3. Dezember 1966: Christkind eröffnete Wunderreich

3.12.2016, 07:00 Uhr
3. Dezember 1966: Christkind eröffnete Wunderreich

© Kammler

Staunen packte gestern schon Tausende, die zum festlichen Auftakt gekommen waren, als auf der Empore der Frauenkirche – in helles Licht getaucht – ein Engel im weißglänzenden Gewand erschien und verkündete: „Das Christkind lädt zu seinem Markte ein, und wer da kommt, der soll willkommen sein!“

Es war noch nicht einmal 16 Uhr – der Freitags-Berufsverkehr dröhnte und machte sich Luft, da gab es in den schmalen Gassen der anheimelnden Budenstadt schon kaum einen „Schiebeplatz“ mehr. Der Hauptmarkt, das Herz Nürnbergs, hätte doppelt so groß sein sollen, um all jenen ein Viertel Quadratmeter Pflaster zu schaffen, die Zeugen des packenden Ereignisses werden wollten.

Je näher die Zeiger aller Uhren auf die halbe Stunde vor sechs rückten, desto mehr wuchs die Spannung. Und obwohl sich der zweite Dezembertag zunächst als verhältnismäßig mild auswies, so kroch bei dem langen Warten doch die Kälte in Schuhe und Mäntel. Ein kleiner Kerl mit Pudelmütze, aufgeregt um seine Mutter herumflitzend, rief laut aus: „Wenn das Christkind immer so lange rumtut, dann … Mama, wann kommt‘s denn?“ Die Umstehenden lachten und beschwichtigten das Kind wie Samariter.

3. Dezember 1966: Christkind eröffnete Wunderreich

© Kammler

Auf einer eigens für sie gezimmerten Tribüne prüften die Photographen zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften, Kameraleute der Wochenschau und des Fernsehens – heuer war erstmals ein Team aus Frankreich dabei – zum letzten Male ihre „Geschosse“. Ihre Aufnahmen vom schönsten Weihnachtsmarkt der Welt sind auch für die Betrachter in aller Welt bestimmt. Doch dann war es tatsächlich soweit: Fanfaren erklangen, alle Lichter – auch im Rathaus, in dem es keine einzigen freien Fensterplatz mehr gab – erloschen, und Posaunenklänge verhießen „Es ist ein Ros entsprungen“.

Die Blicke fielen auf den beleuchteten Dirigentenstab von Ludwig Gebhard, der in der Finsternis wie ein Glühwürmchen auf- und niederschwebte. „Das ist meine Heimat!“ sagte eine gebürtige Nürnbergerin, die eigens aus Amerika herübergekommen war, um nach vielen Jahren wieder die Eröffnung des Christkindlesmarkt mitzuerleben.

Das gleißende Licht der Scheinwerfer hatte inzwischen das prächtige gotische Gotteshaus eingefangen, auf dessen Empore, flankiert von zwei Rauschgoldengeln, das Christkind stand. („Papa, wenn‘s nur net abstürzt!“, rief ein Bub seinem Vater zu, auf dessen Schultern er den höchsten Thron aller Zuschauer hatte.) Der Kinderchor der Städtischen Singschule stimmte „Stille Nacht, Heilige Nacht“ an, und zum sternenlosen Himmel stiegen indes dicke Rauchschwaden von den Bratwurstständen.

Endlich jedoch kündete das Christkind den Zauber an, der nunmehr alle gefangen nehmen soll, die in der Vorweihnachtszeit reinen Herzens, guter Dinge und froher Hoffnung sind. Weit hallten die Worte dieses Prologs nach einem alten Meistergesang, dem Friedrich Bröger Jahr für Jahr eine neue „Mitte“ gibt. Die Schauspielerin Irene Brunner hatte aufmerksame Zuhörer, als sie an den bekannten Satz: „Mein Markt bleibt immer jung, solang es Nürnberg gibt und die Erinnerung“ anschloß: „Denn alt und jung zugleich ist Nürnbergs Angesicht, das viele Züge trägt. Ihr zählt sie alle nicht! Da ist der edle Platz. Doch ihm sind zugestellt Hochhäuser dieses Tags, Fabriken dieser Welt, die neue Stadt im Grün. Und doch bleibts allezeit – Ihr Herrn und Frauen: das Nürnberg, das Ihr seid.

„Am Saum des Jahres naht nun bald der Tag, an dem man selbst sich wünschen und anderen schenken mag. Doch leuchtet der Markt im Licht weit und breit, Schmuck, Kugeln und selige Weihnachtszeit. Denn vergeßt nicht, Ihr Herrn und Frau‘n bedenkt, wer alles schon hat, der braucht nichts geschenkt. Die Kinder der Welt und die armen Leut‘, die wissen am besten, was Schenken bedeut‘t.

Sekundenlang war es ganz still auf dem Markt, geradeso, als ob die Mahnung des Engels, die übermäßige Schenkerei der letzten Jahre endlich auf das rechte Maß zu beschränken, erst das „innere Echo“ finden muß. Dann aber jubelten die Chöre „O du fröhliche, o du selige“, und Große und Kleine im weiten Rund sangen mit. Vier Italiener und zwei andere Südländer, die sich bis zum Rand der Absperrung „vorgearbeitet“ hatten, schauten mit großen, dunklen Augen auf die Kirche. Sie summten die Melodie des Weihnachtsliedes mit.

Kurz darauf wich das gleißende Licht, und in den 175 Ständen und Holzbuden, die dieses große Nürnberger „Knusperhaus“ ausmachen, wurden die Lämpchen angeknipst. Aus der Ruhe wuchs Bewegung: die einen drängten zum Ausgang, die anderen schoben sich zu den ohnehin mit Menschen vollgepfropften Gäßchen hin, die Zwetschgenmännle, ganze „Mauern“ von Lebkuchen, Schalen mit gebrannten Mandeln und eine schier unübersehbare Galerie von Spielzeug zieren. In der Mitte des Marktes, vor der altfränkischen Krippe, verweilten viele Besucher.

Die Inhaber der Buden hatten sich auf diesen ersten Ansturm wohl gerüstet. Was seit mehr als 300 Jahren und damals beispielsweise schon von Ratsherr Georg Christoph Behaims Frau besorgt worden ist, wird ja auch heute noch verlangt – nämlich „Nürnberger Tand“.

Der Schnee, der sonst dem Christkindlesmarkt das „Extra“ verleiht, fehlte diesmal zum Beginn. Aber Wetterpfarrer Braun hat prophezeit, daß die weißen Kristalle noch folgen werden. Und so bleibt die Hoffnung bestehen, daß Einheimische und Fremde – sie haben sich heuer in besonders großer Zahl angesagt – das schöne Nürnberg Fest, das auch mit Rauschgoldengeln und Christbaumschmuck nicht kargt, in seiner „vollendeten Pracht“ noch genießen werden.

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