6. Januar 1968: In Hamster verliebt

6.1.2018, 07:00 Uhr
6. Januar 1968: In Hamster verliebt

© Horter

Die Teilnehmerinnen am Wettbewerb "Jugend forscht" wollten ursprünglich Tierversuche mit weißen Mäusen anstellen. Da aber in ganz Nürnberg kein solches Exemplar aufzutreiben war, entschlossen sie sich für syrische Goldhamster.

Im November 1966 verließen die beiden Freundinnen stolz eine zoologische Handlung. In einer Tasche trugen sie das Hamster-Weibchen "Puzzi" (Preis: 2,50 DM) davon. Allerdings durften sie sich nicht mit ihrer neuesten Errungenschaft Zuhause blicken lassen. Ingrid und Hildegard hatten jedoch vorgesorgt: Martha Benedikta, die Direktorin der Schule unterstützte von Anfang an das neue Hobby ihrer Schülerinnen. Später machten auch die Eltern der beiden Mädchen eine Konzession an die Forschungsarbeit ihrer Kinder: in den Ferien dürfen die Hamster in den eigenen vier Wänden versorgt werden.

Mit ihren Versuchen betreten die Schülerinnen ein Neuland, denn es gibt noch keine Veröffentlichung über syrische Goldhamster. Die Tiere wurden erst 1950 in die Bundesrepublik eingeführt. Sie sind etwas kleiner und nicht so widerstandsfähig wie ihre deutschen Artgenossen. Deshalb schien es Ingrid und Hildegard um so interessanter, einmal die Lebensweise der kleinen Nager zu erforschen. Dazu zählen Verhalten, Ernährung, Wachstum.

"Mit einem Tier können wir nicht viel anfangen", sagten sich die beiden Mädchen und borgten sich bei Bekannten ein Hamstermännchen aus. 16 Tage nach dem trauten Beisammensein mit "Puzzi" stellten sich die Folgen ein: sieben Junge bevölkerten den Käfig. Dazu Ingrid: "Es waren fünf Männchen und zwei Weibchen. Da die Männchen sich schrecklich gebissen haben, verkauften wir sie und behielten die beiden Weibchen, die wir "Schlampi" und "Lumpi" tauften."

Inzwischen nimmt die gesamte Schule lebhaften Anteil am Schicksal des Trios. Mit der Mutter und ihren beiden Töchtern starteten die Forscherinnen ihre Versuche. Zunächst fanden sie heraus, daß die vorgeschriebene Nahrung - Sonnenblumenkerne, gelbe Rüben, Salat, Erdnüsse und Vitaminpräparate - dem Wachstum der Hamster sogar hinderlich ist. Mit sichtbarem Erfolg wurde "Schlampi" mit Brot, Haferflocken, Milch, Fleisch und Wasser gefüttert: sie ist heute fast doppelt so groß wie ihre Schwester "Lumpi", die mit den Standard-Mahlzeiten nur sehr langsam zunimmt.

Während diese Erfahrungen am Rande gemacht wurden, haben die Mädchen weitere wichtige Erkenntnisse gewonnen. Um die Sinnesorgane ihrer niedlichen Freizeit-Beschäftigung testen zu können, haben Ingrid und Hildegard mit Legosteinen ein Labyrinth gebaut, die Hamster der Reihe nach hereingesetzt und den Irrgarten mit einer Glasplatte abgedeckt. In den Ecken stand Futter.

Auch die Kleinen buddeln

Die Tiere halten es mit süßer Kost - Bei jeder Gelegenheit nehmen sie Reißaus. Zunächst suchten die Tiere alle Gänge ab, um an die Sonnenblumenkerne zu gelangen. Beim zweitenmal ließen sie bereits einige überflüssige Ecken aus und erreichten auf zwei Umwegen das Ziel. Zum Schluß fanden sie den kürzesten Weg. Ihn behielten die Hamster auch bei, als die Futterstelle gewechselt wurde. Ergebnis der Testreihe: syrische Goldhamster haben einen schlecht ausgeprägten Geruchssinn. Allerdings können sie sich einen Weg sehr gut merken.

Über den Geschmack läßt es sich bekanntlich streiten. Nicht so bei syrischen Goldhamstern. Sie halten es mit süßer Nahrung und verschmähen eine Kost, die sauer, salzig oder gar bitter ist. Schwindlig wird es den Tieren nur, wenn man sie in eine Zentrifuge setzt und sie etwa 30 Mal drehen läßt. Ingrid Wittmann kann davon ein Lied singen. "Die Kerle torkeln wie ein Betrunkener", meint sie. Ansonsten können die Hamster ihr Gleichgewicht gut halten. Sicher und schnell laufen sie über einen dünne Stange.

Schloß im Käfig

Die beiden Schülerinnen haben auch angeborene Instinkte bei den Tieren entdeckt. Obwohl die Hamster eigentlich in der Wüste zu Hause sind, können sie recht gut schwimmen. Der "Puzzi"-Nachwuchs, der seine Heimat noch nie gesehen hat und noch nicht in die Verlegenheit gekommen ist, eine Höhle zu bauen, fängt tüchtig zu buddeln an, wenn er in ein Sandbecken gesetzt wird. Das gleiche gilt für den Freiheitsdrang. Die Hamster nehmen jede Gelegenheit wahr, um auszureißen. Ingrid und Hildegard mußten sogar ein Schloß vor die Öffnung des Käfigs hängen. Einmal genau beobachtet, wie sich das Drahtgehäuse öffnen läßt, zogen die Nager mit ihren Zähnen das Gitter hoch und krochen aus ihrem Lager.

Verfeinerte Versuche

Die Schülerinnen haben gründlich mit dem Vorurteil aufgeräumt, daß Hamster dumme und faule Gesellen sind. Die Forscherinnen haben herausgefunden, daß die Tiere äußerst flink sind und blitzschnell reagieren. In den nächsten Wochen wollen Ingrid und Hildegard den Hörsinn der Hamster untersuchen. Von einer Firma haben sie sich bereits eine sogenannte Gultonpfeife ausgeliehen. Das Gerät, das mit Preßluft bedient wird, erzeugt Töne, die Menschen nicht mehr wahrnehmen können.

Damit ist die Testreihe aber noch nicht abgeschlossen. Sie wollen die Versuche verfeinern und vor allem prüfen, ob die neue Nahrung keine Schäden im Organismus der Tiere verursacht. Hildegard Steib und Ingrid Wittmann sind überzeugt davon, daß ihre Arbeit auch für andere von Nutzen ist. "Wir werden die Ergebnisse eines Tages veröffentlichen", versprechen die Schülerinnen, die außer ihren Forschungsneigungen noch mehr Gemeinsamkeiten haben: beide zählen Biologie zu ihren Lieblingsfächern (Note 1), beide spielen Klavier und Geige und beide wollen einmal Volksschullehrerinnen werden.

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