FDP-Netzpolitiker Schulz: "Das Internet gehört niemandem"

23.1.2013, 16:41 Uhr
FDP-Netzpolitiker Schulz:

© Eike Schamburek

Herr Schulz, Sie sind Mitglied der “Enquete-Kommission für Internet und digitale Gesellschaft”. Was genau ist diese Kommission, und was tut sie?

Schulz: Die Kommission entstand in der Phase des netzpolitischen Erwachens in Deutschland, als Franziska Heine die Petition gegen die Internet-Sperren einreichte - mit 134.000 Unterzeichnern die erfolgreichste Petition der Bundesrepublik Deutschland. Damals haben wir gesehen, dass wir das Thema Netzpolitik wirklich ernst nehmen müssen.

Jimmy Schulz ist Abgeordneter der FDP und gehört seit 2009 dem Deutschen Bundestag an. Unter anderem ist er ordentliches Mitglied des des Unterausschusses Neue Medien und der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft.

Jimmy Schulz ist Abgeordneter der FDP und gehört seit 2009 dem Deutschen Bundestag an. Unter anderem ist er ordentliches Mitglied des des Unterausschusses Neue Medien und der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. © Eike Schamburek

Da kamen dann die beiden FDP-Fraktionsvorsitzenden Kauder und Homburger auf die Idee, das Thema in einer parteiübergreifenden Enquete-Kommission zu behandeln, in der auch Sachverständige sitzen. Deren Aufgabe war und ist es, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen durch Digitalisierung und globale Vernetzung politisch aufzuarbeiten.

Damals ist die Zustimmung für die Piratenpartei förmlich explodiert. War auch das ein Weckruf für die etablierten Parteien, sich mehr mit dem Internet zu beschäftigen?

Schulz: Bereits vorher gab es in den Parteien durchaus Menschen, die sich damit beschäftigt haben. Allerdings entstand durch den Erfolg der Piraten natürlich ein gewisser Druck, der auch den Netzpolitikern in den anderen Parteien half, sich Gehör zu verschaffen.

Wurde da nicht einiges von Politik und Medien verschlafen?

Schulz: Das stimmt. Die ACTA-Debatte ist dafür ein gutes Beispiel: Diese Diskussion hat im Wesentlichen in drei Wochen stattgefunden. Dabei lag das Thema seit Jahren auf dem Tisch. Die Entscheidung, ACTA zu kippen und neu zu diskutieren, war aber auf jeden Fall richtig.

Der Informatiker Jörg Rohde ist Vizepräsident des Bayerischen Landtags und Bezirksvorsitzender der FDP Mittelfranken.

Der Informatiker Jörg Rohde ist Vizepräsident des Bayerischen Landtags und Bezirksvorsitzender der FDP Mittelfranken. © Eike Schamburek

Rohde: Diese Themen waren bis 2008 tatsächlich nicht präsent. Auch überparteilich nicht.

Was hat die Kommission mittlerweile erreicht?

Schulz: Das Thema Internet ist im politischen Raum angekommen, außerdem wurden viele Internet-Begriffe auch politisch definiert. Das war ganz wesentliche Grundlagenarbeit, die auf Dauer sehr wirkungsvoll ist. Außerdem fordern wir beispielsweise für jeden Schüler in Deutschland ein Internet-Zugangsgerät oder auch den Einsatz von Bürgerbeteiligungs-Plattformen wie Adhocracy (www.demokratie.de) auf nationalstaatlicher Ebene.

Herr Schulz, Sie waren als einziger Bundestagsabgeordneter auf der Weltkonferenz zur Telekommunikation ITU in Dubai. War das Interesse der anderen so gering?

Schulz: Einerseits vielleicht, andererseits war es aber bisher auch einfach nicht üblich. Allerdings scheint das Desinteresse an solchen Themen in Deutschland besonders ausgeprägt zu sein.

Dabei wurde in Dubai doch letztlich die Frage diskutiert, wem das Internet gehört.

Schulz: Richtig. Deswegen bin ich sehr froh, dass viele Staaten - unter anderem die USA und Deutschland - das Abkommen nicht unterzeichnet haben. Man musste hier einfach eine ganz klare Grenze ziehen. Das Internet gehört niemandem.

Zum Thema “gehören”: Im Zwischenbericht der Kommission steht zum Thema Urheberrecht: “Durch soziale Netzwerke oder virale Weiterverbreitung können sie (alle Beteiligten der Kreativwirtschaft, Red.) eine bisher ungekannte Aufmerksamkeit für ihre kreativen Werke hervorrufen.” Derzeit werden Facebook-Nutzer für das Teilen von Links mit Vorschaubildern abgemahnt. Wie soll Viralität entstehen, wenn hinter jeder Ecke ein Abmahn-Anwalt lauert?

