26. August 1967: Gaststätten ziehen Bilanz aus Kirchweihfesten

26.8.2017, 07:00 Uhr
26. August 1967: Gaststätten ziehen Bilanz aus Kirchweihfesten

© Ulrich

Dem einen Gast ist das Bier zu warm, dem anderen zu kalt, der dritte beschwert sich, weil noch ein paar Tropfen bis zum Eichstrich fehlen. Manchmal mag die Kritik auch berechtigt sein, denn wie in jedem Beruf gibt es auch im Gaststättengewerbe einige „schwarze Schafe“. Aber im großen und ganzen dürfen die Nürnberger schon mit ihrer Gastronomie zufrieden sein. Das bestätigen nicht nur die zahlreichen Fremden, das merken auch die „Pöiterlesboum“, wenn sie einmal woanders hinkommen. Vielleicht habe ich bis vor kurzem ebenfalls zu den Nörglern gehört.

Jedenfalls muß der Wirt meines Stammlokals einmal eine Bemerkung aufgeschnappt haben. Acht Tage vor der Kirchweih in seinem Stadtteil sagte er mir frank und frei: „Du kannst ja einmal selber das ganze Drum und Dran miterleben, aber nicht als Gast, sondern hinter der Theke!“ Wir Journalisten sind nun einmal ein neugieriges Völkchen, und dann: was sollte da schon dabei sein, „einige Biergläschen“ zu füllen. So dachte ich wenigstens. Die folgenden Tage sollten mich eines Besseren belehren!

An einem Montag beginnt die neue, selbstauferlegte Tätigkeit, vorerst jedoch nicht hinter der Theke. Der große Garten muß für den erhofften Gästeansturm auf Hochglanz poliert werden. Tische und Stühle stehen in Reih`und Glied, kein Papierschnitzel mehr ist zu sehen.

26. August 1967: Gaststätten ziehen Bilanz aus Kirchweihfesten

© Ulrich

Zufrieden über mein Werk schlummere ich dem nächsten Morgen entgegen, der mit einem gehörigen Muskelkater beginnt. Zum Glück ist am Dienstag Ruhetag, schließlich müssen doch auch die Wirtsleute einmal ausspannen. An der Gasthaustür prangt auch das Schild „Heute geschlossen“, aber wenige Tage vor der Kirchweih gibt es im Gaststättengewerbe keine Ruhe.

Zeitraubende Behördengänge stehen auf dem Tagesfahrplan. Was es da nicht alles zu erledigen gibt: Polizeistundenverlängerung, Genehmigung für Gartenmusik und Tanz und derlei mehr ist zu beantragen. Für alles muß die Brieftasche gezückt werden, bevor die erste Maß abgezapft ist. Es geht dabei nicht ganz ohne Sticheleien ab. Eine städtische Angestellte streicht zwar eifrig die Gebühren ein, versichert aber gleichzeitig, daß es ihr völlig egal sei, ob es am Wochenende regnet. „Wissen Sie, ich gehe nämlich grundsätzlich in kein Wirtshaus“, fügt sie hinzu.

Der Rest des Tages vergeht mit bangen Diskussionen, wie wohl das Wetter wird, wie viele Bratwürste bestellt werden sollen. In schlimmster Erinnerung haben die Wirtsleute noch die Kirchweih 1966, die total verregnet wurde. Allein über 2.000 Bratwürste waren übriggeblieben. Obwohl der Himmel am Mittwoch seine Schleusen geöffnet hat, muß die Illumination im Garten in Ordnung gebracht werden. Immer in dem Bewußtsein, daß alle Arbeit umsonst sein kann.

Doch am Donnerstag und Freitag scheint die Sonne. Erstmals sitze ich, wenn auch mit klammen Fingern – die ungewohnte Arbeit hat ihre Spuren hinterlassen – wieder an der Schreibmaschine. Speisekarten gehören nun einmal zum Service. Am Freitagabend geht endlich mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung: ich stehe hinter der Theke und zapfe das erste Glas Bier ab. Vorher habe ich noch theoretischen Unterricht erhalten, daß die Skala der Kohlensäureflasche immer auf einem bestimmten Strich stehen muß, wie man das Glas hält, damit es in einem Zug vollläuft und so weiter.

