5. Januar 1968: "Nur Bier reißt die Barrieren ein"

5.1.2018, 07:00 Uhr
Der italienische Pfarrer Don Giuseppe besucht zusammen mit dem Sozialbetreuer Mario Ruzzu (li neben dem Pfarrer) einige Landsleute, die bereits ihre Familien hierhergebracht haben. Mit Bierflaschen und Kartenspiel wirken sie schon sehr akklimatisiert.

© Gertrud Gerardi Der italienische Pfarrer Don Giuseppe besucht zusammen mit dem Sozialbetreuer Mario Ruzzu (li neben dem Pfarrer) einige Landsleute, die bereits ihre Familien hierhergebracht haben. Mit Bierflaschen und Kartenspiel wirken sie schon sehr akklimatisiert.

Monicelli hatte, ehe er nach Nürnberg kam, bereits München einen Besuch abgestattet und darüber ausführlich berichtet. Sein Artikel über Nürnberg erschien unter der Überschrift "Bier und Fräulein reißen die Barrieren ein." Wir geben ihn mit wenigen Kürzungen wieder:

Weil ich an einer Straßenbiegung den Winker nicht betätigte, wurde ich auf der Fahrt durch Nürnberg von ein paar heimischen Beatles verfolgt, die Jacken aus Lammfell trugen. Sie machten mir in sehr zorniger Art klar, daß ich gegen die deutsche Straßen-Verkehrsordnung verstoßen hatte. Hier haben alle den Habitus eines Pädagogen. Es ist die Intoleranz gegen die Unordnung, die sie so eifrig werden läßt. Und was ist schon ein Ausländer, ein Fremder? Doch nur einer, der "außerhalb der Ordnung" steht. Italophobie, die Voreingenommenheit gegen Italien, ist nichts anderes als ein Reflex dieser Unduldsamkeit.

Die Geschichte vom Schrank

Von dieser düsteren und provinziellen, teutonischen Stadt aus gesehen erscheint München als farbenfrohe, tolerante, europäische Metropole. Im Vergleich dazu hat sogar das übelnehmerische, bergige Innsbruck ein offenes, dem Weltgeschehen mehr zugewandtes Gesicht. Nürnberg ist größer als Innsbruck und vielleicht reicher als München. Hier herrschen die Grundig und Siemens. Aber man sieht nur wenige Porsches und die sog. "jeunesse doré" existiert nicht.

Mir sagte eine Italienerin, die seit einem Jahr in Nürnberg wohnt: "Mein Mann und ich kommen jetzt mit vielen Leuten zusammen, werden oft eingeladen und haben selbst oft Gäste. Aber es hat acht bis neun Monate harter Arbeit bedurft, um diese Verbindungen herzustellen. Auch heute noch, nach einem Jahr, ist es uns noch nicht gelungen, Eingang in die gute Gesellschaft Nürnbergs zu finden. Es sind keine Snobs, aber sie sind sehr zugeknöpft. Die Fremdem werden mit mißtrauischen Augen angesehen, und die Italiener gelten als unerträglich laute und arme Leute. So können den Italienern recht unsympathische Dinge passieren, so wie es mir selbst ergangen ist.

Ich brauchte eines Tages für meine Wohnung einen Schrank und ging deshalb in ein großes Möbelgeschäft. Ich trug einen sehr einfachen Mantel und ein seidenes Kopftuch. Ich sagte, ich möchte mir einige Schränke ansehen. Der Verkäufer zeigte mir welche im Preis von 30 bis 40 Mark. Ich bat, mir etwas besseres zu zeigen und er fuhr, schamlosen Gesichts, fort, mir billige Ware zu offerieren. Ich bestand ein zweites Mal darauf, etwas Besseres sehen zu wollen und da fragte mich der junge Mann schließlich, mich von unten bis oben messend: 'Aber sind Sie nicht Italienerin?' Ich habe ihm klarmachen müssen, daß ich zwar Italienerin, aber gleichwohl zahlungskräftig sei. Daraufhin entschuldigte er sich tausendmal und sagte, er habe mich für eine Gastarbeiterin gehalten."

"Im Vergleich ein Paradies..."

Es gibt 18.000 italienische Gastarbeiter in Franken. Sie werden nicht besser und nicht schlechter behandelt als anderswo. Einige von ihnen sind unruhige Typen, die auf der Straße unangenehm auffallen. Andere haben sich nunmehr eingebürgert, sie sind Italo-Deutsche geworden. Es handelt sich um Leute, die schon seit zwanzig Jahren hier leben, die eine deutsche Frau und deutsche Kinder haben, die sich kaum noch des Italienischen erinnern, und die Kleingeld statt spiccioli sagen. Die Erstgenannten beklagen sich über die üblichen, antiitalienischen Ressentiments: über die allgemeine Animosität, über die Weigerung, als Mieter aufgenommen zu werden, über die Provokationen und Beleidigungen in den Wirtshäusern. (Einer von ihnen, der aus Zürich gekommen ist, sagte jedoch: "Im Vergleich zur Schweiz ist Nürnberg ein Paradies!") Bei den Zweitgenannten überwiegen die Venezianer, die als Eisverkäufer kamen und jetzt zwei Mercedes besitzen.