Schulz: Dem Geschäftsmodell “Abmahn-Anwalt” muss das Wasser abgegraben werden. Das ist Missbrauch eines wichtigen Rechtsmittels durch schwarze Schafe, die sich Anwalt nennen, es aber beileibe nicht mehr sind. Letztlich geht es hier um Bilder von der Größe einer Briefmarke. Wer das verbieten will, der hat nicht verstanden, wie das Internet funktioniert.

Dennoch handeln diese Anwälte auf der Basis existierender Gesetze. Da hat man doch als User das Gefühl, dass selbst der Gesetzgeber nicht weiß, wie das Internet funktioniert.

Schulz: Das Urheberrecht stammt aus einer analogen Zeit, als es um Information auf einem physikalischen Träger ging. In Zukunft geht es eher um den Wert einer Information selbst. Das Urheberrecht ist deswegen in vielerlei Hinsicht nicht mehr mit einer digitalisierten und vernetzten Welt kompatibel - da muss man einen internationalen Denkprozess anstoßen. Wichtig ist einfach, dass ein fairer Ausgleich stattfindet zwischen denen, die etwas schaffen, und denen, die es konsumieren.

Das Problem ist aber doch, dass Informationen den Menschen offenbar nichts mehr wert sind.

Schulz: Das stimmt, deswegen hoffen auch viele Verlage auf den Tablet-Markt. Das sind geschlossene Systeme, in denen MicroPayment, also das einfache Bezahlen von Klein- und Kleinstbeträgen, funktioniert. Da bekommen alle Beteiligten ihr Geld.

FDP-Netzpolitiker Schulz:

© Eike Schamburek

 Rohde: Manchmal ist der Wert einer Information aber auch einfach schwer zu erkennen. Wenn beispielsweise ein Forscher eine chemische Formel entwickelt und ein anderer kommt dadurch auf eine großartige Idee - was ist dann mit dem, der die Formel entwickelt hat? Der bekommt nichts ab. Deswegen glaube ich nicht, dass beispielsweise die Idee der Piraten, einfach alles ins Netz zu stellen, funktionieren würde. Da stellt niemand mehr etwas ein.

Schulz: Da bin ich mir nicht sicher. Albrecht Dürer hat einen Brief zum Thema Kopieren geschrieben. Darin steht sinngemäß: “All das, was Künstler schaffen, basiert auf dem, was vor ihnen war.” Darauf basiert auch das Prinzip der freien Software - da entsteht durch Abschreiben und Verbessern unheimlich viel Neues.

MicroPayment ist auch als Online-Bezahlsystem für Verlage immer wieder im Gespräch. Bei großen Themen kann es sich durchaus lohnen, kleinere und regionale allerdings bringen teilweise kaum Klicks und würden über kurz oder lang einfach wegfallen.

Schulz: Ich weiß, ich wohne selbst auf dem Land. Seit eine große Münchener Zeitung ihren entsprechenden Lokalteil eingestellt hat, sitzt niemand mehr von der Presse im Gemeinderat und schreibt darüber. Da findet dann die Gemeinderatssitzung quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Rohde: Oder die beteiligten Parteien schreiben einfach selbst...

Schulz: ...was die Sache nicht besser macht. Leider gibt es da keine einfache Lösung, wobei das Leistungsschutzrecht meiner Ansicht nach mehr Kollateralschaden anrichtet, als es nutzt.

Mindestens ebenso heftig diskutiert wie das Leistungsschutzrecht wird die Frage der Anonymität im Internet.

Schulz: Die halte ich für einen sehr wichtigen Bestandteil der Privatsphäre und der Meinungsfreiheit. Blogger aus arabischen Ländern zum Beispiel, die über den Arabischen Frühling schreiben, können das nicht unter ihrem echten Namen tun - selbst wenn sie in Deutschland wohnen. Das wäre lebensgefährlich. Deswegen finde ich Anonymität unheimlich wichtig, obwohl sie natürlich auch Nachteile mit sich bringt, da man sich dadurch gut verstecken kann, wie man am Beispiel von kreuz.net sehen konnte.

Was das Internet aber braucht, ist ein gemeinsames Wertesystem. In den Anfangszeiten gab es die Netiquette, durch die sich der Umgang der damals wenigen Menschen im Netz geregelt hat. Das ist verloren gegangen, weil sich das Netz einfach zu schnell entwickelt hat. Ich denke aber, dass das durchaus noch kommt: In 20 Jahren werden kaum noch junge Mädchen Bilder hochladen, wie sie leicht bekleidet und angetrunken auf einem Tisch tanzen. Das muss sich aber aus der Gesellschaft heraus entwickeln, das kann die Politik nicht künstlich erzeugen.

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