5. Juli 1968: Kein Einmaleins mehr

5.7.2018, 07:00 Uhr
5. Juli 1968: Kein Einmaleins mehr

© Ulrich

Statt des herkömmlichen Rechnens mit sturen Zahlenreihen will Dienes, ein weltbekannter Pädagoge, der seit zwölf Jahren an seiner Methode feilt, den Schulanfängern das Denken lehren, ohne daß sie es als Arbeit empfinden.

Der Abc-Schütze von morgen wird eher wissen, was Quaclrate, Kreise, Dreiecke oder Rechtecke sind, die er in bunten Klötzchen vor sich sieht, als er 2 + 2 zusammenzählen kann. Bei der Beschäftigung mit diesen Plastikbausteinen aber sollen die Kinder dazukommen, so ganz nebenher abzuziehen oder zusammenzuzählen. Auf diese Weise wird es möglich, schon in der Grundschule und nicht erst im Gymnasium mathematisches Denken zu entwickeln.

Die bisherigen Erfahrungen mit der Methode Dienes' zeigen, daß die Kinder im traditionell technischen Rechnen ein bißchen besser sind als ihre Altersgenossen, die auf dem alten Weg unterrichtet werden, weit überlegen aber bei den Textaufgaben, weil sie Probleme besser durchdenken können.

Der Mathematiker und Psychologe aus der kanadischen Universitätsstadt Sherbrooke glaubt, daß fünf Sechstel der kostbaren Zeit im bisherigen Rechenunterrieht nutzlos vergeudet werden, weil die Schüler nur lernen, zu Standardaufgaben Standardlösungen zu liefern; sie erwecken zwar den Anschein, als verstünden sie einen mathematischen Sachverhalt, doch fehlt ihnen oft das wirkliche Verständnis für die rechnerischen Zusammenhänge. Die Kinder, so meint Professor Dienes, entwickeln bestenfalls einiges Geschick in der Technik, Aufgaben bestimmter Art zu lösen. Sie versagen spätestens, wenn der Lehrstoff vom Gedächtnis nicht mehr ohne weiteres verkraftet wird.

Dienes setzt dieser Form des Lernens die These entgegen, daß schon das Kleinkind eigene mathematische Erfahrungen sammelt, wenn es Begriffe der Größe, Form und Anordnung erfaßt. Diese hoffnungsvolle Entwicklung verebbe jedoch allmählich. Daher müsse der Schiller dazu gebracht werden, mathematische Begriffe im Umgang mit greifbaren Gegenständen selber zu bilden.

In drei Phasen wird das Kind an Dienes' Aufgabenprinzip herangeführt: zunächst spielt es, ohne die Zusammenhänge zu kennen, dann versucht es, ebenfalls spielend, seine Erfahrungen zu ordnen und zu einem Ganzen zusammenzufügen (das Denken bekommt eine bestimmte Richtung), später folgt das Erkennen des Sinnzusammenhangs, dem sich Übungen anschließen.

Die Kinder schienen seine Erfahrungen in Kanada, Australien, Neuguinea, auf den Philippinen, in Japan, England, Frankreich, der Schweiz, Italien und Ungarn zu bestätigen, daß Mathematik keine Frage der Begabung ist. Die Erwachsenen hingegen sind offensichtlich so sehr der Tradition verhaftet, daß sie beim Spiel in der Welt der Mathematik stets auf Ergebnisse mit harten Zahlen warten.

Trotzdem will die Stadt Nürnberg - zunächst an der Reichelsdorfer Schule - die Methode Dienes' einführen und sich damit einmal öfter als pädagogisch fortschrittlich zeigen.

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