8. Februar 1969: Hoffnung und Bangen

8.2.2019, 07:00 Uhr
8. Februar 1969: Hoffnung und Bangen

© Ulrich

Auch Nürnbergs Stadttheater blieb von dieser Entwicklung nicht verschont. Die Theaterkassen registrierten einen rund zehnprozentigen Rückgang gegenüber dem Vergleichsjahr 1967. Doch Generalintendant Karl Pschigode beschwichtigte: „Noch ist die Spielzeit nicht zu Ende.“

In bundesweiten Diskussionen wurde der Versuch unternommen, das nachlassende Interesse der Bürger an der „Welt der Bretter“ zu ergründen. Doch weder die zahllosen Diagnosen noch die Therapien, die rezeptiert wurden, konnten dem Theater aus der Krise, für die der Besucherschwund ein deutliches Symptom ist, helfen.

Mit den psychologischen Feinheiten des modernen Marketings wird das kulturelle „Normalbedürfnis“ des durchschnittlichen „Normalbürgers“ errechnet und der Spielplan auf dessen Wünsche abgestellt. Doch auf den „Brettern“ blieben allein die Marktforscher.

Die kulturellen Vorstellungen und Wünsche der Gesellschaft sind zu differenziert, als daß sie auf einen rechnerischen Wert reduziert werden könnten. Das Schielen nach der Publikumsgunst, nach vollen Kassen, brachte in die Spielpläne eine verwirrende Unruhe und entfremdete zunehmend das Theater von seiner ureigenen, kulturfördernden Aufgabe. Die Flucht des Theaters in die unterhaltende Belanglosigkeit, plakativ-vordergründig inszeniert, mag zwar den technischen Ansprüchen des Fernsehens genügen, läßt aber zwangsläufig den Reichtum spezifischer theatralischer Möglichkeiten verarmen.

Den schlechten Besuch des Opernhauses führt Kritiker Dr. Rudolf Stöckl auf die unzulängliche Werbung zurück: „Dem Nürnberger Publikum ist noch gar nicht zum Bewußtsein gebracht worden, daß schon seit einigen Jahren praktisch für jede Vorstellung Karten an der Abendkasse zu haben sind. Die Kartenknappheit des ersten Nachkriegsjahrzehnts hält heute noch manchen davon ab, auch nur den Versuch zu machen, eine Eintrittskarte zu erhalten. Wenn das Nürnberger Publikum erst einmal gemerkt hat, daß im Opernhaus wieder Plätze zu haben sind, wird es sehr bald auch wieder zu einer richtigen Einschätzung seiner Oper kommen, die den Vergleich mit Opernbühnen gleichgroßer und auch mancher größerer Städte nicht zu scheuen braucht.“

OBM: „Ohne moralischen Zeigefinger“

Geschäftsführer Bernhard Scheel vom Fränkischen Besucherring unterstrich die Bedeutung einer gezielten Werbung. Durch eigene Werbeanstrengungen sei es dem Besucherring gelungen, den Abonnentenschwund durch eine Erhöhung der Zahl der Gelegenheitsbesucher „abzufangen“. Die erste Hälfte der laufenden Spielzeit habe zwar die Erwartungen „übertroffen“, doch befürchtet der Besucherring in der zweiten Hälfte – im Gegensatz zu Pschigode – „erhebliche Einbußen“. Heftig kritisierte Scheel den unausgewogenen Spielplan, in dem die „Gewichte“ nicht richtig verteilt seien. „Der Besucherschwund ist allein auf den unüberlegten Spielplan zurückzuführen“, klagte der Geschäftsführer.

Generalintendant Karl Pschigode wehrte alle Angriffe ab. Der Besucherschwund in Nürnberg sei keine typisch nürnbergerische Erscheinung. „Das Fernsehen setzt Qualitätsmaßstäbe, die für das Theater bindend sind.“ Mit mehr Proben, besseren Schauspielern, verstärkter Teamarbeit wollen die Städtischen Bühnen den gesteigerten Leistungsansprüchen gerecht werden. Entschieden lehnte Pschigode eine „Abschwächung des künstlerischen Niveaus“ ab. Daß das Nürnberger Theater auf dem richtigen Weg sei, beweise die deutliche Zunahme im Tageskartenverkauf.

Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter, der die Theateraufsicht führt, bekannte sich zum „Volkstheater“. Das Schauspiel habe zwar primär eine Unterhaltungsfunktion, doch dürfte auch das moderne Tendenzstück mit dem Appell zum Engagement nicht fehlen. Der Oberbürgermeister bejahte das Theater als eine „moralische Anstalt“, jedoch „ohne moralischen Zeigefinger“. „Der Bürger geht hinein, um einen netten Abend zu verbringen.“

Dagegen gehörten die Kammerspiele – „hautnah am Bürger“ – der modernsten Zeit, „auch wenn nur fünf Zuschauer drin sind“. Das Musiktheater habe die Aufgabe, auch den zeitgenössischen Komponisten eine Chance zu geben. Dr. Urschlechter warnte davor, das kulturelle Niveau zu senken. „Theater für alle müsse elitäre Züge enthalten. Denn gerade der Arbeiter möchte von allen Bereichen etwas vorgesetzt bekommen.“ Der OB fuhr fort: „Das Theater wird seinen Weg gehen müssen im Einpendeln zu den anderen Massenmedien.“ Für die Zukunft des Theaters sieht der Oberbürgermeister einen „silbernen“ Hoffnungsstreifen. In der Bürgerschaft werde der Trend zur Begegnung, zur Geselligkeit deutlich sichtbar. „In zwei bis drei Jahren ist die Fernsehgeschichte überwunden.“

Allerdings werde das Theaterspielen in der Zukunft nicht billiger, mutmaßte der Oberbürgermeister. Doch „das Theater ist ein Stück Abendland, das muß man sich was kosten lassen“.

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