30. Dezember 1967: Vor der Bande war kein Laden sicher

30.12.2017, 07:00 Uhr
30. Dezember 1967: Vor der Bande war kein Laden sicher

© Ulrich, Kripo

Den größten Seriendiebstahl in der Nachkriegszeit hat die Nürnberger Kriminalpolizei aufgeklärt. Die Beamten nahmen eine vierköpfige Bande fest, die aus Kaufhäusern im gesamten Bundesgebiet Waren für 250.000 DM entwendet hat. Angeführt von dem 29-jährigen Bernhard Sch. aus Nürnberg, waren das Ehepaar Lieselotte und Siegfried F. sowie der 25-jährige Kraftfahrer Erwin L. (alle aus Fürth) zwanzig Monate lang von einer Stadt zur anderen gereist, wo sie mit raffinierten Tricks Modellkleider, Anzüge, wertvolle Pelze, Kostüme und Mäntel verschwinden ließen. Bei jedem Raubzug klauten die gerissenen Diebe so viele Gegenstände zusammen, daß sie die Beute in zwei großen Wohnwagen oder in schweren Luxus-Limousinen verstauen mußten. Das Diebesgut wurde an Hehler abgesetzt. Bisher konnten von der Polizei Waren für 50.000 DM sichergestellt werden. Beschlagnahmt wurde auch der umfangreiche Fahrzeugpark der Bande, der den stattlichen Wert von über 60.000 DM repräsentiert.

Ein anonymer Anruf hatte die Polizei auf die Spur der kapitalen Diebe gebracht. "Kontrollieren Sie doch einmal den blauen Wagen, der an der Ecke Allersberger/Schweiggerstraße parkt. Das Auto ist proppenvoll mit unverzollten amerikanischen Zigaretten", meldete der Unbekannte nachts dem 2. Revier. Eine Streife machte sich sofort auf dem Weg, entdeckte an dieser Stelle das Fahrzeug und wartete so lange, bis der Fahrer auftauchte. Nach einer Stunde griffen die Beamten zu: im Handumdrehen waren der 25-jährige Textilhändler Siegfried F. Und seine blonde Ehefrau festgenommen. In ihrem Fahrzeug befanden sich zwar keine ausländischen Glimmstengel, aber dafür ein halbes Warenlager. An den Kleidern und Anzügen steckten noch die Preisschilder.

250.000 DM Schaden

Zunächst wollten sich die beiden darauf herausreden, daß sie Gegenstände nur für einen namentlich nicht bekannten Händler aufbewahren, der die "Sachen in den nächsten Tagen abholen wird". Eine Hausdurchsuchung förderte aber weiteres Belastungsmaterial zutage, so daß sich die Eheleute schließlich zu Teilgeständnissen bequemten. Obwohl die Kriminalmeister Franz Überl und Günter Kollmey schon seit Wochen ermitteln, ist der aufsehenerregende Fall noch immer nicht abgeschlossen, weil sich zahlreiche Spuren in dunklen Hehlerkreisen verlieren.

30. Dezember 1967: Vor der Bande war kein Laden sicher

© Ulrich, Kripo

Das Ausmaß des Schadens steht aber inzwischen fest: Er wird auf mindestens 250.000 DM geschätzt. Die Bande hat ihr Unwesen in erster Linie in Nürnberg und dem fränkischen Raum, außerdem in Frankfurt, Stuttgart, München und im Ruhrgebiet getrieben. Bis zu 15 Diebstähle an einem Tag waren keine Seltenheit. "Der Erfolg ist frappierend gewesen", meint ein Kriminalbeamter. Obwohl die Eheleute Lieselotte und Siegfried F. getrennt gewohnt und gelebt haben, sind sie gemeinsam auf Raub ausgegangen. Die Frau trat am meisten in Aktion. Die Kleidungsstücke, die entwendet werden sollten, rollte sie zusammen, klemmte sie unter ihren Rock und verließ im Trippelschritt die Kaufhäuser. Die 25-Jährige scheut sogar nicht davor zurück, ein Geschäft zweimal hintereinander zu besuchen. Für diesen Fall war sie präpariert: Sie stülpte eine brünette Perücke über ihre langen, blonden Haare.

Während die Frau ihre langen Finger ausstreckte, verwickelten ihre Partner die Verkäufer in vielerlei Fragen oder probierten Anzüge und Mäntel an. Nicht immer begnügten sich die Komplizen mit dieser Rolle: sie stahlen ebenfalls wie die Raben. Ihr Trick: unter maßgeschneiderten Pelerinen nach Art von Schäfermänteln trugen sie das Diebesgut sicher und unauffällig zu ihren Wagen.

Für den halben Ladenpreis

Der Fuhrpark konnte sich sehen lassen: Er bestand aus drei schweren deutschen Autos in der Preisklasse zwischen 13.000 DM und 25.000 DM, einem amerikanischen Sechs-Liter-Wagen sowie zwei großen, zweiachsigen Wohnwagen. Die teure Beute hat die Bande fast ausschließlich in Dirnen- und Zuhälterkreisen in Frankfurt, Nürnberg und anderen süddeutschen Großstädten abgesetzt. Ein Teil der Waren wanderte auch an amerikanische Soldaten und deren Freundinnen im Raum Nürnberg-Ansbach. Die Diebe verlangten und erhielten für die Kleider die Hälfte des Ladenpreises. Teuerstes Stück in der Diebeskollektion war ein Nerzmantel für 15.000 DM. "Leider haben wir ihn noch nicht auftreiben können", ärgert sich Kriminalmeister Franz Überl.

Für alle Beteiligten waren die Seriendiebstähle so lukrativ, daß sie ein sehr aufwendiges und flottes Leben führen konnten. Lieselotte F. bezog ein luxuriöses Appartement in Nürnberg, während ihr Mann in Fürth in der Oststraße wohnte. In einem Monat legten sich beide einen 12.000 DM teuren Wagen zu, und drei Wochen später kauften sie sich einen Wohnwagen. Kostenpunkt: 18.000 DM.

Obwohl alle vier Bandenmitglieder nach ihrer Festnahme in die Untersuchungshaft wanderten, befinden sich inzwischen die blonde Lieselotte und der 25-jährige Kraftfahrer Erwin L. auf freiem Fuß, weil sie ein umfassendes Geständnis abgelegt haben. Weiter hinter Schloß und Riegel bleiben die beiden Haupttäter: Der Textilhändler Siegfried F. und sein Komplize Bernhard Sch. kurz vor ihrer Verhaftung hatten sie sich nach Amerika absetzen wollen. In ihren Brieftaschen steckte die Quittung für die Schiffspassage.

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