Bis auf ein paar Kartenspieler und einige Gäste ist es kurz vor dem Kirchweih-Ansturm ruhig. Gemütlich kann ich einschenken. Mit mir und der Welt zufrieden, betrachte ich jedesmal mein Werk „Also doch nur Angabe. Eigentlich ein geruhsamer Job hinter der Theke!“ Die erste Rüge weckt mich schnell aus allen Träumen: „Allmächtiger Gott, was machst Du mit meinem schönen Bier.“ Wer denkt in seinem Eifer auch schon dran, daß ein Glas auch einen Eichstrich hat!“ Noch einige Tropfen mehr und das Bier wäre übergelaufen. Wohlgemerkt, das Bier, nicht der Schaum.

26. August 1967: Gaststätten ziehen Bilanz aus Kirchweihfesten

© Ulrich

Na ja, solange der Wirt schimpft, geht`s ja. Denkste. „Dieses Bier trinke ich nicht. Mein Glas wird nicht ausgewaschen“, sagt entschieden ein Stammgast. Dabei hatte ich extra das Seidel ins Licht gehalten und geprüft, ob es sauber war. Und schon kommt der dritte „Tiefschlag“. Ein anderer Stammgast legt Wert darauf, daß sein Glas nicht abgeschenkt wird. Besänftigend fügt er hinzu: „Laß Dir ruhig Zeit. Auf die Sekunde kommt`s mir nicht an“.

Mit dem festen Vorsatz, mir keine Blöße mehr zu geben, nehme ich am ersten Kirchweihtag meinen Arbeitsplatz hinter der Theke ein. Verflogen sind die schlechten Gedanken in der vergangenen Nacht, als sich der Mond hinter Wolken versteckte und damit meinen „Chef“ verstörte. Der Außenstehende mag ruhig darüber lachen, ich als „Jungwirt“ weiß schon, was ihn bewegte.

Ein völlig neues „Wirtshausgefühl“

Lange bevor der erste Tusch erklingt, füllt sich der Garten, strebt der Ausschank erstmals Rekorden entgegen. Inzwischen habe ich mich an mein völlig neues „Wirtshausgefühl“ gewöhnt. So leicht lasse ich mich nicht mehr aus der Ruhe bringen, auch nicht von der oft vorgebrachten Aufforderung: „Wirt, wann kommt denn jetzt endlich die erste Kirchweihmaß (Freibiermaß) herein“.

26. August 1967: Gaststätten ziehen Bilanz aus Kirchweihfesten

© Ulrich

Justament, als der Kellner 17 Biermarken auf den Schanktisch hinzählt, fängt der Zapfhahn zu blubbern an. Das Faß ist leer. Im Sprinttempo geht`s mit einem Karren zum Bierkeller, um Nachschub heranzuholen. Schweiß perlt auf meiner Stirn. Nur zu genau erinnere ich mich meines früheren Malheurs, als sich beim fachgerechten Anstechen gut 20 Liter Gerstensaft selbständig gemacht hatten. Doch diesmal klappt es. Aber das Abschenken. Im Nu sind zehn und mehr Gläser mit Schaum voll. Geradezu höhnisch blicken mir höchstens zwei Zentimeter Bier auf dem Grund des Glases entgegen. So empfinde ich es jedenfalls.

Eine Lehre im Rekordtempo

Von der Tochter des Hauses, 16 Jahre jung, erhalte ich Unterstützung. Schonungslos deckt sie all das auf, was mir zu einem guten Wirt fehlt. Es wird eine Lehre im Rekordtempo. Ingrimmig lasse ich alles über mich ergehen.“Der Daumen gehört doch nicht ins Glas …- für einen weißen Schnaps nimmt man doch ein anderes Glas … beim Weizenbier muß vorher das Glas kalt ausgespült werden … zu einer Schorle gehört ein Schuß Rotwein … laß Dich ruhig bemogeln, ein Getränk gibt man doch nur gegen eine Marke ab!“

Plötzlich herrscht helle Aufregung im Garten. Ein Gast hat sich mit den Scherben eines Bierglases den Arm aufgerissen. Die Wunde blutet stark. Endlich kann ich einmal meine ganze Überlegenheit zeigen. Schließlich ist man ja Journalist und weiß, was in solchen Fällen zu tun ist. Wenig später sind die Sanitäter da. Zum Glück ist alles nicht so schlimm, wie es ausgesehen hat.

