30. August 1967: Junge Gäste rasten auf der alten Burg

30.8.2017, 07:00 Uhr
30. August 1967: Junge Gäste rasten auf der alten Burg

© NN

Aus Japan, der Tschechoslowakei und aus Australien kommen die jugendlichen „Welteroberer“, die meisten jedoch aus England, Frankreich und den USA in „Deutschlands Schatzkästlein“ und sammeln ihre Eindrücke. 6.000 Übernachtungen zählt die Mammutherberge mit ihren 400 Betten im Monat.

Diese Wanderer zwischen mehreren Welten sind Individualisten – frei nach dem bekannten Wort: „Das Glück gehört denen, die sich selber genügen.“ Die Romantiker von einst, die beschauliche Abende mit der Klampfe und dem Gespräch mit dem Herbergsvater suchen, sind allerdings rar geworden.

30. August 1967: Junge Gäste rasten auf der alten Burg

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Der moderne Herbergsbetrieb läuft heutzutage eher routinemäßig ab; er bringt auch für ihre Lenker und Leiter neue Probleme: es erbitten nicht nur mehr Deutsche Einlaß – trotz einiger Ausnahmen darf behauptet werden, daß sie immer noch als ordnungsliebend bekannt sind –, sondern auch viele junge Leute aus anderen Ländern mit einer anderen Lebensart. „Lässig und quasi nebenbei honorieren sie die Empfangsstation – und so sieht‘s dann auch in den Zimmern aus“, sagt Herbergsvater Wilhelm Tietz, der seit fast sieben Jahren auf der Burg seine Erfahrungen gesammelt hat.

30. August 1967: Junge Gäste rasten auf der alten Burg

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Dieses Haus ist – merkt‘s Euch gut – kein Erziehungsinstitut. Jeder tu, fällt‘s ihm auch schwer, als ob er schon erzogen wär!“, so steht‘s am Eingang zur Herberge geschrieben – eine wohlgemeinte Mahnung, die jedoch, wenn auch in Deutsch geschrieben – ohnehin nur jener annimmt, der von Haus aus weiß, wie man sich besonders bei einem fremden Gastgeber benimmt. Die beiden Putzfrauen in dem geräumigen Zwischenstations-Palast wissen ein anderes Lied davon zu singen. „Fielen sie einen Tage aus, wir wüßten nicht mehr wohin mit den Übrigbleibseln und sonstigen Hinterlassenschaften . . .“, so sagt Vater Tietz.

Aber er hat, trotz seines Grollens, noch längst nicht resigniert: der geübte Pädagoge weiß, daß es in seinem Beruf kein Einmaleins gibt und daß es sich unter den 17- bis 20jährigen mit ihrem gültigen Unterschlupf-Paß auch viele disziplinierte Gäste befinden, die Nürnberg nicht nur als „Pennstation“ aufsuchen, sondern die kommen, um die Stadt kennenzulernen. In mehreren Sprachen, die er kennengelernt hat, gibt er über alles, was gefragt wird, getreulich Auskunft.

Neu für ihn und die Herberge ist, daß jetzt auch Familien als Wandergruppen eintreffen und um Unterkunft bitten. Er gibt ihnen besonders gern Quartier, „denn hier spürt man ganz deutlich den Unternehmungsgeist – und hier wird auch bei mehreren Übernachtungen auf Ordnung gehalten!“ Prospekte und Stadtpläne von Nürnberg stehen ihnen wie allen anderen Besuchern zur Verfügung, auf daß das Nürnberg-Erlebnis für sie leichter wird.

Wie man‘s aber als Einzelgänger macht, um auf Autostoßstangen per Anhalter (nicht nur gen Nürnberg) weiterzukommen, verrät der 19jährige Lehrling in einem Steuerbüro Ludwig P. aus Nastätten im Taunus, den wir beim Rucksacksatteln auf der Burg trafen (und der noch ganz begeistert vom Besuch der Lochgefängnisse berichtete): „Ich habe immer ein pieksauberes Hemd an, wenn ich an Autobahnzubringern winke. Dann geht‘s gut und irgend jemand nimmt mich mit! Man darf keine Beat-Haare haben! Aber trotzdem klappt‘s noch leichter, wenn man ein Mädchen dabei hat. Das nächste Mal nehme ich ein‘s mit!“

In der Jugendherberge auf der Burg geht es noch bis Ende September „rund“. Die angestammten Großstädter wissen kaum, wer einmal später ihre Gäste sein werden, die dann mehr zahlen als 1,20 DM für eine Nacht.

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