Tazegül: „Ich bin jedes Mal froh, wieder in Nürnberg zu sein“

3.11.2012, 12:00 Uhr
Tazegül: „Ich bin jedes Mal froh, wieder in Nürnberg zu sein“

© dpa, News 5, privat

Herr Tazegül, wie viele Interviews mussten Sie denn schon geben seit ihrem Olympiasieg?

Tazegül: „Ich bin jedes Mal froh, wieder in Nürnberg zu sein“

Servet Tazegül: Ziemlich viele.

Auch in Deutschland?
Tazegül: Nein, das ist das erste richtige. Es haben sich ein paar Journalisten bei mir gemeldet, aber ich war ja in der Türkei.

Sind Sie in Vergessenheit geraten?
Tazegül: In der Türkei bestimmt nicht. Ich hatte einige Fernsehauftritte, bei manchen Sendern war ich sogar zwei Mal.

Das heißt: In der Türkei sind Sie ein richtiger Star?
Tazegül: Die Leute kennen mich jetzt, das schon. Vor allem die, die sich für Sport interessieren. Aber es interessiert sich nicht jeder für Sport. Zum Glück.

Konnten Sie noch normal durch Istanbul laufen?
Tazegül: Im Monat nach dem Olympiasieg war es schwer. Jeder dritte, vierte hat mich da angeschaut, meine Goldmedaille war ja die erste für die Türkei (von insgesamt zwei, d. Red.). Und wenn einer auf mich zugekommen ist, kamen mehrere. Aber jetzt ist nicht mehr so viel los. Langweilig wird es mir trotzdem nicht.

Und in Nürnberg?
Tazegül: Hier erkennt mich praktisch niemand.

Finden Sie das schade?
Tazegül: Nein, das ist okay. Ich mag es eh nicht so, im Mittelpunkt zu stehen. In Nürnberg werden die Menschen erst neugierig, wenn sie erfahren, wer ich bin. Mein Steuerberater hat zu mir gesagt: Ach ja, stimmt, du bist Nürnbergs unbekannter Olympiasieger.

Zumindest in der Türkei ist das nun anders.
Tazegül: Schon vor den Spielen in London waren die Erwartungen riesig. Weil sie eigentlich nur mir eine Goldmedaille zugetraut hatten. Ich bin ein Taekwondo-Star, das reicht mir, MVP des vergangenen Jahres. Generell ist Amateursport in der Türkei aber nicht sonderlich populär.

Weil man auch Sie zu selten kämpfen sieht?
Tazegül: Früher gab es nur alle zwei Jahre eine Welt- oder Europameisterschaft, ab 2013 soll es jährlich mindestens eine Großveranstaltung geben. Dann werden auch die Medien öfter berichten, das ist gut so.

Was ging Ihnen nach dem Finalkampf in London so alles durch den Kopf?
Tazegül: Es war mein vierter Kampf gegen Mohammad Bagheri. Den ersten hatte ich 2009 verloren, das Halbfinale der WM, bei der WM 2011 und in der Qualifikation für die Olympischen Spiele konnte ich ihn schlagen. Ich war mir sicher, dass ich gewinnen würde. Deswegen habe ich nicht zu viel riskiert.

Tazegül: „Ich bin jedes Mal froh, wieder in Nürnberg zu sein“

Also haben Sie beim 6:5 nur ihre Pflicht erfüllt?
Tazegül: Bei mir ist es nicht so, dass ich explodiere vor Freude. Die Erleichterung war groß, das schon.

Und gedanklich im siebten Himmel?
Tazegül: Es war natürlich ein unbeschreibliches Gefühl. Jeder hatte von mir die Goldmedaille erwartet, weil ich seit 2009 nicht mehr verloren habe.

Waren Sie nervös, wegen der ungewohnt vielen Zuschauer?
Tazegül: Ich bin im Wettkampf so konzentriert, dass es mir egal ist, ob 15 Leute da sind oder 15000.

Welchen olympischen Moment werden Sie außerdem nie vergessen?
Tazegül: Die Minuten vor meinem ersten Kampf: Die Halle war um 9 Uhr früh voll. 10.000, vielleicht 12.000 Zuschauer, im Finale ein paar Tage später 15.000. Und es wollten noch viel mehr live dabei sein, auch Freunde von mir. Der Schwarzmarkt blühte, ich musste für vier Karten 2000 Pfund bezahlen. Und auch deswegen unbedingt gewinnen, um die Unkosten wieder hereinzuholen.

Auch danach durchlebten Sie eine turbulente Zeit. Sogar der Regierungschef wollte Sie unbedingt kennenlernen.
Tazegül: Ja, ich durfte Recep Tayyip Erdogan besuchen. Ich habe mir gedacht: Wow, der Mann hat so viel zu tun. Meeting um Meeting. Und trotzdem interessiert er sich noch für Sport. Wir haben uns fast eine Stunde unterhalten.

Gab es auch Geschenke von Erdogan?
Tazegül: Ein i-Phone. Und vor dem Abflug nach London ein i-Pad.

Und vom türkischen Staat?
Tazegül: Ab 30 krieg ich in der Türkei Rente, umgerechnet 3000 Euro pro Monat.

