Familie Kleinlein nimmt Abschied vom Markt

31.3.2010, 00:00 Uhr
Familie Kleinlein nimmt Abschied vom Markt

© Mark Johnston

Die abgearbeiteten Hände streichen über die Wachstischdecke. Kunigunde Kleinlein sitzt in ihrer Küche auf dem Hof in Boxdorf. Sie sitzt da, wie viele Fürther sie kennen. In Kittelschürze und Strickweste, das graue Haar zum Dutt hochgesteckt. »Na ja«, sagt die 76-Jährige und seufzt, »des is mir scho was Args, dass edz nimmer weidergehd.« 50 Jahre ihres Lebens hat Kunigunde Kleinlein mit ihrem Mann Konrad (82) Kartoffeln und Sellerie, Mohrrüben und »Radiesla«, Kopfsalat, Kohl und ihre selbst gekochte Rote Bete auf der Fürther Freiheit feilgeboten.

Seit 1897 auf dem Markt

Der Handel mit den Früchten aus der eigenen Erde, das war schon sehr das Leben der Kleinleins. 1897 fing es an. Kunigunde Kleinleins Großmutter - auch sie hieß Kunigunde - und ihr Mann Michael machten sich damals mit Körben voller Feldfrüchte auf den Weg nach Fürth. Margarete und Johann Melchior Kleinlein taten es ihnen später nach, dann setzten Kunigunde und Konrad Kleinlein die Tradition fort und, in vierter Generation, Hans und später Odilia und Jürgen Kleinlein. Mussten die Vorfahren ihre Fracht zu Fuß zum Verkauf schleppen, so halfen später Pferdegespanne beim Transport, dann der Traktor, zuletzt ein Fiat-Kastenwagen.

Jürgen und seine von Madeira stammende Frau Odilia Kleinlein (41 und 40) sind erst vor knapp acht Jahren in das Geschäft eingestiegen. Ungeplant. Er hatte im »Schindlerhof« Koch gelernt und tourte durch die Gastronomie Europas, sie hatte gerade Sohn Jonas zur Welt gebracht. Dann starb Jürgen Kleinleins Bruder Hans durch einen Unfall. Das änderte alles. Jürgen Kleinlein entschied sich, das Geschäft zu übernehmen.

Lange Arbeitstage

Ein harter Job. Die Arbeitstage begannen um sechs Uhr früh und endeten abends nach neun Uhr. Zunächst war Kunigunde Kleinlein noch mit von der Partie. »Meng’S noch a Zwiebala?«, fragte sie ihre Kunden mit ihrem unverwechselbar fränkischen Charme und steckte ein, zwei Zwiebeln rasch mit in die Tüte. Und hatten die Kunden Kinder dabei, bekamen die flugs eine frisch geschabte Mohrrübe. Vor zwei Jahren aber machte Kunigunde Kleinleins Gesundheit nicht mehr mit. Sohn und Schwiegertochter hielten seitdem ohne sie die Stellung auf der Freiheit. Immer wieder zerbrach sich das Paar den Kopf darüber, wie der gerade mal sechs Meter lange Stand die Familie auf lange Sicht ernähren sollte. Sie spürten die Folgen der Krise und zuletzt der Quelle-Pleite, und sie hofften auf einen Kundenmagneten wie die geplante, dann aber gescheiterte »Neue Mitte«.

Klar war aber auch: Mit Kohl und Kopfsalat war die Kundschaft nicht zu halten. »Wer dann noch Bananen will, geht halt gleich zur Konkurrenz«, sagt Odilia Kleinlein. Also gingen sie und ihr Mann dazu über, Südfrüchte am Großmarkt zuzukaufen. Bis zuletzt, sagt er, habe der Betrieb Gewinn abgeworfen. Nur: »Es war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.«

Kein Abschied

Am Abend des 22. Dezember wuchteten die Kleinleins zum letzten Mal Kisten mit Obst und Gemüse in ihren Transporter. Es war ein bitterkalter Wintertag und für die Eheleute zunächst nicht mehr als ihr letzter Arbeitstag vor Weihnachten. Es gab keinen Abschied von Kollegen oder Kunden.

Dann folgte der lange Winter, in dem Zeit war für die Steuererklärung und für Grübeleien. Odilia Kleinleins Geburtstag kam, sie wurde 40. Vor kurzem fiel die Entscheidung. Odilia und Jürgen Kleinlein beschlossen, einen beruflichen Neuanfang zu wagen.

Noch gibt es keine konkreten Aussichten. Sie hätte gern einen Job im Hotel oder Café, er besinnt sich zurück auf seinen Beruf als Koch. Das Bewusstsein, auf dem eigenen Hof zu leben, auf ein paar Pachteinnahmen vertrauen zu können, hat die Entscheidung erleichtert. Kunden, von denen manche mit Kunigunde Kleinlein alt geworden sind, haben die Abschiedsanzeige gelesen und spontan angerufen. In solchen Gesprächen fließen bei den Kleinleins schon mal Tränen.