9. Mai 1968: Ein heißes Pflaster für Verbrecher

9.5.2018, 07:00 Uhr
9. Mai 1968: Ein heißes Pflaster für Verbrecher

© Gertrud Gerardi

Das neue Zentralgebäude an der Karl-Grillenberger-Straße, wurde gestern vom Stadtrat grundsätzlich genehmigt, um die Kräfte im Brennpunkt der Kriminalität, des Straßenverkehrs und der Sicherheitsaufgaben schlagkräftig einsetzen zu können. Zu den Plänen von Präsident Herold zählen verstärkte Fußstreifen mit Handsprechgeräten im Stadtkern und verstärkte Fahrstreifen in den Vororten.

Die neuen Wege des Präsidenten, die mit festen Reviergrenzen, gleichmäßigem Streifeneinsatz in allen Vierteln, Bürozeiten im Behördenrhythmus und schematischen Dienstzeiten gebrochen haben, führten im letzten Jahr schon zu schönen Erfolgen: in Nürnberg ist die Kriminalität als einziger unter den vergleichbaren Großstädten um 7,5 Prozent zurückgegangen; die Schutzpolizei konnte mit 925 Festnahmen auf frischer Tat einen Rekord für die Bundesrepublik aufstellen. Vom besonderen Augenmerk der Beamten auf dunkles Gelichter profitierten die braven Bürger doppelt, denn die Zahl der gebührenpflichtigen Verwarnungen schrumpfte von 200.967 im Jahr 1966 auf 185.806 zusammen.

"Nicht nebeneinander bearbeiten"

Der Herold mit dem Forscherdrang in Sachen Kriminalität, der mit wissenschaftlicher Akribie den Tätern und ihren Gewohnheiten - beispielsweise: wann brechen sie wo ein - nachgespürt hat und seine 1400 Dienstkräfte ebenso beweglich machen will wie die Kriminellen, beabsichtigt nicht, sich mit den Lorbeerkränzen zu begnügen, die ihm von allen Stadtrats-Parteien gewunden wurden.

Er hat längst erkannt, daß sich das System der Großraumreviere, das 1957 mustergültig war und mancherorts nachgeahmt worden ist, überlebt hat. „Die derzeitige Unterbringung an sechs verschiedenen Orten mit elf verschiedenen Führungsstellen macht eine zentrale Einsatzleitung unmöglich, zersplittert die vorhandenen Kräfte für dezentrale Führungs- und Wachbesetzungsaufgaben, läßt sie nebeneinander herarbeiten und verhindert das ständige Vorhandensein von Kräftereserven mit der Folge, daß Sonderaufgaben nur durch Aufruf dienstfreier Schichten mit ständig wachsender Überstundenzahl zu bewältigen sind“, erklärte der Präsident vor dem Plenum.

Die Stadträte folgten widerspruchslos seinem Gedankengang, die Polizeibeamten dort zu konzentrieren, wo sie auch ihre meiste Arbeit vorfinden, nicht aber erst vom Erlenstegener Revier bis zum Marientor fahren zu lassen, um dort endlich einzugreifen. Als einziges Großraumrevier soll die Dienststelle an der Saarbrückener Straße erhalten bleiben, die im wachsenden Stadtteil Langwasser und im künftigen Hafengebiet Maiach genügend Aufgaben vorfindet.

Neben solchen geistigen Ausflügen in die Zukunft tat Dr. Horst Herold auch einen erfreulichen Blick zurück. Für das Absinken der Kriminalität um 7,5 v. H., gleichbedeutend mit dem Stand der Jahre 1960 bis 1964, nahm der Präsident einen Rückgang der Aufklärungsquote von 72,8 auf 68,5 v. H. in Kauf, zumal Nürnberg damit immer noch an der Spitze aller Großstädte liegt. Er glaubt sich darin einig mit dem Bürger, der Verbrechen lieber verhindert als langwierig und kostspielig aufgeklärt sehen will.

