25. November 1968: "Ranna-Sprudel" bereitet Kummer

25.11.2018, 07:00 Uhr
25. November 1968:

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Eine „dreckige gelb-braun-graue Brühe“ definierte resolut eine Verbraucherin das Trinkwasser. Durch seine Aggressivität rufe es schwere Korrosionsschäden an Boilern und Warmwasserleitungen hervor, die bereits in die Millionen gingen, sekundierte ein weiterer Bürger.

Nürnbergs Wasserlieferant – die EWAG –, bereits aufgeschreckt durch die anonyme und anklagende „Flaschenpost“ an den Bundesminister für das Gesundheitswesen, Frau Käte Strobel, besänftigte: das Trinkwasser ist besser als sein Schein. Und selbst trübes Wasser bedrohe keineswegs die Gesundheit, attestiert die städtische Chemische Untersuchungsanstalt.

Von der Hohen Marter erreichte die Redaktion ein neuer „Wasser-Notruf“: „Seit über zwei Jahren entnehmen wir unseren Leitungen keinen sauberen Ranna-Sprudel mehr. Das Wasser kann zum Kaffee nicht verwendet werden. Beim Kochen bildet sich ein gelbbrauner Schaum.“ Auch ein EWAG-Störungstrupp habe diesen Notstand nicht beheben können. Ein anderer Leser schreibt: „Das Nürnberger Wasser hat unter den bayerischen Wässern den schlechtesten Ruf, den man sich vorstellen kann. Es ist eines der aggressivsten Wässer in der Bundesrepublik. Allein im Wohngebiet Langwasser sind bereits Hunderte von Schadensfällen zu verzeichnen.“

Die zunehmende Zahl von Korrosionsfällen veranlaßte nicht zuletzt die EWAG am 23. Juli 1968 eine Richtlinie über das Trinkwasser herauszugeben. Danach sei das von der EWAG gelieferte Wasser auf Grund seiner chemischen und bakteriologischen Beschaffenheit hygienisch einwandfrei und habe in den letzten Jahren seine Eigenschaften nicht nennenswert verändert. Dagegen wird eingeräumt, daß bei Warmwasseranlagen mehrfach stärkere Korrosionsschäden aufgetreten seien, wobei in den Richtlinien die Frage nach der Ursache unbeantwortet bleibt.

EWAG-Vorstandsmitglied Direktor Dr.-Ing. Heinrich Novak wies den Vorwurf, das Nürnberger Wasser sei schlecht, als „völligen Unsinn“ zurück. Im Gegensatz zum Trinkwasser verschiedener deutscher Städte versorge die EWAG die Bevölkerung mit einem Trinkwasser „so wie es die Natur liefere“, das lediglich durch Chlorierung keimfrei gemacht werde. Allerdings sei das Pegnitzwasser, das seit 1955 vom Wasserwerk Mühlhof verschiedentlich in die Trinkwasserversorgung eingespeist werde, „nicht ganz so wohlschmeckend“. Doch sei das alles letztlich eine „Frage der geschmacklichen Ästhetik“, meinte Direktor Dr. Novak.

Auf keinen Fall werde ein trübes und schmutziges Wasser in die Leitungen eingespeist. Wenn einzelne Verbraucher über schlechtes Wasser klagen – die Zahl der Beschwerden sei nur geringfügig und habe auch in den letzten Jahren nicht zugenommen –, so liege das wohl daran, daß durch Veränderungen der Fließgeschwindigkeiten innerhalb der Leitungen Ablagerungen aufgewirbelt werden.

Eine Verschmutzung des Nürnberger Trinkwassers durch rostende Wasserleitungen stellte Dr. Novak in Abrede, obwohl auch ihm bekannt sei, daß in anderen deutschen Städten die Verunreinigung des Trinkwassers durch korrodierende Rohrleitungen zunehme. Solche Schäden seien in Nürnberg bislang nur bei Warmwasserleitungen zu beobachten. Er fordert alle Wasserbraucher auf, Verschmutzungen des Trinkwassers unverzüglich der EWAG zu melden, damit alsbald aus allen Nürnberger Kränen wieder kristallklares Wasser sprudeln kann.

Im Gegensatz zur EWAG verzeichnet die städtische Chemische Untersuchungsanstalt eine steigende Zahl von Beschwerdefällen. Direktor Dr. Bruno Trinczek nannte zwar die Zahl der Beschwerdeführer im Verhältnis zur Gesamtzahl der Wasserverbraucher als äußerst gering, doch hätten die Beschwerdefälle insgesamt in den beiden letzten Jahren unverkennbar zugenommen.

Bei den chemischen Untersuchungen des beanstandeten Trinkwassers seien Rostrückstände gefunden worden, die wahrscheinlich auf Korrosionsvorgänge in einzelnen Teilen des Leitungssystems schließen lassen. Eine sichere Feststellung sei jedoch nicht möglich. Der Chemiker mutmaßt, daß die Wasserverschmutzung in einem Zusammenhang mit neuartigen Verzinkungsverfahren der Stahlrohre stehen könnte. Die nahezu gleichlaufende Verschmutzung des Trinkwassers in vielen deutschen Städten könnte, nach Meinung von Dr. Trinczek, eine derartige Vermutung begründen.

Fazit: Zwei Ämter – zwei Meinungen. Eigentlich eine zuviel.

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