbefriedigend, weil man durch den großen Zuschauerraum sehr leicht zum Demagogischen verleitet wird, weil die Podiumsdiskussion zu einer Art geistigen Fußballspiels ausartet – noch eine Plattform nötig ist. Das sind hier die Seminare. In ihnen lassen sich die Dinge vor weniger Menschen besser klären. Wir haben in unserer Gruppe („Spielräume der Demokratie“) großartig zusammengearbeitet. Im Grunde aber sind solche Kongresse lauter Feuer, die angezündet werden und wieder ausgehen. Man müßte sich alle zwei Monate treffen, jedoch geht das nicht.

Redaktion: Teilen Sie die Ansicht vieler Kongreßbesucher, daß das Thema „Opposition in Deutschland“ besonders interessant gewesen ist?

Dr. Jungk: Die Veranstalter haben Glück gehabt, als sie dieses Thema wählten. Es ist eben eine Kunst, Antennen zu besitzen, in die Zeit hinauszuhören. Ich persönlich bin jedoch sehr enttäuscht, daß die Presse und die Nachrichtenagenturen in Deutschland das Gespräch sehr schwach beschickt haben. Ich hätte nach den Ereignissen der letzten Tage und Wochen mehr Interesse von dieser Seite erwartet.

Redaktion: Sie sind weit in der Welt herumgekommen. Glauben Sie, daß dieses Gespräch dem internationalen Ansehen der Stadt Nürnberg nutzt?

Dr. Jungk: Ich glaube, daß es gerade für Nürnberg sehr wichtig ist, nötiger als in anderen Städten, denn Nürnberg ist noch immer mit dem Image der Reichsparteitage und der Nürnberger Gesetze behaftet. Eine Stadt, in der man die Gleichschaltung und Einförmigkeit einst groß herausgestellt hat, braucht das Gesundungszeichen eines Gesprächs über die Opposition. Wenn man aber internationale Wirkung erreichen will, muß man die internationale Presse einladen, muß man sich die Sache etwas kosten lassen. Zehn Vortragende weniger, dafür zehn internationale Journalisten erscheinen mir wertvoller. Deshalb sollte man bei künftigen Gesprächen versuchen, bewußt internationale Leute herbeizuholen.

Redaktion: Der Kongreß mit seinem brennenden Thema stellte einen Höhepunkt dar. Bietet sich nach Ihrer Ansicht überhaupt noch eine Chance, ein künftiges Gespräch attraktiver zu gestalten?

Dr. Jungk: Ich habe mich sehr für die Zukunftsforschung interessiert, ich denke daher an eine Konferenz der Zukunftsforscher aus aller Welt, die noch nirgendwo vor Publikum stattgefunden hat. Man müßte alle Fachleute auf diesem Gebiet aus Ost und West zusammenbringen, um sie gemeinsam über die Zukunft der Welt diskutieren zu lassen. Ein solches Thema ist im Winde. Entweder macht man „Die Zukunft Europas“ oder „Deutschland 1990“. Wenn eine Stadt so etwas unternimmt, bekommt sie ein interessantes Image. Nur ein Gesichtspunkt eines solchen Kongresses: jetzt spricht alles nur von den Studenten, in zehn Jahren aber gibt es bestimmt einen Aufstand der Alten, denn für die älteren Menschen ist nichts vorgesehen. Sie stellen uns vor Fragen über Fragen: Sollen sie länger arbeiten oder nicht? – Wo sollen sie leben? – Sollen sie von den Kindern ernährt werden oder nicht? – Wie wird es mit den Renten? Ich bin sicher, daß es morgen einen Alten-Markt, so wie es heute einen Teenager-Markt gibt.

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