„So ist der Bauhütteneinbruch mit Entwendung einer Bauklammer juristisch zwar ein schwerer Diebstahl, kriminologisch fehlt ihm aber die vorrangige Gefährlichkeit. Dort jedoch, wo die Gefährlichkeit besteht, wurde die Aufklärungsquote nicht nur durchwegs gehalten, sondern noch gesteigert“, versicherte der Polizeichef. Der Präsident bedauerte, daß seine Männer kaum Einfluß auf die wachsende Wirtschaftskriminalität haben, die allein bei Pleiten mit 9 Millionen DM zu Buche steht, aber die Polizei stets vor vollendete Tatsachen stellt.

Auffällig zugenommen haben Diebstähle aus Automaten, die von den Herstellern oft durch billige Warneinrichtungen verhindert werden könnten, Mit 2224 Fällen von Diebstählen in Kaufhäusern und Selbstbedienungsläden (Täter überwiegend Frauen) hält Nürnberg einen traurigen Rekord im Bundesgebiet, den Dr. Herold freilich mit der hohen Aufklärungsziffer begründet. Die Schutzpolizei, die mit zwei spektakulären Einsätzen mit 600 Beamten von Stadt-, Land-, Bereitschaftspolizei und Bundeswehr bei der Suche nach vermißten Kindern und einem 74-jährigen Rentner hervortrat, setzte ihren Ehrgeiz ebenfalls darein, Verbrechen und Verkehrsunfälle tunlichst zu verhindern.

Auf vermehrte Blutproben führt es der Präsident zurück, daß bei sogenannten Alkoholunfällen die Zahl der Toten von 15 auf neun, die Zahl der Schwerverletzten von 66 auf 48 zurückgegangen ist. Insgesamt wurden – wie bereits ausführlich berichtet – 11,5 v. H. Verkehrsunfälle weniger verzeichnet, die Zahl der Toten sank von 77 auf 60, die Sachschäden verringerten sich von zehn auf sechs Millionen DM. Das Europapokal-Endspiel, 16 Bundesligabegegnungen, zehn sportliche Großveranstaltungen, 17 Versammlungen und Umzüge hielten die Schutzpolizei in etwa 110.000 Dienststunden auf Trab.

"Mit mildesten Mitteln zum Erfolg"

Der Pfleger der Polizei, Stadtrat Hans Keller (SPD), Ludwig Imhof (CSU) und FDP-Fraktionsvorsitzender Dr. Friedrich Bergold lobten den „vortrefflichen“ Bericht des Präsidenten und dankten seinen 1400 Kräften für ihre Arbeit. Keller und Imhof fanden bei Dr. Herold ein offenes Ohr, als sie sich für eine zweckmäßige Verwendung von älteren Polizeibeamten im neuen Apparat aussprachen.

Der Pfleger machte den Verkehrsteilnehmern angesichts der geringen Zahl von gebührenpflichtigen Verwarnungen, der Schutzpolizei wegen der Festnahmen auf frischer Tat („Sie fährt eben nicht nur spazieren, wie manche meinen!“) ein Kompliment. Ludwig Imhof bat darum, dem Dirnentreiben an der Regensburger Straße Einhalt zu gebieten.

Dr. Bergold erblickte in dem Erfolg der Stadtpolizei ein wirksames Argument gegen die Bestrebungen, eine staatliche Polizei zu schaffen. Er wünschte, daß die Beweglichkeit der Kräfte auch über die Stadtgrenzen ausgedehnt werden solle, zumal 38,5 v. H. der Täter nicht aus Nürnberg stammen. Sorgen äußerten die Sprecher aller drei Fraktionen darüber, daß die Polizeibeamten in ihrer Geduld und Nachsieht bei Demonstrationen überfordert sein könnten, wenn sie mit Ausdrücken wie „Nazischweine“ oder „Gestapo-Gangster“(so Hans Keller) angepöbelt werden.

Dem einhelligen Lob für die bisherige Besonnenheit ließen alle Rathaus-Parteien starken Beifall folgen, als Präsident Dr. Herold versicherte: „Wir wollen in Nürnberg einerseits die mildesten Mittel anwenden, um zum Erfolg zu kommen, andererseits bei unseren Beamten das Gefühl der Stärke, erzeugt durch Mannschaftswagen und Wasserwerfer, auf ein Normalmaß zurückführen!“

Verwandte Themen


Keine Kommentare