In der "Tube" fühlen sich alle wohl

23.7.2017, 19:00 Uhr
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Ihre Wohnung sei die kleinste von allen, sagt Susanne Nestor. Doch wer übliche Grundrisse und Zimmergrößen gewohnt ist, dem kommt ihr Zuhause trotzdem ganz schön großzügig vor. Was vor allem daran liegt, dass sich die gut 80 Quadratmeter nicht auf mehrere Zimmer verteilen. Nestors Loft besteht aus einem einzigen gut vier Meter hohen Raum samt Galerie, nur das Badezimmer steckt im Séparée. "Klar, strukturiert und offen", so beschreibt die 50-Jährige die Atmosphäre. "Das passt zu mir und meiner Arbeit."

Erst vor vier Jahren ist die Fürtherin, die lange im Ausland gearbeitet hat, in die Pegnitzlofts gezogen. Zuletzt hatte sie in Buenos Aires im 14. Stock eines Hochhauses gewohnt, da kam die Erdgeschosswohnung in der ehemaligen Fabrik gerade recht. "Das erdet unglaublich", sagt die Dolmetscherin und Personalentwicklerin, die sich als Coach selbstständig gemacht hat. Im ähnlich großen Nachbarloft berät sie ihre Klienten — und vermietet ihren "Raum 4" an Yogalehrer und Feldenkraistrainer. Auch das ist ein Glücksfall, findet Nestor, die Wohnen und Arbeiten so ideal verbinden kann, aber dennoch genügend Abstand hat.

Viel Stauraum gibt es allerdings nicht in ihrer Ein-Raum-Wohnung mit der Kappendecke, doch das stört die Bewohnerin nicht. "Man muss sich eben zwingen, nicht so viel zu sammeln", sagt sie. Deshalb hat Nestor den ehemaligen Maschinenraum nur spärlich möbliert und sogar einige Wände weiß gelassen. Gerne sitzt sie auf ihrer Bank am Esstisch, mit Blick auf ihre Terrasse und die Nachbarwohnungen vis-à-vis.

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Ein breiter, nach oben offener Gang teilt jetzt das Gebäude — es musste aus Gründen des Brandschutzes aufgeschnitten werden, weiß Thomas Hartmann, der schräg gegenüber wohnt und einer der ersten war, die hier eingezogen sind. Das Loft habe er selbst ausgebaut, sagt der 61-Jährige, der eigenhändig die Galerie eingezogen hat, in der sein Büro untergebracht ist. Auch Hartmann verbindet nämlich Wohnen und Arbeiten, allerdings im Gegensatz zu seiner Nachbarin in einer einzigen Wohneinheit, die er sich zudem mit seiner Frau teilt.

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Direkt hinterm Küchentresen steht das Ehebett, vis-à-vis die gemütliche Sitzecke, der Esstisch versteckt sich hinter der Treppe. Auch bei Hartmanns stecken nur die sanitären Anlagen in einem separaten Raum, zudem hat das Paar das ehemalige Kinder- zum Ankleidezimmer gemacht. Ansonsten ist alles offen, Rückzugsräume gibt es nicht. "Man braucht schon ein harmonisches Eheleben", sagt Hartmann, der sich mit dem 120-Quadratmeter-Loft seinen persönlichen Wohntraum erfüllt hat. Dort ist genügend Platz für Partys, zu denen er gerne einlädt, denn als Hobbymusiker hat er einen großen Bekanntenkreis: Hartmann steht als "Ronny van Dyke" mit seinen "Trash Pop Pilots" regelmäßig auf den Bühnen der Region. Für seinen Hauptberuf braucht er dagegen nicht allzu viel Raum: Mit seiner Firma Viracom produziert er Imagefilme und Video-Betriebsanleitungen, dafür reicht das kleine Büro auf der Galerie.

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Dort hängen Baustellenschilder an der Wand — und erinnern an den Strukturwandel, der mit dem Aus des Traditionsbetriebes einherging. Dass die altehrwürdige Fabrikhalle in moderne Wohn- und Arbeitsräume umfunktioniert wurde, sahen manche Alteingesessene zunächst skeptisch. Doch die anfängliche Distanz sei längst einem freundschaftlichen Miteinander gewichen, sagt Hartmann.

Geschichte im Treppenhaus

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Was vielleicht auch an der behutsamen Umgestaltung des Areals liegt. Von der roten Backsteinfassade bis hin zum schmiedeeisernen Geländer erinnert noch vieles an die industrielle Vorgeschichte. Alte Maschinen und ein Namensschild des Firmengründers Louis Vetter zieren das Treppenhaus. Das passende Arbeitsumfeld auch für das Architekturbüro von Raimund Wölfel. Die fünf Mitarbeiter der "Plankoepfe" teilen sich ein offenes Büro, das passe zur Arbeitsweise des Teams, sagt der Chef. "Die hat auch eher Werkstattcharakter." Wölfel ist froh, dass das Gebäude erhalten blieb, so etwas präge schließlich die Identität eines Ortsteils. Er selbst freut sich, dass er nicht in einem klassischen Gewerbeviertel arbeitet. "Hier ist mehr Leben um uns herum."

"Die Tube", "die Kaspel" oder die "Käpserlafabrik" — an Kosenamen für den ehemaligen Betrieb mangelt es bis heute nicht. 1847 gründete Louis Vetter in Nürnberg-Doos die erste Metallflaschenkapselfabrik Deutschlands. Bereits elf Jahre später wurde die Firma an die Schnieglinger Straße verlegt, mit reichlich Platz zur Erweiterung. Abnehmer der dort produzierten Bleifolienkapseln waren Mineralwasserabfüller, die damit die damals üblichen Tonkrüge verschlossen.

Bald zählten auch Sekt- und Weinkellereien zu den Kunden des Unternehmens. Später ergänzten Flaschenfolien und Tuben die Produktpalette. Bis zu 350 Menschen arbeiteten für den Betrieb, darunter viele Frauen, für deren Nachwuchs 1896 sogar ein eigener Kinderhort eingerichtet wurde.

In den 1960er Jahren ging die Nachfrage nach den Produkten allmählich zurück, die Erschließung neuer Märkte verpassten die Betreiber. Zuletzt waren in der Firma nur noch 24 Arbeiter beschäftigt, Ende 1997 wurde sie geschlossen. Wenig später kaufte die Firma "Lofts & Factory" das historische Gelände und gestaltete es in Zusammenarbeit mit dem Architekten Gerhard Wirth zu den Pegnitzlofts um.

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