6. August 1967: Studenten an Nürnbergs Krankenbetten

6.8.2017, 07:00 Uhr
6. August 1967: Studenten an Nürnbergs Krankenbetten

© Gertrud Gerardi

Mit kleinen Schritten soll daher zunächst das Ziel einer engeren Zusammenarbeit zwischen der medizinischen Fakultät und den Krankenanstalten erreicht werden. "Für den Anfang genügt es, wenn wir einige der habilitierten Nürnberger Ärzte, die an anderen Universitäten die Lehrberechtigung erworben haben und dort auch lehren, an die Medizinische Fakultät in Erlangen umhabilitieren", meint Dekan Professor Ober. Sie können dann als Mitglieder der Fakultät Vorlesungen und scheinpflichtige Übungen an den Krankenanstalten abhalten, bleiben aber wie bisher Angestellte oder Beamte der Stadt Nürnberg.

Dieses Vorgehen stößt bei den Nürnberger Chefärzten auf volle Zustimmung. "Sie wollen einen Anfang machen und stehen einmütig dazu", erklärt der Oberbürgermeister. Und Professor Ober ist überzeugt, daß Nürnberg alle Voraussetzungen für eine gute Ausbildung der Studenten bietet. "Ich bin sehr optimistisch, daß sich eine enge und intensive Zusammenarbeit entwickeln wird!"

Die Stadt Nürnberg hat in den zurückliegenden zwei Jahrhunderten alles getan, um ihre Krankenanstalten mit den modernsten Einrichtungen auch für die Universitätslehre "salonfähig" zu machen. Sie hat es sich 62 Millionen Mark kosten lassen, um 2000 neue Betten zu schaffen. Die Krankenanstalten stellen mit insgesamt 2600 Betten den größten geschlossenen Klinikkomplex in der Bundesrepublik dar.

Für die Medizinische Fakultät liegt der entscheidende Vorteil bei der Ärzteausbildung im Falle der "Einbeziehung der Nürnberger Krankenanstalten in den Lehrbetrieb der Universität" (wie diese Frage amtlich bezeichnet wird) darin, daß die Studenten der klinischen Semester wesentlich mehr Patienten zu sehen bekommen können, als bisher in Erlangen allein. Im vergangenen Jahr sind in den verschiedenen städtischen Kliniken 38.000 Patienten behandelt worden. Die Studenten werden in Nürnberg zwangsläufig eine größere Zahl von "Fällen" aus eigener Anschauung kennenlernen.

Die angehenden Ärzte kommen aber in den Nürnberger Kliniken nicht nur häufiger und enger mit den Patienten, sondern auch näher mit den Professoren in Kontakt. Je mehr Lehrer es gibt, desto kleiner können die Gruppen der Studenten gehalten werden. Auf diese Weise läßt sich das Studium gründlicher gestalten, möglicherweise sogar verkürzen. "Wir müßten erreichen, daß ein Student an zehn Krankenbetten von einem Assistenten belehrt wird, wie dies in Amerika geschieht", sagt Professor Ober. Wenn auch ein solches Ausbildungsverhältnis in Deutschland gegenwärtig noch utopisch erscheine, so solle es wenigstens angestrebt werden. Der Dekan der medizinischen Fakultät beklagt in diesem Zusammenhang, daß ein Arzt 31 Jahre alt wird, bis er seinen Beruf voll ausüben kann. "Das ist ein Verschleiß von Intelligenz!"

Eine "Ausbildung auf breiterer Basis", die der Universität wie der Stadt vorschwebt, muß in ihren Anfängen für beide Seiten zu keinen großen Kosten führen. Es ist weder daran gedacht, in den Krankenanstalten neue Bauten zu errichten, noch vorerst geplant, zusätzliche Kräfte einzustellen. Ein kleiner Hörsaal ist in der Nürnberger Frauenklinik bereits vorhanden. "Der Boden knarzt ein wenig, aber das können wir abstellen, ohne gleich den Freistaat Bayern eine Rechnung schicken zu müssen", versichert der Oberbürgermeister.

Trotz der Absicht, die Studenten häufiger und näher an das Krankenbett zu bringen, brauchen die Patienten der Nürnberger Kliniken für die Zukunft keine Nachteile zu befürchten. Sie sollen weder als Demonstrationsobjekte "ausgenutzt" noch weniger umsorgt werden als bisher. Professor Dr. Ober meint im Gegenteil: "Ich habe den Eindruck, daß der Patient dabei durchaus etwas gewinnt!"

Die Stadt Nürnberg verspricht sich verständlicherweise von einer engeren Anlehnung an die Universität eine "Aufwertung" ihrer Krankenanstalten. Sie hat schließlich auf die Zusammenarbeit seit Jahren konsequent hingearbeitet, beispielsweise auf die wichtigsten Chefarztposten Persönlichkeiten mit Lehrbefähigung berufen. Zwei Vorteile scheinen der Stadt besonders wertvoll: einmal brauchen künftig die umhabilitierten Ärzte nicht mehr auf zeitraubenden Wegen zu ihren Studenten an andere Universitäten zu reisen, zum anderen wird es auch weiterhin gelingen, qualifizierte Ärzte nach Nürnberg zu holen. Die Universität und die Stadt glauben, keine ernsthaften Schwierigkeiten befürchten zu müssen, wenn sie nun den "Segen" des bayerischen Kultusministeriums für ihr Zusammenspiel einholen. Bei einem Gespräch mit Staatssekretär Erwin Lauerbach gewann Oberbürgermeister Dr. Urschlechter den Eindruck, daß das Kultusministerium der Absicht positiv gegenübersteht, Studenten an Nürnberger Krankenbetten auszubilden. Die Medizinische Fakultät und die Stadt sind überzeugt, daß die Form ihrer geplanten Zusammenarbeit in der gegenwärtigen Lage das Vernünftigste sei, was getan werden könne. Den Medizinstudenten werde geholfen, dem stark belasteten Staat aber entstehen keine wesentlichen Kosten.

Der Rektor der Universität Erlangen-Nürnberg, Professor Dr. Johannes Herrmann, begrüßt die neue Entwicklung. "Es ist besonders wertvoll, wenn die Universität – wie es hier geschieht – eigene Ideen und Initiativen entwickelt, die sie dem Kultusministerium präsentieren kann, ohne gleich eine Rechnung beilegen zu müssen", sagt er. Der Rektor hofft, daß sich aus der Zusammenarbeit zwischen Fakultät und Städtischen Krankenanstalten für verschiedene Bereiche des medizinischen Studienbetriebes eine spürbare Entlastung ergeben wird.

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