Manchmal muß man grob werden

Nach 22 Uhr zieht sich die Musikkapelle vom Garten in die Gasträume zurück. Man braucht Argusaugen, um alles zu überwachen. Ab und zu, wenn die Bedienungen nicht mehr nachkommen, bedienen wir, die Tochter des Hauses und ich selber. Geschäft ist Geschäft. Wenn`s Not tut, muß man auch einmal grob werden. Einige Gäste verwechseln den Platz hinter der Theke mit einem Laufgang. Ein besonders Schlauer angelt sich von der Theke eine Maß: „Die ist für die Musik!“ Erbost bezahlt er, als ich ihm zu verstehen gebe, daß die Kapelle ausschließlich vom Wirt mit Freibier versorgt wird.

Im großen und ganzen aber bleiben die Gäste friedlich, trotz des genossenen Alkohols. Als das Lied „Guten Abend, gute Nacht ...“ ertönt, leert sich die Gaststätte. Nur ein paar Unentwegte haben ihren immensen Durst noch immer nicht gestillt. An der Theke kippen sie schnell noch einige Schnäpse. Ihre Einladung, mitzutrinken, muß ich jedoch ablehnen, so sehr ich ab und zu einen Klaren zu schätzen weiß. Aber ein Wirt muß klaren Kopf behalten. Das ist besonders wichtig, wenn es gilt, die letzten hartnäckigen „Hocker“ hinauszukomplimentieren. Doch einmal muß Schluß sein, und der Polizei gibt man am besten keinen Grund zu Beanstandungen.

Hundemüde sinke ich nachts um halbdrei Uhr ins Bett. Im Schlaf zähle ich Biermarken, schenke Bier ein. Kurzum, ich erlebe die zurückliegenden 15 Stunden noch einmal. Doch schon früh um 8 Uhr reißt mich der Wecker aus dem Schlaf. Obwohl ich am ganzen Körper wie zerschlagen bin, stelle ich erstaunt fest, daß ich der Arbeit förmlich entgegenfiebere. Vergessen sind die vielen Sticheleien vom Vortag, vergessen ist auch die „Demütigung“ durch ein junges Mädchen. Schon ganz in meine Rolle als Wirt aufgehend, freue ich mich, daß die Sonne erneut vom Himmel lacht.

Die „guten Sitten“ einiger Gäste

So vergeht Stunde um Stunde, bis zum Abend. Da fegt ein Gewittersturm den Garten leer. Die Gasträume verwandeln sich im Nu in einen brodelnden Hexenkessel. Die Bedienungen können sich kaum mehr einen Weg durch die beängstigende Enge bahnen. Trotzdem werden zusätzlich Tische und Stühle herangeschafft. Auch der Ärger bleibt nicht aus. Ein Gast verwechselt mich mit einer Zielscheibe und wirft mir unentwegt Kronenkorken ins Kreuz. Eine scharfe Zurechtweisung bringt ihn zur Räson.

Endlich erklingt Mittwochnacht der große Zapfenstreich. Die Kirchweih, die die Nerven und die körperliche Substanz über Gebühr beansprucht hat, gehört der Vergangenheit an. Die Bilanz der zurückliegenden, bewegten Tage ist befriedigend. Nörgler wird es immer geben. Gerade deshalb aber freuen mich die lobenden Worte eines Stammgastes: „Donnerwetter, das hätte ich Dir Zeitungsmenschen gar nicht zugetraut. Allen Respekt, daß Du durchgehalten hast“. Befriedigt nehme ich Abschied von der Theke. Eines aber weiß ich jetzt bestimmt: die Redensart „Wer nichts wird, wird Wirt“, ist ganz und gar falsch.

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