Grausames Schicksal eines jüdischen Fußball-Stars

9.3.2013, 08:00 Uhr
Grausames Schicksal eines jüdischen Fußball-Stars

© Fengler

Siebenmal trat Hirsch vor 100 Jahren im Trikot der deutschen Nationalmannschaft an. Mit seinem Heimatverein Karlsruher FV wurde er 1910 Deutscher Meister, er wiederholte den Erfolg 1914 mit der Spielvereinigung Fürth. Alte Fotografien zeigen den 1,68 Meter kleinen Spielführer mit einem Siegerkranz im Haar inmitten seiner Elf. Höhepunkt waren für den flinken Linksaußen die Olympischen Spiele 1912 in Stockholm: „In den neuen Anzügen fühlen wir uns wie die Herrgötter“, merkte der talentierte Dribbler an.

Die Fußballer jener Zeit mussten ihren Lebensunterhalt mit einem „Brotberuf“ verdienen. Hirsch arbeitete daher bei der Spielwarenfabrik Bing als Kaufmann und wohnte auch in Nürnberg. Zum Training fuhr er mit dem Zug in die Nachbarstadt.

Der Erste Weltkrieg brachte eine Zäsur: Julius Hirsch meldete sich, wie seine Brüder, als Kriegsfreiwilliger. Im Nationalsozialismus konnte sich der einstige Frontkämpfer daher nicht vorstellen, dass ihm in Deutschland Gefahr und Vernichtung drohte. Er fühlte sich als Deutscher sicher.

Doch den einstigen Nationalspieler erreichte die brutale Entrechtung durch die braune Diktatur Schritt für Schritt: Große Schilder machten den Rückkehrer in Karlsruhe darauf aufmerksam, dass der Zutritt zum Stadion für „Juden verboten“ ist. Aus den Sportvereinen wurden die jüdischen Mitglieder ausgeschlossen.

Im Vergleich zu den späteren Terror-Maßnahmen eine Kleinigkeit — doch sie traf ihn: „Fußball war seine Leidenschaft“, berichtet Journalist Werner Skrentny, der die Biografie von Julius Hirsch nach Gesprächen mit dessen beiden Kindern sowie Recherchen in Archiven und Sportzeitschriften rekonstruiert hat.

Ein grausames Schicksal: Zum Schutz der halb-jüdischen Kinder ließ er sich von seiner evangelischen Frau scheiden. Die Flucht nach Paris machte er aus Sorge um seine Familie wieder rückgängig. Nach einem Selbstmordversuch kam er in eine psychiatrische Klinik. Im Jahr 1943 wurde er ins Konzentrationslager Auschwitz verschleppt und umgebracht. Die beiden Kinder kamen ins KZ Theresienstadt und überlebten.

Die Nachkommen Hirschs erhielten erst 1960 eine „Wiedergutmachung“: 3450 Mark wurden der Familie ausgezahlt. Die Akten im Generallandesarchiv Baden sprechen eine kalte, bürokratische Sprache: Nur volle Monate, die jüdische Opfer in den Vernichtungslagern verbracht hatten, wurden angerechnet.

Die Spuren von Julius Hirsch waren fast völlig verwischt. Erst nach Gesprächen mit der Versöhnungskirche im KZ Dachau und dem Zentralrat der Juden stellte sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seiner Verantwortung. Seit 2005 gibt es einen mit 20.000 Euro dotierten Julius-Hirsch-Preis, der an die jüdischen verfolgten Sportler erinnert und zugleich ein Zeichen gegen Diskriminierung und Rassismus ist.

„Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet“ von Werner Skrentny ist im Verlag Die Werkstatt erschienen und kostet 24,90 Euro.

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