Das heißt: Sie müssten demnächst eigentlich nicht mehr arbeiten.
Tazegül: Eigentlich nicht. Die Rente kann ja sogar noch steigen, wenn ich noch ein paar Titel oder Goldmedaillen hole. Und 2000 Goldstücke habe ich auch noch bekommen für meinen Olympiasieg. Etwa 560.000 Euro. Für jeden WM-Titel gibt es außerdem 750 Goldstücke, für jeden EM-Titel 375.

Hoppla, nicht schlecht.
Tazegül: Ich bin abgesichert, das ist wirklich angenehm. Das Geld soll einem dabei helfen, sich weiter auf seinen Sport konzentrieren zu können. Damit kann man schon etwas anfangen. Die Türkei ist zum Glück etwas großzügiger zu ihren Top-Athleten als Deutschland (15.000 Euro pro Goldmedaille, d. Red.). Ach ja, in Istanbul hat mir ein reicher Unternehmer noch eine tolle Wohnung geschenkt. Drei Zimmer, 113 Quadratmeter, im 18. Stock.

Was empfinden Sie, wenn Sie in der Türkei sind?
Tazegül: Richtig zuhause bin ich da nicht, aber ich fühle mich nicht unwohl. Die Türkei ist meine zweite Heimat, ich bin ja auch drei bis vier Monate pro Jahr drüben. Aber jedes Mal froh, wenn ich wieder in Nürnberg sein kann.

Warum haben Sie keinen deutschen Pass?
Tazegül: Wir haben es zwei Mal versucht. Zwei Anträge. Es hätte aber auch ein Elternteil von mir die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen müssen. Ihre Sprachkenntnisse reichten damals für entsprechende Tests aber nicht aus.

Also der türkische.
Tazegül: Ich bin gebürtiger Nürnberger, hatte aber zunächst kein Land, für das ich starten konnte. Der türkische Verband wollte früher keine Türken aus dem Ausland. Mein Trainer hat dann gesagt: Der Junge ist total talentiert, probiert es mit ihm. Die Meinung der Verbandsleute hat sich spätestens geändert, als ich 2004 Junioren-Weltmeister wurde.

Haben Sie in London nach ihrem Gold-Kampf daran gedacht, auch eine deutsche Fahne zu schwenken?
Tazegül: Nein. Obwohl ich auch meine deutschen Freunde anfeuere, mich auch für sie freuen kann. Die Nationaltät eines Menschen ist aber nicht so wichtig.

Jedenfalls sind sie nach Fußballstar Nuri Sahin (früher Borussia Dortmund, Real Madrid, jetzt FC Liverpool) der erfolgreichste in Deutschland geborene Türke.
Tazegül: Sportlich betrachtet bin ich erfolgreicher. Ich bin Olympiasieger, Welt- und Europameister. Sahin nicht.

Kennen Sie auch Ilkay Gündogan?
Tazegül: Hasim, ein guter Freund von mir, war sein Banknachbar in der Bertolt-Brecht-Schule. Er kriegt nach wie vor Eintrittskarten für Spiele der Dortmunder geschickt. Und Ilkay hat mir über Hasim zu meiner Goldmedaille gratuliert.

Gündogan hat es in Nürnberg sehr gut gefallen. Und Ihnen?
Tazegül: Nürnberg ist perfekt. Nicht zu groß, nicht zu klein, kompakt. Auch die ganze Metropolregion passt. Es ist immer etwas los, Nürnberg hat einfach alles. Eine richtig tolle Stadt.

Wollen Sie eines Tages weg?
Tazegül: Ich denke zurzeit nicht darüber nach, in die Türkei zu ziehen. Vielleicht muss ich meinen Erstwohnsitz aber irgendwann dorthin verlegen, um die Rente zu kriegen. Solange ich Sport treibe, bleibe ich aber bestimmt hier.

Wie sieht ein normaler Tag aus?
Tazegül: Zurzeit ist es eher ruhig. Drei, vier Mal Training pro Woche, vor Wettkämpfen sind es zwölf Einheiten in sechs Tagen, nur der Sonntag ist dann frei. Ich bin ja Weltranglistenerster und muss aufpassen. Es gibt aber nebenbei auch viel Schreibkram zu erledigen.

Wie geht’s weiter?
Tazegül: Nächstes Jahr ist EM und sind Mittelmeerspiele in der Türkei.

Hätten Sie gerne mehr große Turniere?
Tazegül: Natürlich, dann könnte ich noch öfter auf dem Treppchen stehen.

Wie lange wollen Sie noch kämpfen?
Tazegül: Höchstens bis 32, ich will noch zu zwei olympischen Spielen. Sie müssen wissen: Bis 68 Kilogramm ist die Königsklasse, die meisten Kämpfer sind ziemlich groß, aber eben auch verhältnismäßig leicht. Zurzeit habe ich aber leichtes Übergewicht. 73 Kilogramm. Also fünf zu viel.

Wie kriegen sie die wieder rechtzeitig weg?
Tazegül: Mit einer Diät, ganz einfach. Hauptsächlich Proteine, keine Kohlenhydrate. Natürlich viel Salat und Thunfisch. Und hin und wieder gönne ich mir einen Döner. Der ist in Nürnberg sowieso besser als in der Türkei.

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