Mit einem dieser Italo-Deutschen gehe ich in eine Wirtschaft, um mich ein wenig zu unterhalten. Er sagt: "Bei der arbeitenden Bevölkerung gibt es keine besondere Animosität gegen die Italiener. Über Politik sprechen sie nie, nicht einmal über Südtirol. Zuweilen nennen sie uns Itaker, so wie wir sie ,Crucchi‘ und die Franzosen sie boches nennen. Als ich nach Nürnberg kam, wo ich zuerst als Küchenjunge und Tellerwäscher arbeitete, nannten mich meine Arbeitskollegen ,canelloni‘ (Röhrchen) oder ,rigatoni‘ (Nudel), eine Abkürzung für Spaghetti, aber in recht gutmütiger Art. Später schaffte ich als Maler, ja, als Anstreicher, und nun hießen sie mich einen Katzlmacher, aber wieder in keineswegs gehässigen Ton. Zu jener Zeit schmeckte mir das Bier nicht, schon weil es was kostete. Dann habe ich gelernt, nicht mehr aufs Geld versessen zu sein und bin öfters ins Wirtshaus gegangen. Sofort ist alles besser geworden, wenn ich ab und zu auch auf einen Alten, keine Jungen, traf, der zwei Kriege mitgemacht hatte und behauptete, die Italiener seien stets Verräter. Ich fragte einmal einen dieser Alten: Sag mir doch, was wir verraten haben? Da wußte er nicht mehr, was er antworten sollte und bezahlte mir ein Bier. Schau, ich fahre oft mit meinem Wagen, der durch ein ,D‘ gekennzeichnet ist, in den Ferien nach Italien. Was man mir dort nachschreit, hat man mir in Deutschland noch nie nachgerufen. Es genügt, hier das Bier trinken zu lernen und man wird unangreifbar."

Einbürgerung durch Bier

Die Einbürgerung durchs Bier und das Fräulein: Diese zweite Einbürgerungsart ist für den Gastarbeiter leichter und schneller. Beim Kleinbürgertum scheint die Animosität immer derber und unauslöschlich zu werden. Beim Maurermeister, beim deutschen Geometer, besteht ein Anti-Italianismus, der auch ein Konkurrenz- und sozial-nationales Prestigefaktum ist. Beim Chef dagegen gibt es keine Diskriminierung. Der Unternehmer fragt nicht nach Südtirol, ihm genügt, daß der Itaker (italienische Gastarbeiter) tüchtig arbeitet. Der Italien-Hasser ist nie Geschäftsmann, nur selten Arbeiter. Ihn findet man fast immer bei den Kleinbürgern oder Mittelständlern, die sich einbilden, intellektuell zu sein und in der Schule mit rassischen Irrlehren vollgestopft wurden…

Lediglich auf kleinbürgerlichen Niveau wird Südtirol als nationales Problem angesehen, während die Animosität gegen die Welschen, die auf hinterlistiger Weise ein seit 2000 Jahren deutsches Land zu italienisieren versuchen, chronisch wird. Dieser verächtliche Terminus "Welsch" ist in Bayern ebenso gebräuchlich wie in Tirol oder der deutschen Schweiz. In München, in Innsbruck oder in Bozen sind die Trentiner Welsche, in Zürich sind es die Genfer. Tirol, Nord- wie Südtirol, muß früher oder später in den Schoß des großen deutschen Volkes zurückkehren, das heute durch zwei Mauern geteilt wird: Durch die Mauer von Berlin und durch die nicht minder absurde österreichisch-bayerische Grenze. Das sind die Dinge, die nicht nur Adolf von Thadden und seine Neonazisten immer wieder wiederholen, sondern auch sehr viele, die auch hier in Franken, ihre Stimme nicht für sie abgaben…

Die Menschen hier sind zugeknöpft, mißtrauisch und vorwiegend fremdenfeindlich, aber auch von einer leicht aus der Fassung zu bringenden Naivität. Nützt es ihnen, so ändern sie radikal die Meinung. Zehn Jahre lang haben sie wohlgefällig ungeheuerlichen, wildideologischen Lehren Glauben geschenkt. Jetzt, wenn sie aus dem Urlaub in Italien zurückkehren, hört man sie, blaß vor Entrüstung, sagen, „es sei schrecklich, auf der Brenner-Straße alle fünf Kilometer einen Soldaten zu sehen...

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