25. Januar 1969: Nach Australien abgesetzt

25.1.2019, 07:00 Uhr
25. Januar 1969: Nach Australien abgesetzt

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Zurück ließ er ein 24-Millionen-Projekt, an dem die Arbeiten in den vergangenen Wochen eingestellt worden sind.

Wie hoch die finanziellen Verpflichtungen des Architekten sind und ob er Gelder seiner Kunden veruntreut hat, ist nicht bekannt. Nur eines können die Beteiligten mit Gewißheit sagen: Richard B. hält sich mit seiner Frau in Sydney auf. Dort kann er sich sogar sehr sicher fühlen, denn nach dem Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und Australien gibt es keine Möglichkeit, daß der Architekt wegen eines Wirtschaftsdelikts abgeschoben werden kann.

Dem 45jährigen war es im größten Bauboom gelungen, 1966 – vermutlich nur mit Krediten – ein respektables Grundstück in Kerpen bei Köln zu erwerben. Noch im gleichen Jahr schoß ein Hochhaus in die Höhe, das im Sommer 1967 bezugsfertig war. Ein zweiter „Zementsilo“ folgte auf dem Fuße.

Da der Nürnberger relativ schnell Käufer für die Eigentumswohnungen (Kostenpunkt: zwischen 40.000 und 85.000 DM) und Mieter (Preis pro Quadratmeter: 4,50 DM) fand, wagte er sich an ein drittes Projekt heran. Inzwischen hatte er jedoch die Auswirkungen der Rezession zu spüren bekommen. Die Folge: Richard B. blieb zum größten Teil auf den 112 Wohnungen in seinem dritten Block sitzen, so daß er in beträchtliche finanzielle Schwierigkeiten geriet.

Der Geldmangel des Nürnberger Hausherrn führte dazu, daß die Arbeiten eingestellt werden mußten. Die Unzufriedenheit unter den Mietern wuchs, zumal fest zugesagte Gemeinschaftseinrichtungen fehlten, der Trockenboden feucht war und im Keller das Wasser von den Wänden tropfte. Hundert B.-Kunden schlossen sich zu einer Interessengemeinschaft zusammen, die gegen den Architekten im Herbst vergangenen Jahres einen Prozeß anstrengte. Ihn verlor der „Baulöwe“ in der ersten Instanz. Doch Richard B. ging sofort in die Berufung, über die noch nicht entschieden ist.

Bereits zu diesem Zeitpunkt muß der Architekt keine Möglichkeit mehr gesehen haben, die Finanzlücken seines Millionen-Projektes zu schließen. Denn wie anders ist seine überstürzte Abreise zu erklären: Richard B. fuhr nach Wien und besorgte sich dort die Ausreisegenehmigung nach Australien. Hals über Kopf verließ er mit seiner Frau die Sieben-Zimmer-Wohnung in der Goebenstraße 54 (Mietpreis: 485 DM), nahm nur das Notwendigste mit und flog schöneren Zeiten in Sydney entgegen.

Der in Bregenz geborene Architekt, der am 5. 7. 1962 von Baiersdorf nach Nürnberg gekommen war, verschwand mit all seinen persönlichen Unterlagen, die Licht in den Kölner Bauskandal bringen könnten. Lediglich an zahlreiche Baupläne, die in einem verschlossenen Einbauschrank gefunden wurden, dachte er bei seiner Flucht nicht mehr. Sie beschäftigen sich mit Bauvorhaben in Erlangen (Dompfaffstraße, Reichelsdorfer Straße), München, Augsburg und Salzburg. Außerdem hatte er einige Rechnungen „vergessen“: der Post schuldet der Australienreisende noch 300,50 DM Telefonkosten, und der Stadt 20 DM für Strom und 300 DM für Gas.

Während der Nürnberger unbehelligt in Australien lebt, fühlen sich viele Mieter und Käufer seiner Wohnungen betrogen. Eine Zwangsverwaltung ist bereits angeordnet worden. Sie wurde von einer Schweinfurter Privatbank betrieben, die sich in dem Kölner Projekt engagiert hatte. Die B.-Kunden sehen schwarz, denn sie müssen ihre Ansprüche höchstwahrscheinlich in den Schornstein schreiben.

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